Risse im Kernmantel Mühleberg

Zurzeit finden sich in verschiedenen Medien der deutschen Schweiz Berichte über Risse im Kernmantel des Reaktors in Mühleberg. Dazu hat das ENSI ein Dossier mit den wichtigsten Fakten zusammengestellt.

Die Risse im Kernmantel des Kernkraftwerks Mühleberg gibt es seit 1990. Das ENSI hat regelmässig darüber berichtet. Alle bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass der Kernmantel des Kraftwerks Mühleberg seine sicherheitstechnischen Aufgaben trotz der Risse erfüllt und das Sicherheitskonzept nicht geschwächt ist.

Was ist ein Kernmantel?

  1. Deckel des Reaktordruckbehälters
  2. Auslass für Dampf (Primärkreislauf)
  3. Dampf
  4. Einlass für Kühlwasser (Primärkreislauf)
  5. Kernmantel
  6. Brennelemente
  7. Steuerstäbe
Der Kernmantel trennt im Innern des Reaktordruckbehälters (RDB) die Strömungsrichtungen des Reaktorkühlwassers. Weiter muss er Brennelemente stabilisieren und das Wasserniveau halten. Der Kernmantel steht nicht unter Druck und hat keine Einschlussfunktion. Er ist unten und oben offen. In der Schweiz ist der eigentliche Kernmantel in den Kernkraftwerken Leibstadt und Mühleberg im Einsatz.

Der aktuelle Stand

Das Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) ist zurzeit abgeschaltet, um die jährlichen Revisionsarbeiten vorzunehmen. Das KKM führt dabei auch Nachrüstarbeiten durch. Diese Nachrüstungen betreffen nicht den Kernmantel, sondern den Hochwasserschutz. Das ENSI hatte aufgrund der Erkenntnisse aus dem Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi Sicherheitsüberprüfungen und Lösungen zur Verbesserung der Sicherheit bei schwersten Naturereignissen gefordert.

Die Kraftwerksbetreiberin muss in der aktuell laufenden Revision vorschriftsgemäss auch erneut die Entwicklung der Risse am Kernmantel überprüfen und nachweisen, dass die Kernmantelfestigkeit nach wie vor dem Regelwerk entspricht.

Das ENSI beaufsichtigt diese Arbeiten. Es prüft die Nachweise des Betreibers bezüglich Stabilität des Kernmantels und führt Inspektionen durch. Alle bisherigen Überprüfungen haben gezeigt, dass der Kernmantel trotz der vorhandenen Risse die vom Regelwerk geforderten Festigkeitswerte einhält.

Das ENSI wird die Öffentlichkeit auch über die diesjährigen Prüfergebnisse informieren, sobald sie vorliegen.

 

Der Kernmantel

Kernkraftwerke mit Siedewasserreaktoren wie Mühleberg verfügen über einen Kernmantel, der den Reaktorwasserstrom im Innern des Reaktordruckbehälters lenkt. Der Kernmantel steht nicht unter Druck und hat keine Barrierenfunktion zum Einschluss von Radioaktivität. Er ist aber wichtig für das sichere Abschalten des Reaktors.

Kernmantel KKM
Der Kernmantel besteht aus mehreren miteinander verschweissten Blechringen.

 

Risse im Kernmantel

1990 wurden bei einer Routinekontrolle im KKM erstmals Risse bei einer horizontalen Schweissnaht des Kernmantels festgestellt. Seither werden diese Risse regelmässig und genau überwacht. Die Risse befinden sich vor allem an der mittleren Schweissnaht des Kernmantels.

Kernmantel KKM, Rissbefunde
Die Grafik zeigt die Ergebnisse der Ultraschallmessungen an den Schweissnähten 4 und 11 aus der Untersuchung 2009.

 

Die Ultraschallmessungen erlauben eine genaue Bestimmung der Risslängen. Mit den bisher eingesetzten Verfahren konnten die Risstiefen nicht mit der gleichen Zuverlässigkeit gemessen werden wie die Risslängen. Die Messwerte der Risstiefen hatten informativen Charakter. Deshalb werden die Risse zusätzlich visuell mit Unterwasserkameras geprüft. Mit dem eingesetzten visuellen Verfahren ist zuverlässig erkennbar, wenn es wanddurchdringende Risse gibt. Bisher wurden aber keine solchen wanddurchdringenden Risse gefunden. In den Sicherheitsanalysen wurde zudem stets gezeigt, dass die Sicherheit selbst dann gewährleistet ist, wenn die Risse auf den gemessenen Längen wanddurchdringend wären.

