Die Unfallabläufe in Tschernobyl und Fukushima-Daiichi

Skizze des RBMK-Reaktors (Reaktortyp in Tschernobyl). Quelle: GRS

Ein ganz zentraler Unterschied der beiden Unfälle betrifft die Bauarten der Reaktoren. Der Reaktor von Tschernobyl war so konstruiert, dass unter bestimmten Umständen die nukleare Kettenreaktion unkontrolliert ansteigen konnte. Genau dies passierte am 26. April 1986 bei einem Test: Innert Sekunden erreichte der Reaktor das Mehrhundertfache der vorgesehenen Maximalleistung. Wasser des Kühlkreislaufs und weiteres Material verdampften schlagartig, was zu einer Explosion führte, die den Reaktor und das Reaktorgebäude zerstörte. Dazu kam, dass der Reaktor konstruktionsbedingt grosse Mengen an Graphit enthielt, das sich nun entzündete. Das Graphit hat bei diesem Reaktortyp die Funktion eines Neutronen-Moderators, der nötig ist, um die Kettenreaktion in Gang zu halten. Das Graphitfeuer brannte mehrere Tage lang, seine Hitze beförderte erhebliche Mengen der freigesetzten Radioaktivität in grosse Höhen und sorgte so für die weiträumige Verbreitung radioaktiver Stoffe.

Am Standort Fukushima-Daiichi mit 6 so genannten Leichtwasser-Reaktorblöcken wurden alle laufenden Reaktoren 1 bis 3 bei dem starken Erdbeben vom 11. März 2011 durch Einfahren der Steuerstäbe abgeschaltet, die nukleare Kettenreaktion wurde somit unterbrochen. Die aus Uranbrennelementen bestehenden Reaktorkerne entwickeln dann jedoch weiterhin so genannte Nachzerfallswärme, die zwar laufend zurückgeht, am Anfang aber im einstelligen Prozentbereich der vollen Reaktorleistung liegt. Die externe Stromversorgung war durch das Beben zerstört, und die für solche Fälle vorhandenen Notstrom-Dieselgeneratoren funktionierten nur etwa eine Stunde lang, dann setzte sie der Tsunami ausser Betrieb. So blieben nur noch batteriegestützte Hilfssysteme, die aber nur Stunden bis maximal etwa einen Tag in der Lage waren, die Kühlung der Reaktoren notdürftig zu gewährleisten. Mit mobilen Pumpen wurde versucht, von aussen Wasser in die Reaktoren einzuspeisen, was aber sehr spät bzw. anfänglich nur teilweise gelang. So heizten sich die Reaktoren 1 bis 3 allmählich immer weiter auf, das in den Reaktoren verbliebene Wasser begann zu verdampfen und die Reaktorkerne waren zumindest in ihrem oberen Teil schliesslich nicht mehr mit Wasser bedeckt. Die weitere Aufheizung führte zu Kernschäden und vermutlich auch zum teilweisen Schmelzen der Reaktorkerne. Das verdampfte Wasser, aber auch das durch die chemischen Reaktionen des überhitzten Kerns entstehende Wasserstoffgas, liessen den Druck in den Reaktoren stark ansteigen. Um ein Bersten der Druck- und Sicherheitsbehälter zu verhindern, wurde der Druck über Ventile abgelassen. In der Folge gelangte wasserstoffhaltiges Gas in die äusseren Teile der Reaktorgebäude. Die oberen Bereiche der Reaktorgebäude von Block 1 und 3 wurden durch Wasserstoffexplosionen zerstört. Weiter muss davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitsbehälter um den Reaktor von Block 2 und evtl. auch von Block 3 beschädigt sind.

In Wasserbecken im oberen Teil der sechs Reaktorgebäude wurden aus den Reaktoren entnommene Brennelemente gelagert. Auch die Brennelementlagerbecken heizen sich ohne laufende Kühlung je nach Beladung innert Tagen bis Wochen so stark auf, dass das Wasser verdampft und die Brennelemente freigelegt werden. Bevor eine ausreichende Kühlung durch externe Wasserzufuhr mit mobilen Pumpen wieder hergestellt werden konnte, kam es beim voll beladenen aber intakten Becken des Blocks 4 zu einer Wasserstoffexplosion, die ebenfalls den oberen Teil des Reaktorgebäudes zerstörte. Der Wasserstoff gelangte laut Berichten über Lüftungsrohre von Block 3 zu Block 4.