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Frage 6: Tektonische Verstellungen entlang von Störungen

Entlang von Störungen, wie etwa der Randenverwerfung, erfolgten während der Tertiärzeit sprunghafte Schichtverstellungen von über 200 m relativem vertikalem Schichtversatz. In welchem Ausmass sind bei einer Langzeitprognose allfällige tektonische Verstellungen entlang von Störungszonen mit zu berücksichtigen?

Thema , Bereich
Eingegangen am 23. Dezember 2005 Fragende Instanz Vertreter des Kantons Thurgau
Status beantwortet
Beantwortet am 23. Dezember 2005 Beantwortet von

Beantwortet von Nagra

Kurzfassung

Gemäss dem Konzept langfristig kontinuierlicher Prozesse (vgl. TFE-Frage 5) ergibt die Analyse junger Störungen (Randen-Störung, Neuhauser Störung) ein Mass für die auch in Zukunft zu erwartenden Bewegungen. Daraus können Vertikalverschiebungen von maximal wenigen Dekametern pro Mio. Jahren ermittelt werden, wobei auch horizontale Verschiebungen von etwa derselben Grösse vorkommen können. Für die Langzeitszenarien wurden entsprechende Verstellungen im Bereich der bestehenden Störungszonen berücksichtigt. Für die Entstehung von neuen Störungen im Zürcher Weinland mit entsprechenden Verstellungen gibt es keine plausiblen Argumente.

Ausführliche Fassung

Zu Bewegungen an Störungszonen und deren Relevanz: siehe NTB 99-08, Kap. 5.1.2, Seiten 168/9. Bei der Randen-Störung vermuten Hofmann et al. (2000) eine miozäne Abschiebungstektonik, die von jüngeren bis jüngsten Scherbewegungen überprägt wurde (Rutschharnische). Diese Hypothese wird gestützt durch die Analyse von mehreren Erdbeben, die zwischen März 1995 und August 1996 im Gebiet zwischen Thayngen und Singen stattgefunden haben. Die Analysen der Herdflächenlösungen ergeben das einheitliche Bild einer WNW – ESE streichenden, dextralen Blattverschiebung mit einer Herdtiefe von 9 – 10 km (s. auch Deichmann et al. 2000).

Die Randen-Verwerfung bildet zusammen mit der möglicherweise ebenfalls als Abschiebung aktiven „Schienberg-Nordwand-Verwerfung“ den SW-Rand der „Hegau-Mulde“ (Geyer & Gewinner 1986). Diese Mulde wird gegen NE durch SW-gerichtete Abschiebungen östlich von Singen begrenzt. Da innerhalb der „Hegau-Mulde“ die Jüngere Nagelfluh- Serie um einiges mächtiger ausgebildet ist als auf den umliegenden Hochflächen und da die meisten Hegau-Vulkanite auf das Gebiet der Mulde beschränkt sind, vermuten Geyer & Gwinner (1986) einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der NE– SW gerichteten Dehnungstektonik, der Ablagerung der Jüngeren Juranagelfluh-Serie (vor ca. 17–12 Mio. Jahren) und dem Hegau-Vulkanismus (16.4 – 6.9 Mio. Jahren).

Der Beginn der Abschiebungstektonik an der Randen- Verwerfung ist nur schwer festzulegen. Da der ehemalige Rand der Graupensandrinne die Randen- Verwerfung ungestört schneidet (Schreiner 1992), ist anzunehmen, dass die Verwerfung zu diesem Zeitpunkt (vor ca. 17 Mio. Jahren) noch nicht oder nur unbedeutend aktiv war.

Aufgrund dieser von Hofmann et al. (2000) gemachten Erläuterungen scheinen die Prozesse bei der Entwicklung der Randen-Störung einen eher kontinuierlichen Charakter aufzuweisen (Ablagerung der Jüngeren Juranagelfluh und der Hegau-Vulkanite, Entwicklung der Rutschharnische). Wenn man von sprunghaften Schichtversetzungen spricht, dann muss man doch annehmen, dass die Versetzungsraten sehr klein waren. Wenn man nun annimmt, dass für die Bildung der NE–SW gerichteten Dehnungsphase ein Zeitraum von ca. 5 – 10 Mio. Jahren zur Verfügung stand, dann ergeben sich bei einem Vertikalversatz von 200 m mittlere jährliche Versetzungsraten von ca. 0.02 bis 0.04 mm.

