Die Ausserbetriebnahme von Kernkraftwerken

Bundesrat und Parlament haben den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Die bestehenden Kernkraftwerke sollen am Ende ihrer Betriebszeit nicht durch neue ersetzt werden. Sie können aber so lange weiter betrieben werden, wie ihre Sicherheit gewährleistet ist. Die Ausserbetriebnahme erfolgt somit geordnet und sicherheitsgerichtet. Das ENSI ist darauf vorbereitet.

Die schweizerische Kernenergiegesetzgebung sieht keine Laufzeitbeschränkungen für Kernkraftwerke vor. Eine unbefristete Betriebsbewilligung bedeutet aber nicht unbefristeter Betrieb. Ein Kernkraftwerk darf solange betrieben werden, wie es die gesetzlichen Sicherheitsanforderungen erfüllt. Gemäss Kernenergiegesetz ist der Betreiber für die Sicherheit seiner Anlage verantwortlich. Das ENSI überprüft, ob der Betreiber dieser Verantwortung nachkommt und verschafft sich durch eigene Analysen, Inspektionen – mehr als 300 pro Jahr – und Aufsichtsgespräche ein unabhängiges Bild. Das ENSI verfügt zudem über eine Online-Überwachung von ausgewählten, sicherheitstechnisch wichtigen Betriebsparametern sowie der Radioaktivitätsemissionen und -immissionen.

Vorläufige Ausserbetriebnahme

Ein Kernkraftwerksbetreiber ist gesetzlich verpflichtet, die Auslegung seiner Anlage zu überprüfen, wenn er annehmen muss, dass die Kühlung des Reaktors bei Störfällen oder die Integrität des Reaktorkreislaufs und der Sicherheitsbarrieren um den Reaktor nicht mehr gewährleistet sind. Ebenso muss er nach jedem bedeutenden Ereignis in einem ausländischen Kernkraftwerk überprüfen, ob seine Anlage gegen ein solches Ereignis gewappnet wäre. Der Betreiber muss dem ENSI zeigen, dass die sicherheitstechnische Auslegung des Kernkraftwerks die unzulässige Freisetzung von Radioaktivität verhindert. Wenn nicht, muss er sein Kernkraftwerk unverzüglich vorläufig ausser Betrieb nehmen und – will er weiter Strom produzieren – sicherheitstechnisch nachrüsten.

Die Überprüfung der Auslegung eines Kernkraftwerks erfordert zeitaufwändige Modellrechnungen, um das physikalische und chemische Verhalten der Anlage bei Störfällen möglichst korrekt abzubilden und verlässliche Resultate zu erzielen. Das Kernkraftwerk darf bis zum Vorliegen der Resultate weiterlaufen. Für eine vorsorgliche Abschaltung besteht keine gesetzliche Grundlage, ausgenommen, es gibt einen konkreten Anlass zur Befürchtung, dass in naher Zukunft ein Störfall mit möglichen Folgen für Menschen und Umwelt eintreten könnte, also eine unmittelbare Gefahr droht. In diesem Fall kann das ENSI gemäss Kernenergiegesetz die Abschaltung eines Kernkraftwerks verfügen. Wenn in einem anderen Kernkraftwerk auf der Welt – wie im japanischen Fukushima – ein Ereignis eintritt, bedeutet dies aber noch keine unmittelbare Gefahr in Bezug auf die schweizerischen Kernkraftwerke. Ebenso bedeutet die Verfügung von Nachrüstmassnahmen nicht, dass eine unmittelbare Gefahr droht, sondern dass Verbesserungspotenzial erkannt wurde.

Das ENSI hat in der Folge des Unfalls in Fukushima eine Reihe von Verfügungen erlassen, die die Kernkraftwerksbetreiber dazu auffordern, die Auslegung ihrer Anlagen mit Blick auf die ersten Erkenntnisse aus dem Unfall zu überprüfen und Nachrüstungen zu tätigen. Der Terminplan hierfür ist strikt, sowohl für die Arbeiten der Betreiber als auch für die Begutachtung durch das ENSI. Die Gutachten werden veröffentlicht.

Ein weiteres Kriterium für die vorläufige Ausserbetriebnahme sind Alterungsschäden im Reaktorkreislauf und an den Sicherheitsbarrieren um den Reaktor (Stahldruckschale und Betonhülle). Diese Komponenten müssen regelmässig auf Alterungsschäden wie Materialversprödung, Risse und Wandstärkenabnahme untersucht werden. Wenn die diesbezüglichen Messwerte vorgegebene Limiten erreichen, muss das Kraftwerk vorläufig ausser Betrieb genommen werden, bis der zulässige Zustand wieder hergestellt ist.

Langzeitbetrieb und definitive Ausserbetriebnahme

Drei der fünf Schweizer Kernkraftwerke sind rund 40 Jahre alt. Die Kernenergiegesetzgebung hat das Ziel, den Schutz von Menschen und Umwelt durch ständige Verbesserung der Sicherheit zu gewährleisten. Lernen aus anderen Ereignissen ist deshalb in der Kernenergiegesetzgebung verankert, ebenso die Pflicht der Betreiber, den Stand von Wissenschaft und Technik zu verfolgen und ihre Anlagen ständig nachzurüsten. Darauf fusst der sichere Langzeitbetrieb.