Kernmantelrisse sind weltweit bekannt. Sie treten auch in zahlreichen andern Kraftwerken mit vergleichbarer Technik auf und sind entsprechend gut untersucht.

Das ENSI hatte bereits 1997 beim deutschen TÜV Süd eine Zweitmeinung zur Frage der Kernmantelrisse im Kraftwerk Mühleberg eingeholt. Auch der TÜV Süd kam zum Schluss, dass der Kernmantel seine sicherheitstechnische Aufgabe trotz der Risse erfüllt und das Sicherheitskonzept nicht geschwächt ist.

Alle seitherigen Überprüfungen in Mühleberg haben dasselbe Resultat ergeben: Der Kernmantel entspricht den Anforderungen des Regelwerks und erfüllt seine sicherheitstechnische Funktion.

Ausdehnung der Risse:

Kernmantel KKM, Rissentwicklung
Das Wachstum der Kernmantelrisse, dokumentiert in einer Aktennotiz des KKM.

Die Risse sind in den letzten Jahren länger geworden. Das KKM hat jedoch Anstrengungen unternommen, dem weiteren Risswachstum entgegenzuwirken. Im Jahr 2000 wurde damit begonnen, durch Zugabe von beispielsweise Wasserstoff oder Edelmetall die Chemie des Reaktorwassers zu beinflussen, damit das Risswachstum gehemmt wird. Das Verfahren wurde in mehreren Schritten verbessert. Wie die Abbildung zeigt, ist das Längenwachstum der Risse in den letzten Jahren zurückgegangen.

Trotzdem verlangt das ENSI weiterhin alle zwei Jahre eine neue sicherheitstechnische Beurteilung der Kernmantelintegrität.

 

Zuganker

Kernmantel KKM, Zuganker
Mit dieser Konstruktion werden die verschweissten Kernmantelringe mit Klammern stabilisiert.

Obwohl die Überprüfung in Mühleberg ergeben hatte, dass der Kernmantel allen Anforderungen des Regelwerks genügt, hat das KKM als vorsorgliche Massnahme bereits 1996 sogenannte „Zuganker“ am Kernmantel angebracht. Mit dieser Konstruktion werden die verschweissten Kernmantelringe mit Klammern stabilisiert. In den USA und Spanien beispielsweise sind die Kernmäntel von Siedewasserreaktoren mit solchen Zugankern ausgestattet. Sie wurden dort von den Aufsichtsbehörden als abschliessende Reparatur anerkannt.

Im Unterschied zu anderen Aufsichtsbehörden, hat das ENSI die realisierte Zugankerkonstruktion nicht als Reparatur anerkannt, die eine Prüfung des Zustands der Schweissnähte überflüssig macht. Und das ENSI ist zum Schluss gekommen, dass langfristig zusätzliche Massnahmen notwendig sind, um die Sicherheit des Kernmantels zu gewährleisten. Es stützte sich dabei auf ein Gutachten von TÜV Nord aus dem Jahr 2007. Das ENSI hatte TÜV Nord 2006 beauftragt, die Konstruktion der Klammern am Kernmantel in Mühleberg zu bewerten.

TÜV Nord kam in seinen Untersuchungen zum Schluss, dass die ergriffenen Massnahmen für den Langzeitbetrieb des KKM nicht genügen. Das ENSI hat das KKM deshalb aufgefordert, bis Ende 2010 einen überarbeiteten Lösungsvorschlag für den Langzeitbetrieb einzureichen.

Das KKM hat die entsprechenden Vorschläge beim ENSI eingereicht. Die Eingabe wird zurzeit im Rahmen der Stellungnahme zum Langzeitbetrieb des KKM vom ENSI geprüft. Dabei werden die Ergebnisse der im jetzigen Revisionsstillstand vorzunehmenden Prüfarbeiten berücksichtigt.

Über die Ergebnisse wird das ENSI berichten, sobald sie vorliegen.

Das erwähnte Gutachten des TÜV Nord war auch Gegenstand eines Gerichtsverfahrens zwischen der BKW und Kernenergiegegnern. Ein erster richterlicher Beschluss hat die Veröffentlichung des TÜV-Gutachtens verboten. Über die zentralen Resultate hat das ENSI aber in seiner sicherheitstechnischen Stellungnahme zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung des Kernkraftwerks Mühleberg im November 2007 berichtet.