Technisches Forum Sicherheit

Frage 90: Gefährdungszonen um OFA SMA/HAA sowie Notfallschutz

In der Notfallschutzverordnung (NFSV) wird in Art. 3 festgelegt, dass um jede Kernanlage 2 Zonen festzulegen sind:

  • Zone 1 umfasst das Gebiet, in welchem ein Störfall Schutzmassnahmen sofort erforderlich macht;
  • Zone 2: Gebiet in dem bei einem schweren Störfall eine Gefahr für die Bevölkerung entstehen kann.

Die Zonen werden anlagenspezifisch ausgelegt. Die Zone 1 umfasst für Kernkraftwerke z.B. Gebiete bis 3-5 km Distanz, die Zone 2 jene bis 20km. Für das PSI/ZWILAG gelten hingegen aufgrund des geringeren Gefährdungspotentials der Anlage eine spezielle Gefährdungszone von 3km Distanz. Die Oberflächenanlagen von geologischen Tiefenlagern gelten als Kernanlagen und sind somit entsprechend der NFSV Gefährdungszonen zu bestimmen. Im Rahmen der Evaluation von Oberflächenanlagen (OFA) von Geologischen Tiefenlager scheint das Kriterium der Siedlungsnähe wichtig zu sein. Deshalb stellen sich folgende Fragen:

  1. Wie und wann wird das von OFA (für SMA wie auch für HAA) ausgehende Gefährdungspotenzial bestimmt?
  2. Wie und wann werden die Gefährdungszonen rund um OFA’s (SMA und HAA) bestimmt? Mit wie grossen Zonen ist zu rechnen?
  3. Welches ist deren raumplanerische Wirkung? Gibt es Einschränkungen in die Planung von Schulen/Spitälern/Pflegezentren?
  4.  Welchen Massnahmen müssen von Kanton und Gemeinden in den verschiedenen Gefährdungszonen von OFA ergriffen werden?
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Eingegangen am 14. Februar 2013 Fragende Instanz O. Schwank, FG Si SR
Status beantwortet
Beantwortet am 28. November 2013 Beantwortet von

Beantwortet von ENSI

Aussagen zum Gefährdungspotential der geplanten Kernanlage, zu den Auswirkungen von Störfällen auf die Umgebung und zur Notwendigkeit von Notfallschutzzonen werden gemäss Kernenergiegesetzgebung mit dem Antrag zur Baubewilligung von der Bewilligungsbehörde gefordert. Generell richten sich die Notwendigkeit und die Grösse von Notfallschutzzonen nach den Auswirkungen in der Umgebung von betrachteten, hypothetischen Unfällen in der Anlage. In diesem Zusammenhang sei beispielhaft auf die Grösse der speziellen Notfallschutzzone PSI/ZWILAG verwiesen, welche deutlich kleiner ausfällt als die einer Zone 1 eines KKW in der Schweiz.

a) und b)

Die Oberflächenanlage stellt eine Kernanlage im Sinne der Kernenergiegesetzgebung dar. Die Kernenergieverordnung sieht ein mehrstufiges Bewilligungsverfahren vor, welche eine Kernanlage vor ihrer Inbetriebnahme zu durchlaufen hat. Demnach sind vom zukünftigen Betreiber nacheinander eine Rahmenbewilligung1, Baubewilligung und eine Betriebsbewilligung zu beantragen. Die Kernenergiegesetzgebung legt auch die Inhalte der Bewilligungen, die mit den Bewilligungen verbundenen Zielen sowie die Art und Umfang der auf jeder Bewilligungsstufe einzureichenden Unterlagen fest.

Auf Stufe der Rahmenbewilligung sind vom Gesuchsteller Unterlagen einzureichen, aus denen u.a. die Standorteigenschaften, der Zweck und die Grundzüge des Projektes sowie die voraussichtliche Strahlenexposition in der Umgebung der Anlage hervorgehen. Ferner sind ein Umweltverträglichkeitsbericht und ein Bericht über die Abstimmung mit der Raumplanung einzureichen (vgl. Art. 23 KEV).