In Ergänzung zur laufenden Aufsichtstätigkeit stellt die alle 10 Jahre durchzuführende ganzheitliche sicherheitstechnische Beurteilung eines Kernkraftwerks („Periodische Sicherheitsüberprüfung“) ein wichtiges Aufsichtsinstrument für den Langzeitbetrieb dar. Hierbei ist einerseits die kraftwerksspezifische Betriebserfahrung der letzten 10 Jahre auszuwerten und mit Betriebserfahrungen anderer Kernkraftwerke zu vergleichen. Andererseits ist der aktuelle Zustand des Kernkraftwerks mit dem Stand von Wissenschaft und Technik zu vergleichen. Seit Anfang der 90er-Jahre müssen die Kernkraftwerke zudem ein systematisches Alterungsüberwachungsprogramm in den Bereichen Maschinen-, Elektro- und Bautechnik durchführen. Vor dem 40. Betriebsjahr muss dem ENSI im Rahmen der Periodischen Sicherheitsüberprüfung ein Bericht zum Langzeitbetrieb des Kraftwerks eingereicht werden. Dieser enthält die Resultate des Alterungsüberwachungsprogramms, eine Analyse, dass beim geplanten Weiterbetrieb keines der Ausserbetriebnahmekriterien erreicht wird, aktualisierte Sicherheitsanalysen sowie die Bewertung der bereits realisierten und noch geplanten Nachrüstprojekte.

Der Langzeitbetrieb und die Überprüfung, ob Kriterien für die Ausserbetriebnahme von Kernkraftwerken erfüllt werden könnten, gehören zur normalen Aufsichtstätigkeit des ENSI. Es ist deshalb gut vorbereitet auf den von Bundesrat und Nationalrat gefassten Ausstiegsbeschluss, die bestehenden Kernkraftwerke ohne Ersatz solange weiter zu betreiben, wie sie sicher sind. Da die Alterungsmechanismen von Kernkraftwerkskomponenten gut erforscht sind und international eine grosse Betriebserfahrung besteht, lässt sich der weitere Alterungsverlauf gut vorhersagen. An einem Kernkraftwerk kann mit Ausnahme weniger Grosskomponenten wie Reaktordruckbehälter, Stahldruckschale und Reaktorgebäude alles ersetzt werden. Wie lange ein Kernkraftwerk betrieben werden kann, hängt letztlich vom Zustand dieser Grosskomponenten und der Bereitschaft des Betreibers ab, zukünftig zu erwartende Nachrüstungen zu tätigen. Die definitive Ausserbetriebnahme wird daher in der Regel nicht die Behörde aufgrund von Sicherheitsmängeln verfügen, sondern der Betreiber wird seine Anlage geordnet ausser Betrieb nehmen, wenn er sich aus technischen und ökonomischen Gründen dafür entscheidet.

Stilllegung und Rückbau

Die Stilllegung und der Rückbau eines Kernkraftwerks bis zur grünen Wiese sind ein arbeitsintensives und zeitaufwändiges Unterfangen. Es gibt jedoch international bereits zahlreiche Referenzprojekte, sodass für alle geplanten Arbeiten einschlägige praktische Erfahrungen vorliegen. Wichtig ist auch hier wie beim Kraftwerksbetrieb, dass die Arbeiten sorgfältig und unter Einhaltung der Strahlenschutzvorgaben erfolgen. Vom endgültigen abstellen der Anlage bis zum Beginn der eigentlichen Rückbauarbeiten, d.h. vor der Stilllegungsverfügung des UVEK durchläuft das Werk die so genannte Nachbetriebsphase. In dieser Phase befinden sich noch abgebrannte Brennelemente am Standort; alle Sicherheits- und Sicherungsmassnahmen entsprechen der Betriebsphase.

Der Rückbau, welcher in der Stilllegungsverfügung bewilligt wird und der in der Regel erst beginnt, wenn alle Brennelemente aus der Anlage entfernt sind, lässt sich grob in folgende Schritte unterteilen:

  1. Abbruch von Anlagenteilen, die für den Stillstandsbetrieb der Anlage nicht mehr benötigt werden.
  2. Demontage der nicht oder wenig radioaktiven Komponenten im Reaktorgebäude und in der Stahldruckschale. Bei Druckwasserreaktoren können in dieser Phase auch die Dampferzeuger demontiert werden.
  3. Rückbau des Reaktordruckbehälters inkl. Deckel, Kerneinbauten und biologischem Schild (armierte Betonwände). Die Arbeiten dieser Phase sind aus Sicht des Strahlenschutzes anspruchsvoll, da die Komponenten stark aktiviert oder kontaminiert sind.
  4. Rückbau der restlichen teilweise radioaktiven Anlagenteile und Dekontamination.
  5. Am Schluss erfolgt der Abbruch der verbleibenden Gebäude in konventioneller bauhandwerklicher Weise bis hin zur grünen Wiese.

Radioaktiv kontaminierte Komponenten und Gebäude werden soweit möglich dekontaminiert, um das Volumen an radioaktiven Abfällen gering zu halten. Nach dem Nachweis der Kontaminationsfreiheit (Freimessung) können die Komponenten, Gebaude oder Bauschutt aus der kernenergierechtlichen Aufsicht entlassen werden.

Stilllegung und Rückbau der schweizerischen Kernanlagen unterstehen der Aufsicht durch das ENSI. Die Kosten der Stilllegung – wie auch der Entsorgung der radioaktiven Abfälle – werden von den Kernkraftwerksbetreibern mit Abgaben an den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds vorfinanziert. Das ENSI prüft bereits jetzt regelmässig die bestehenden Stilllegungspläne für die Kernkraftwerke. Hierin sind die geplanten Rückbauarbeiten, der Zeitbedarf, eine Strahlenschutzplanung sowie Angaben über Art und Menge der erwarteten radioaktiven Abfälle für jedes einzelne Kraftwerk spezifiziert. Diese Pläne begründen auch die Höhe der entsprechenden Fondsbeiträge. In Umsetzung internationaler Empfehlungen der IAEA und der WENRA hat das ENSI begonnen, eine Stilllegungsrichtlinie zu erstellen, die weitere Einzelheiten von Stilllegungsprojekten detailliert regelt.