KKW-Rückbau: „Schutz vor Strahlung hat oberste Priorität“

Das Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI begleitet die Stilllegung und den Rückbau von Kernkraftwerken in der Schweiz eng. Der Schutz der Bevölkerung, der Arbeitskräfte und der Umwelt geniesse dabei oberste Priorität, erklärt Michael Wieser, Leiter des Bereiches Entsorgung im ENSI, in einem Interview mit der Zeitung La Liberté.

Ein Kernkraftwerk kann entweder von aussen nach innen oder umgekehrt zurückgebaut werden. Welche Variante wird bevorzugt?

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Michael Wieser, Leiter des Bereiches Entsorgung im ENSI.

Michael Wieser: Wir erwarten, dass die Betreiber in der Schweiz ihre Anlagen von innen nach aussen zurückbauen werden, also von „heiss“ nach „kalt“. Zu dieser Annahme kommen wir aufgrund des Stilllegungsplans des Kernkraftwerks Mühleberg, den wir im Jahr 2011 in Zusammenhang mit der Kostenstudie geprüft haben. Der Betreiber muss dem ENSI seine Konzepte darlegen. Das ENSI als Aufsichtsbehörde prüft genau, ob die vorgelegten Planungen die Anforderungen an die nukleare Sicherheit erfüllen und dem internationalen Stand der Technik entsprechen.

 

 

Das Kernkraftwerk Würgassen in Deutschland (Niedersachsen) wurde während 13 Jahren für 900 Millionen Franken zurückgebaut. Wie hoch werden die Kosten für das bernische KKW geschätzt ?

Für das Kernkraftwerk Mühleberg rechnet man mit 806 Millionen Franken. Es kommen die Entsorgungskosten hinzu, die sich auf 1,84 Milliarden Franken belaufen. Es geht aus Kostenstudien der Betreiber hervor, dass der Nachbetrieb der fünf Schweizer Kernkraftwerke (Beznau 1 & 2, Gösgen, Leibstadt und Mühleberg), die Stilllegung sowie die Entsorgung der radioaktiven Abfälle insgesamt etwa 20 Milliarden Franken kosten. Diese werden vollumfänglich durch die Betreiber finanziert. Diese Kosten haben wir geprüft und als realistisch beurteilt, auch wenn es zum jetzigen Planungsstand gewisse Unsicherheiten gibt. Dazu haben wir 12 Empfehlungen formuliert. Die Kostenstudien werden alle fünf Jahre aktualisiert und überprüft. Dadurch können jeweils auch aktuelles Wissen und neue Erfahrungen bei der Planung berücksichtigt werden. Das Gesetz schreibt eine periodische Aktualisierung der Kostenstudien für das Stilllegungsprojekt vor. Und auch hier holen wir Know-how aus Deutschland ab.

Gibt es Erfahrungen aus anderen Rückbauprojekten, auf die Sie zurückgreifen können?

Wir informieren uns aktiv über Erfahrungen, die unsere Nachbarländer mit dem Rückbau machen. Besonders eng stehen wir dazu mit Deutschland in Kontakt. Die Stilllegung von Kernanlagen erfordert eine genaue Planung. Dies ist entscheidend. Deswegen erwarten wir von der BKW erste Planungsunterlagen bereits Ende 2014. Auf der anderen Seite verändert sich eine Kernanlage in der Stilllegung ständig. Dadurch müssen auch die Sicherheitsvorkehrungen in einem Werk laufend angepasst werden.

Oberste Priorität hat aber immer der Schutz gegen Strahlung…

Ja. Die oberste Priorität geniesst weiterhin der Schutz der Bevölkerung, der Arbeitskräfte und der Umwelt. Die Betreiber sind angewiesen, die kontrollierten Abgaben an die Umwelt möglichst klein zu halten. Dies gilt besonders während den Rückbauarbeiten. Die Lüftungssysteme spielen dabei eine grosse Rolle. Auch Asbest ist eine Problemquelle auf der Baustelle. Für diese zwei Aspekte stehen uns aber erprobte Technologien zur Verfügung.

Technologien, aber auch Fachkräfte. Wieviel Personal wird für den Rückbau benötigt?

Gemäss Einschätzungen der Betreiberdachorganisation entspricht der anfallende Arbeitsumfang etwa 1800 Mann-Jahren. Diese Angaben wurden im Rahmen der Kostenstudien durch uns und deutsche Fachexperten geprüft. Daraufhin haben wir eine Empfehlung formuliert, um auch Unvorhergesehenes zu berücksichtigen. Denn der Bedarf an Personal variiert je nach Projektphase stark. Die Zusammenarbeit von internem Personal, das die Anlage kennt, mit Externen und Spezialisten mit zusätzlichem Know-how ist hier entscheidend.

Kommen wir von den Kosten zur Zeitdimension. Wie lange kann so ein Rückbau dauern?

Das Beispiel des deutschen Kernkraftwerks Stade, etwa 50 km von Hamburg entfernt, zeigt: die Phase des Nachbetriebs dauert etwa fünf Jahre, jene des Rückbaus erstreckt sich über ungefähr zehn Jahre. Stade und Mühleberg sind allerdings zwei komplett unterschiedliche Anlagen. Das macht Vergleiche etwas gefährlich. Die Angaben aus Stade stimmen mit jenen der BKW in der Kostenstudie überein. Wir bewerten sie als realistisch, auch wenn Abweichungen möglich sind. Die Sicherheit ist wiederum von entscheidender Wichtigkeit. Wir werden genauere Informationen dazu liefern können, sobald das detailliertere Stilllegungsprojekt vorliegt.

Ein Atomkraftwerk zurückzubauen, das klingt nach einer grossen Menge Abfall, darunter auch radioaktiver Müll…

Die radioaktiven Abfälle machen zwischen 2 und 5% der gesamten erwarteten Stilllegungsabfälle der Schweizer Kernkraftwerke aus. Dieses Volumen kann stark variieren, je nach Vorgehen bei der Dekontamination und der Freimessung von Abfällen. Diese Freimessgrenzen hängen von den Angaben in der Strahlenschutzverordnung ab, die derzeit revidiert wird.

Das Interview wurde in die deutsche Sprache übersetzt. (Quelle: La Liberté, Ausgabe vom 7. Juni 2014)