Auf der nachfolgenden Stufe der Baubewilligung sind vom Gesuchsteller Unterlagen einzureichen in denen u.a. aufgezeigt wird, dass die Auslegungsgrundsätze und die Anforderungen an die nukleare Sicherheit, an die Sicherung, an den Schutz gegen Störfälle eingehalten werden. Aus den einzureichenden Unterlagen soll u.a. die Definition der auslegungsbestimmenden Störfälle und Betriebszustände hervorgehen. Es sind, als Ergebnis einer vorläufigen Sicherheitsanalyse, deren Auswirkungen auf die Anlage und deren Umgebung aufzuzeigen. Ein Notfallschutzkonzept ist bei der Bewilligungsbehörde gleichfalls einzureichen. Dieses deckt sowohl den anlageninternen als auch anlagenexternen Notfallschutz ab. Die Ausarbeitung eines solchen Notfallkonzepts setzt Kenntnisse über mögliche Störfallabläufe und deren Auswirkungen in und ausserhalb der Anlage voraus. Kenntnisse über mögliche Störfallabläufe setzen wiederum detaillierte Kenntnisse über die zukünftige Anlage, ihre Auslegung, Betriebsprozesse, die vorhandenen (Sicherheits-) Systeme und die in der Anlage befindlichen Stoffe voraus. Aus diesem Grund sind belastbare Aussagen zum Gefährdungspotential (i.e. den Inventar an gefährdenden Stoffen sowie dem Auswirkungen von Störfällen) und zum Notfallschutzkonzept in aller Regel erst ab Stufe Baubewilligung möglich, da erst ab dieser Stufe die notwendigen Informationen vorliegen.

Die Untersuchung von Störfallabläufen in einer Anlage umfasst drei Schritte: in einem ersten Schritt gilt es zu ermitteln, welche Stoffe (z.B. radioaktive) in welchen Mengen, in welcher Form (fest, flüssig, gasförmig) vorliegen (i.e. das „Inventar“) und wie diese in der Anlage aufbewahrt bzw. verpackt sind. Dies stellt das Gefährdungspotential dar. In einem zweiten Schritt gilt es, denkbare Störfall- bzw. Unfallabläufe in der Anlage, in Kenntnis der vorherrschenden Randbedingungen (z.B. Auslegung der Anlage, Inventar, Betriebsprozesse) zu eruieren. Hierfür hat sich der Gesuchsteller an die Anforderungen der UVEK-Verordnung über die Gefährdungsannahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen (SR 732.112.2) zu halten. Diese Verordnung hält fest, welche Störfälle mit Ursprung innerhalb und ausserhalb der Anlage berücksichtigt und betrachtet werden (Art. 4 und 5) sollen. Hierzu zählen u.a. Brand, Versagen von Systemen, Explosionen, Absturz schwerer Lasten, Erdbeben, Flugzeugabsturz oder extreme Wetterbedingungen. Nach Ermittlung der für die Anlage relevanten, denkbaren Störfälle gilt es, in einem dritten Schritt diese Störfälle im Hinblick auf ihre Auswirkungen in- und ausserhalb der Anlage zu analysieren. Insbesondere sind die radiologischen Auswirkungen auszuweisen und zu bewerten. Als Bewertungsmassstäbe werden in Abhängigkeit der Eintrittshäufigkeit der Störfälle Dosishöchstwerte der Strahlenschutzverordnung und/oder die Eingreifswerte im Dosismassnahmenkonzept (DMK) der Verordnung über die Organisation von Einsätzen bei ABC- und Naturereignissen (Anhang 1 der ABCN-Einsatzverordnung, SR 520.17) herangezogen. Für Störfälle, welche eine Eintrittshäufigkeit grösser als 10-6/Jahr aufweisen gelten Dosishöchstwerte, deren Einhaltung vom Antragsteller nachzuweisen ist. Falls infolge eines Störfalls die radiologischen Auswirkungen höher als ein Eingreifswert des DMK ausfallen, wären Schutzmassnahmen (z.B. Aufenthalt im Haus für Kinder, Jugendliche und Schwangere, geschützter Aufenthalt im Haus, Keller oder Schutzraum, vorsorgliche Evakuierung, Massnahmen in der Landwirtschaft, Einnahme von Iodtabletten) für die Bevölkerung zu erwägen. Der niedrigste Eingreifswert für Schutzmassnahmen liegt nach DMK bei 1 mSv. Die Kenntnis sowohl der Auswirkungen von Störfällen in der Umgebung als auch der Eingreifswerte für Schutzmassnahmen legen fest, ob und in welchem Umfang Massnahmen in der Umgebung im Ereignisfall zum Schutz der Bevölkerung zu treffen wären. Diese Kenntnis stellt für den Antragsteller die Grundlage für die Erarbeitung eines externen Notfallschutzkonzeptes dar. Das Zonenkonzept in der Umgebung der Kernanlage stellt dabei einen wichtigen Baustein des Notfallschutzkonzeptes dar. In diesem Zusammenhang sind die existierenden und bekannten Zonenkonzepte um die Schweizer KKW zu erwähnen, jedoch auch dasjenige welches am Standort des Paul Scherrer Instituts bzw. der ZWILAG umgesetzt wurde. Letzteres ist gleichfalls das Ergebnis von Betrachtungen der Auswirkungen in der Umgebung als Folge von möglichen Störfallabläufen am Standort. Die spezielle Notfallschutzzone PSI/ZWILAG wurde in Absprache mit den zuständigen kantonalen Behörden festgelegt und ist in ihrem Ausmass deutlich kleiner als die der Zone 1 eines Schweizer KKW. Zu den vorbereiteten Massnahmen gehören die rasche Alarmierung der Bevölkerung und deren Information durch den Kanton (Kapo). Mit der Information durch den Kanton wird die Bevölkerung dazu aufgerufen, Schutz im Haus aufzusuchen.