Bei der Neuhauser Störung beträgt der max. Vertikalversatz ca. 100 m. Für die Abschätzung einer möglichen rezenten Aktivität an der Neuhauser Störung können (s. auch TFE-Frage 44), neben konzeptuellen Überlegungen, die Analysen der Nivellementmessungen (Beil. 3.2, NTB 99-08) betrachtet werden: Nördlich der Störung, im Raum Schaffhausen, weisen alle Messpunkte, einschliesslich der beiden Punkte bei Neuhausen, eine Senkungstendenz auf. Südlich der Neuhauser Störung, im Zürcher Weinland, zeigen die Werte von Ossingen, Andelfingen und Flaach Hebungstendenzen. Diese Tendenz nimmt nach Süden im Gebiet von Frauenfeld – Winterthur noch zu. Ein Ausgleich dieser von Norden nach Süden gegenläufigen Tendenzen der Nivellementmessungen könnte als rezente Abschiebung im Bereich der Neuhauser Störung erfolgen. Die Versetzungsrate müsste aufgrund der geodätischen Daten aber sehr klein sein und dürfte bedeutend unter 0.1 mm/a liegen. Versucht man anhand geologischer Evidenzen (bei Annahme von 100 m Versatz seit Beginn der Aktivität im Miozän vor 10 – 20 Mio. Jahren) durch lineare Interpolation mittlere Bewegungsraten entlang der Neuhauser Störung zu ermitteln, so ergeben sich Werte von 0.005 – 0.01 mm/a, die 5 – 10 m/Mio. Jahren ausmachen würden. Demzufolge kann eine mittlere Versetzungsrate angenommen werden, die zwischen 0.005 und 0.1 mm/a liegt. Anderseits wird das Gebiet aufgrund einer Luftbildanalyse des Geolog. Instituts d. Univ. Bern (Leitung Prof. A. Pfiffner) als neotektonisch inaktiv beurteilt (vgl. TFE Frage 47).

Im Deckgebirge der Nordschweiz können v.a. die grösseren Störungen weitgehend mit einem älteren Strukturplan des Sockels korreliert werden (s. Kap 3.8 & 4.2, NTB 99-08). Dies bestätigt für die Nordschweiz die generelle Beobachtung, dass sich bei weiterer Beanspruchung die tektonischen Bewegungen bevorzugt auf bereits bestehende Schwächezonen beschränken, sofern deren räumliche Lage dies erlaubt. Die neotektonischen Analysen zeigen, dass entsprechende Störungszonen in der Nordostschweiz vorhanden sind und gemäss seismotektonischen Beobachtungen auch aktiv sein können (Kap. 3.5, 3.8 und Beil. 3.4). Dies betrifft insbesondere die herzynisch und rheinisch streichenden Verwerfungen, die als dextrale resp. sinistrale Horizontalverschiebungen reaktiviert werden könnten.

Für die Beurteilung der Langzeitsicherheit wird aufgrund einer pessimistischen Interpretation der oben erwähnten Daten davon ausgegangen, dass die Neuhauser Störung als potenziell aktives Element betrachtet werden muss, wobei die erwarteten Versetzungsraten sehr klein sein werden. Aus diesem Grunde würde der Abstand eines möglichen Lagers zur Neuhauser Störung mindestens 200 m betragen. Bei der Platzierung der Einlagerungsstollen würde auch der Wildensbucher Flexur ausgewichen (s. Kap. 9.3.2, NTB 02-03).

Referenzen:

Deichmann, N., Ballarin Dolfin, D. & Kastrup, U. (2000): Seismizität der Nord- und Zentralschweiz. Nagra Tech. Ber. NTB 00-05. Nagra, Wettingen.

Geyer, O.F. & Gwinner, M.P. (1986): Geologie von Baden-Württemberg. 3. Aufl. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart.

Hofmann, F., Schlatter, R. & Weh, M. (2000): Erläuterungen zu Blatt 97: Beggingen (LK 1011) des Geologischen Atlas der Schweiz 1:25’000. Bundesamt für Wasser und Geologie, Bern.

Müller, W.H., Naef, H. & Graf, H.R. (2002): Geologische Entwicklung der Nordschweiz, Neotektonik und Langzeitszenarien Zürcher Weinland. Nagra Tech. Ber. NTB 99-08.

Nagra (2002): Projekt Opalinuston – Synthese der erdwissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse. Nagra Tech. Ber. NTB 02-03. Nagra, Wettingen.