Geologische Tiefenlager: „Das nutzbare Grundwasser ist geschützt“

Prof. Dr. Simon Löw, Professor für Ingenieurgeologie am Geologischen Institut der ETH Zürich und Präsident der EGT.

Für die Beurteilung der Sicherheit bei der Lagerung radioaktiver Abfälle greift das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI auf zusätzliches, unabhängiges externes Fachwissen zurück. Die Expertengruppe Geologische Tiefenlager (EGT) des ENSI arbeitet an der vertieften Überprüfung der Sicherheit der vorgeschlagenen Tiefenlager. Prof. Dr. Simon Löw, Professor für Ingenieurgeologie am Geologischen Institut der ETH Zürich und Präsident der EGT, stand dazu Rede und Antwort.

Sie sind Präsident der Expertengruppe Geologische Tiefenlagerung. Was kann aus Ihrer Sicht dieses Gremium zu den laufenden und bevorstehenden Arbeiten beitragen?

Simon Löw: Die Expertengruppe Geologische Tiefenlagerung arbeitet im Jahr 2012 intensiv an vielen Fragen, welche relevant für die zukünftigen Entscheide zur Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager (SGT) sind, insbesondere für die Einengung der Standortgebiete und Lagerperimeter. So analysiert die Kommission zum Beispiel die bisherigen Arbeiten der Nagra zur Interpretation der bestehenden und neuen 2D Seismik, zur Gasproduktion und Gasausbreitung im Tiefenlager, erarbeitet neue Grundlagen zu den bautechnischen Risiken des Tiefenlagers und seiner Zugangsbauwerke, analysiert alle vorhandenen Daten und Studien zur Tektonik und Neotektonik in den verschiedenen Standortgebieten und evaluiert die konzeptuellen Modelle der bisherigen Radionuklid-Ausbreitungsrechnungen in Wirtsgesteinen und der Biosphäre. Wir arbeiten also an einer grossen Liste wichtiger erdwissenschaftlicher und bautechnischer Themen, welche wir aufgrund unserer eigenen Sachkenntnisse und der Bedürfnisse des ENSI ausgewählt haben.

Um in die Tiefe zu gelangen gibt es zwei Möglichkeiten: man erstellt einen senkrechten Schacht oder eine befahrbare Rampe. Eignen sich beide Varianten für den Zugang zu einem geologischen Tiefenlager?

Beide Varianten sind mit den heute zugrunde liegenden Mitteln bautechnisch machbar. Dennoch ist standortspezifisch zu klären, ob die eine oder die andere Variante mehr oder weniger geeignet ist. Bis die detaillierten geologischen Kenntnisse zu den jeweiligen Standorten vorliegen, wie für das Ende der 2. Etappe des Sachplans gefordert, sollte die Planung flexibel bleiben, also von beiden Varianten ausgehen. Auch eine Kombination aus Schacht und Rampe könnte eine optimale standortspezifische Lösung darstellen.

Der Bau von Schächten und Tunneln ist mit Risiken behaftet. Womit muss man beim Bau eines geologischen Tiefenlagers in der Schweiz rechnen?

Detaillierte bautechnische Risikoanalysen sind noch ausstehend – ich kann also nur erste grobe Einschätzungen geben:

Die bautechnischen Risiken während des Baus sind wohl vergleichbar mit anderen Untertagebauwerken: wichtig sind zum Beispiel Arbeitsunfälle in Schächten, Gefahren verbunden mit dem Transport des Ausbruchsmaterials in Stollen und Rampen, Wassereinbrüche, starke Gebirgsverformungen in quellenden Gesteinen – um nur ein paar wichtige Themen zu nennen. Die Betriebsdauer (Einlagerung der Abfälle und Verschluss) eines Endlagers ist ähnlich wie jene von Verkehrstunnels (ca. 100 Jahre). Obwohl die Risiken während dem Betrieb noch nicht vollständig abgeklärt sind, gehe ich davon aus, dass zum Beispiel Wassereinbrüche in einem Tiefenlager zu grösseren Problemen führen würden als in einem Verkehrstunnel. Speziell an einem Tiefenlager ist die Situation, dass es keine freien Wasserabflüsse zu einem Vorfluter gibt, d.h. alles anfallende Wasser muss aus dem Tiefenlager herausgepumpt werden.

Anders als bei einem Untertagebauwerk für den Verkehr oder die Wasserkraft gibt es bei einem Tiefenlager die sehr wichtige Phase nach dem Verschluss mit der langen Dauer von geologischen Zeiträumen (10 bis 100 Tausende von Jahren). Es ist darum auch abzuklären, ob das Auftreten unerwünschter Ereignisse während Bau und Betrieb einen Einfluss auf die Langzeitrisiken haben kann und inwieweit diesen schon während des Baus entgegengewirkt werden kann.

Wie kann man diesen Risiken begegnen?

