Kein politischer Ermessensspielraum

Meine Mitarbeiter und ich werden immer mal wieder gefragt, wie wir es denn persönlich, also so ganz privat mit der Kernkraft halten. Ob wir dafür oder dagegen seien. Denn, so die Annahme, es könne bei der Eidgenössischen Nuklearaufsichtsbehörde wohl nur arbeiten, wer ein Befürworter der Atomenergie sei.

Ehrlich gesagt – wir denken beim ENSI nicht in solchen Kategorien. Uns interessieren bei unseren Einstellungsgesprächen nicht Bekenntnisse für oder gegen die Kernenergie. Für uns zählt nur die berufliche Qualifikation der Bewerberin für die ausgeschriebene Stelle.

Doch es liegt auf der Hand, dass sich bei uns Maschinen- und Nuklearingenieure, Psychologen, Kern- und Geophysiker, Elektrotechniker, Geologen und so weiter kurz – dass sich bei uns Männer und Frauen bewerben, welche technischen Fragen im Allgemeinen und Fragen rund um die Nuklearenergie mit grossem Interesse begegnen.

Deshalb spielt die Frage, wie es die einzelnen Mitglieder eines Gutachterteams persönlich mit der Kernenergie halten, bei der Beurteilung sicherheitsrelevanter Aspekte, bei der Begutachtung eingereichter Dossiers, bei der Überprüfung wissenschaftlicher Gutachten, keine Rolle.

Was für uns zählt, ist die fachliche Beurteilung eines Dossiers. Sie richtet sich nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Und dieser gesetzliche Rahmen wird von der Politik aufgrund demokratischer Spielregeln festgelegt.

Wenn also der Bundesrat entscheidet, die Schweiz steige aus der Kernkraft aus, dann wird im ENSI über diesen Entscheid keine Grundsatzdiskussion geführt, sondern gemäss dem neuen Auftrag gehandelt. Konkret: Wir haben den Kolleginnen und Kollegen, die bis zu diesem Entscheid mit dem Bewilligungsverfahren für neue Kernkraftwerke beschäftigt waren, neue Aufgaben übertragen.

Wenn die Politik entscheidet, dass dieser Ausstieg nicht sofort erfolgt, sondern in einem noch festzulegenden Zeitraum, dann gelten für uns, für die Betreiber der Kernkraftwerke aber auch für die Befürworter und Gegner der Kernenergie die derzeit gültigen Gesetze. Weil also Rechtssicherheit herrscht, können sich alle darauf verlassen, dass das ENSI Entscheide nach festgeschriebenen Kriterien fällt.

Es gilt: Erfüllt die Anlage einer Betreiberin die vom Gesetzgeber festgelegten und vom ENSI überprüften Sicherheitskriterien, hat sie das Recht, ihre Anlage wieder ans Netz zu schalten. Für die Nuklearaufsicht gibt es keinen politischen Ermessensspielraum.

Faktum ist, dass es in der Schweiz Kernkraftwerke gibt, und dass diese nach geltendem Recht so lange betrieben werden können, als deren sicherer Betrieb gewährleistet ist.

Faktum ist, dass die Kernkraftwerke nach Ablauf ihrer Laufzeit zurückgebaut und die radioaktiven Abfälle sicher entsorgt werden. Weil dem so ist, müssen wir alle davon ausgehen, dass uns die komplexen Fragen und kontroversen Diskussionen rund um die Kernenergie noch weitere Jahrzehnte beschäftigen werden.

Bei all den laufenden und noch anstehend Diskussionen steht für uns vom ENSI ein Thema im Mittelpunkt: die Sicherheit. Sei es nun beim Betrieb von Kernanlagen, bei deren späteren Stilllegung oder bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle: das Einzige was für uns zählt ist die Sicherheit.

Und Sicherheit ist, ich habe es hier schon geschrieben, nicht ein Zustand, sondern ein Prozess.

 

Hans Wanner
Direktor ENSI