„Die Schweizer Kernanlagen sind sicher“

ENSI-Direktor Hans WannerDas Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI hat am Montag, 31.10.2011, seinen dritten Bericht zum Unfall in Fukushima veröffentlicht, die „Lessons Learned„. Insgesamt 37 Punkte hat das ENSI identifiziert, die genauer geprüft werden müssen. ENSI-Direktor Hans Wanner erläutert im Interview, weshalb die Kernkraftwerke in der Schweiz trotz der offenen Fragen sicher sind.

 

Herr Wanner, Sie sind überzeugt, dass die Schweizer Kernkraftwerke sicher sind. Dennoch listen Sie in Ihrem Bericht 37 Prüfpunkte auf. Ein Widerspruch?

Hans Wanner: Keineswegs. Die Kernanlagen in der Schweiz sind im internationalen Vergleich auf einem hohen Sicherheitsstandard. Das können wir bereits heute sagen, haben wir doch laufend Einblick in die Schweizer Anlagen. Dennoch wollen wir – gestützt auf Erkenntnisse aus den Ereignissen in Fukushima – verschiedene Aspekte genauer unter die Lupe nehmen. Sollten wir dabei zum Schluss kommen, dass es Verbesserungspotenzial gibt, werden wir die nötigen Massnahmen veranlassen.

Andere Länder haben schon im Sommer ihre Berichte zum Unfall in Fukushima veröffentlicht. Warum hat das in der Schweiz so lange gedauert?

Das ENSI hat sich die nötige Zeit genommen für eine gründliche Analyse und gleichzeitig die Chance genutzt, seine Analysen mit den bereits erschienen Berichten anderer Länder abzugleichen. Wir sind in den vergangenen sieben Monaten aktiv gewesen und haben unmittelbar nach dem Ereignis die dringendsten Massnahmen ergriffen sowie zusätzliche Nachweise von den Werken eingefordert. Einige Massnahmen, die in den Lessons Learned aufgeführt sind, sind schon umgesetzt, andere sind initiiert, weitere sind in Prüfung.

Führt das ENSI nun mehr Inspektionen durch, um seine Forderungen bei den Betreibern durchzusetzen?

Die Erkenntnisse aus den Ereignissen von Fukushima bestätigen deutlich, dass die Schweiz in Sachen Sicherheit ihrer Kernanlagen bisher Vieles richtig gemacht hat. Wir nutzen nun die Chance, aus den jetzigen Erkenntnissen zu lernen, um unsere Kraftwerke und deren Betrieb noch sicherer zu machen. Denn Sicherheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess.

Sie werfen den japanischen Behörden mangelnde Unabhängigkeit vor. Ähnlichen Vorwürfen sieht sich auch das ENSI ausgesetzt. Zu Recht?

Unsere Analyse zu Fukushima ist nicht zuletzt auch eine Bestätigung dafür, dass unser System der Aufsicht funktioniert. Von Missständen wie in Japan kann in der Schweiz keine Rede sein. Unsere Sicherheitskultur ist auf einem ganz andern Niveau und geniesst international eine hohe Anerkennung. Trotzdem nehmen wir Fukushima auch in dieser Beziehung zum Anlass, unsere Sicherheitskultur erneut kritisch zu prüfen. Auch international werden wir noch in diesem Monat durch eine Experten-Gruppe der Atomenergie-Agentur IAEA unter die Lupe genommen. Zudem hat der Bundesrat vor zehn Tagen die Anforderungen für die Unabhängigkeit des ENSI-Rates präzisiert.

Zum Schluss: Wie lange bleiben die Kernkraftwerke in der Schweiz noch am Netz?

Solange sie sicher sind und die Politik sich für einen Weiterbetrieb entscheidet. Verantwortlich für die Sicherheit sind die Betreiber. Nicht zuletzt ist ein Weiterbetrieb auch davon abhängig, ob die Besitzer der Werke bereit sind, die nötigen ständigen Verbesserungsmassnahmen und Nachrüstungen zu finanzieren. Das ENSI wacht darüber, dass die Kraftwerke immer auf dem aktuellen Stand der Kenntnisse sind und alle möglichen Verbesserungen der Sicherheit realisieren. Unsere Fachleute kennen die Anlagen sehr gut und können früh erkennen, wenn sich Probleme abzeichnen. Wirtschaftliche Überlegungen oder auch die Versorgungssicherheit sind für das ENSI kein Thema. Unsere Maxime ist die Sicherheit der Bevölkerung.