Grundsätzlich gilt, dass bautechnische Risiken durch geeignete Massnahmen, ob bautechnischer, logistischer oder konzeptioneller Natur (zum Beispiel durch das Ausweichen geologisch anspruchsvoller Zonen)  zu minimieren oder gar zu vermeiden sind. Dies erfordert ein belastbares, detailliertes Wissen über die in den jeweiligen Standortgebieten vorliegenden geologischen, hydrogeologischen und geotechnischen Verhältnisse und entsprechende Erfahrungen aus dem nationalen und internationalen Tunnelbau mit ähnlich gelagerten Verhältnissen. Dennoch können Vorhersagen von der Oberfläche aus nie vollständig sein. Beim Bau des Tiefenlagers ist demzufolge eine systematische Erkundung  aus der Lagerebene und möglichen Zugangsbauwerken vorgesehen. Diese Erkundungen umfassen sowohl Bohrungen als auch geophysikalische Untersuchungen und erlauben zum Beispiel tektonisch gestörte Bereiche im Wirtgestein frühzeitig zu erkennen und entsprechende Massnahmen zu planen.

Kann der Bau eines Tiefenlagers das Einschlussvermögen des Wirtgesteins beeinträchtigen?

Je nach Tiefenlage unter dem Terrain kann das Wirtgestein beim Auffahren des Tiefenlagers durch mehr oder weniger intensive, bruchhafte Verformungen in Mitleidenschaft gezogen werden. Es gilt allerdings der Grundsatz, durch geeignete bautechnische und konzeptionelle Massnahmen die Ausdehnung der Bruchzone auf ein machbares Minimum zu reduzieren. Zudem zeichnet den Opalinuston die Eigenschaft aus, neue durch den Tunnelbau entstandene Klüfte selbst wieder abzudichten. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die bereits eingeengte Auswahl potenzieller Standortgebiete tonreiche Wirtgesteine aufweist.

Beim Erstellen von Stollen entsteht eine Auflockerungszone im Wirtsgestein. Wie werden die Eigenschaften untersucht? Was sind die Folgen für die Tiefenlagersicherheit?

Neben den beherrschbaren bautechnischen Problemen im Zusammenhang mit einer Auflockerungszone wird insbesondere auch die Wasserdurchlässigkeit bzw. die Wasserwegigkeit in Längsrichtung eines Stollens verändert. Die Wasserdurchlässigkeit lässt sich durch hydraulische und pneumatische Versuche räumlich und in ihrer zeitlichen Entwicklung zuverlässig quantifizieren. Durch den Einbau quellender Hohlraumverfüllungen um die Endlagerbehälter sowie von speziellen Versiegelungsstrecken werden die Stollen mit hochaktiven Abfällen und ihre Auflockerungszonen nicht nur verfüllt, sondern auch wieder abgedichtet. Die Detailplanung dieser Versiegelungen sowie gross-massstäbliche Versuche sind noch ausstehend.

Wie fliessen die Erfahrungen vom Ausland in die schweizerische Beurteilung ein?

Die Mitglieder der EGT werden wichtige Referenzprojekte im Ausland (insbesondere in Frankreich) genau mitverfolgen. Ich selbst bin als internationaler Experte in die Beurteilung verschiedener Endlagerstandorte und -Projekte in unterschiedlichen Ländern involviert. So arbeite ich unter anderem auch in einem internationalen Review-Team mit, welches für die schwedische Regierung das Gesuch für den Bau eines hochaktiven Endlagers in Forsmark beurteilt. Ich kenne darum die aktuelle internationale Situation recht gut.

Die von der Nagra vorgeschlagenen Oberflächenstandorte befinden sich in Grundwasserzonen. Was kann die Bautechnik für den Schutz des Grundwassers bei der Erstellung von Erschliessungsbauwerken beitragen?

Grundsätzlich lassen sich Erschliessungsbauwerke bis in gewisse Tiefenlagen (>100m) durch spezielle Abdichtungen, die bereits seit vielen Jahren standardmässig im Tunnelbau verwendet werden, als voll abgedichtetes Bauwerk erstellen. Nach dem Auffahren und dem Einbau der Dichtung dringt demzufolge kein weiteres Grundwasser ins Erschliessungsbauwerk ein und das nutzbare Grundwasser ist geschützt. Die verbleibenden kurzfristigen oder dauerhaften Einwirkungen von Erschliessungsbauwerken auf das Grundwasser  beschränken sich allenfalls auf Reduktionen der Durchflussquerschnitte in diesen Grundwasserleitern. Aber auch diesen Auswirkungen kann durch geeignete bautechnische Massnahmen begegnet werden.

In grösseren Tiefen ist aufgrund des grossen technischen Aufwandes eine Vollabdichtung in der Regel nicht mehr zu rechtfertigen. Allerdings kann in Gebirgsabschnitten mit grossen Wasserdurchlässigkeiten (sog. Tiefenaquiferen) mittels Injektionen die Gebirgs-Wasserdurchlässigkeit und somit die Drainage von Grundwasser ins Bauwerk deutlich verringert werden.