Zusammenfassend werden belastbare Aussagen zum Gefährdungspotential der geplanten Kernanlage, zu den Auswirkungen von Störfällen auf die Umgebung und zur Notwendigkeit von Notfallschutzzonen in der Regel erst mit dem nuklearen Baubewilligungsgesuch (gemäss Entsorgungsprogramm der Nagra (NTB 08-01 Tabelle 5.1a und b) erfolgt diese für das SMA- bzw. das HAA-Lager frühestens 2025 bzw. 2030) erwartet bzw. erst dann von der Bewilligungsbehörde gefordert.

c) und d)

Gemeinsame schriftliche Stellungnahme des ARE und des Kantons Aargau (als Beispiel für die Praxis der Kantone):

Im Gegensatz zur Notfallschutzverordnung (NFSV) nimmt die Störfallschutzverordnung (StFV) neu Bezug auf die raumplanerische Abstimmung (Art. 11a StFV, in Kraft seit dem 1. April 2013, siehe unten). Eine bereits bestehende Planungshilfe „Koordination Raumplanung und Störfallvorsorge entlang von risikorelevanten Bahnanlagen“ soll nächstens auf jene Risiken ausgedehnt werden, die von ortsfesten Anlagen und Rohrleitungen ausgehen. Die bestehende Planungshilfe bezüglich Störfallschutzverordnung enthält folgende Empfehlung: „Einrichtungen mit schwer evakuierbaren Personen wie Kindergärten, Schulen, Altersheime, Spitäler, Gefängnisanstalten etc. sind besonders empfindlich auf Störfälle. Sie sollten deshalb grundsätzlich nicht im Konsultationsbereich neu geplant werden.“ Die überarbeitete Planungshilfe wird nach unseren Informationen eine ähnlich lautende Empfehlung enthalten.

Aktuell gilt für die Kantone im Bereich Notfallschutzverordnung Folgendes:

Die für Kernanlagen festgelegten Gefährdungszonen nach NFSV haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Festlegung von raumplanungsrechtlichen Nutzungszonen bzw. auf die in den Bauzonen zulässigen Nutzungen und Bauten. Kernanlagen müssen im normalen Betrieb die ordentlichen Vorschriften (z.B. Grenzwerte) auch in Bezug auf angrenzende Nutzungszonen einhalten. Ist dies der Fall, bestehen keine weiteren planungsrechtlichen Auswirkungen.

Rechtlich ist es also so, dass die NFSV keine unmittelbare raumplanerische Auswirkung hat bzw. von der NFSV kein direkter Bezug zur Raumplanung besteht. Umgekehrt sind jedoch mögliche Gefährdungen im Rahmen der raumplanerischen Interessenabwägung immer mit einzubeziehen, so bspw. bei der Ausscheidung oder Umzonung von Bauzonen, die nur so weit erfolgen dürfen, als dass die Vorschriften und Grenzwerte eingehalten bleiben.

Hinzu kommt, dass aus politischer Sicht in der Regel eine kommunale Nutzungsplanung im Notfall besonders tangierte Nutzungen wie Schulen, Spitäler oder Pflegezentren vorsorglich so anordnet, dass innerhalb der Gemeinde im Notfall eine grösstmögliche Distanz zu einer Kernanlage besteht.

Auszug aus der Störfallverordnung, StFV:

Art. 11a StFV Koordination mit der Richt- und Nutzungsplanung

1Die Kantone berücksichtigen die Störfallvorsorge in der Richt- und Nutzungsplanung.

2Die Vollzugsbehörde bezeichnet bei Betrieben, Verkehrswegen und Rohrleitungsanlagen den angrenzenden Bereich, in dem die Erstellung neuer Bauten und Anlagen zu einer erheblichen Erhöhung des Risikos führen kann.

3Bevor die zuständige Behörde über eine Änderung einer Richt- oder Nutzungsplanung in einem Bereich nach Absatz 2 entscheidet, holt sie zur Beurteilung des Risikos bei der Vollzugsbehörde eine Stellungnahme ein.


1 Ausnahme: Kernanlagen mit geringem Gefährdungspotential nach Art. 22 KEV bedürfen keiner Rahmenbewilligung.