Kernmantelrisse KKM: Bisherige Bewertung des ENSI bestätigt

Der Kernmantel im Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) erfüllt seine Funktionen weiterhin ohne Zusatzmassnahmen. Neue Messungen der Risse an zwei Schweissnähten des Kernmantels bestätigen die bisherigen Bewertungen des ENSI und belegen: die Risse sind nicht wanddurchdringend und laufen nicht rund um den Kernmantel. Für den Langzeitbetrieb verlangt das ENSI aber weitere Verbesserungsmassnahmen.

Bild ENSI: Revision Kernreaktor Mühleberg 2011
Bild ENSI: Revision Kernreaktor Mühleberg 2011

Risse im Bereich der Schweissnähte des Kernmantels von Siedewasserreaktoren sind weltweit ein bekanntes Phänomen und gut untersucht. So sind zum Beispiel in den USA 36 Reaktoren mit diesem Problem konfrontiert, das sich mit zunehmender Betriebsdauer verschärft.

In Mühleberg wurden 1990 erstmals Risse im Bereich der Schweissnähte des Kernmantels festgestellt. Seitdem werden die Schweissnähte kontinuierlich überwacht und die Veränderung der Risse mit visueller Prüftechnik, Wirbelstrom- und Ultraschalltechnik registriert. Dabei wird die Länge der Risse erfasst und nach jeder Messung bruchmechanisch bewertet.

Die Tiefe der Risse wurde bei den bisherigen Messungen nur grob als zusätzliche Information mitbestimmt. Um kein Risiko einzugehen, ging man bei den bruchmechanischen Berechnungen zur Sicherheit des Kernmantels aber immer davon aus, dass die Risse wanddurchdringend seien, auch wenn es klare Indizien dafür gab, das dies in der Realität nicht der Fall war.

Ultraschallroboter messen die Risstiefe

Diese Vermutung wurde jetzt bei den neusten Untersuchungen bestätigt: Im Rahmen des Revisionsstillstandes 2011 liess die BKW die Entwicklung der Risse im Kernmantel in den letzten Wochen erneut durch externe Spezialisten untersuchen. Erstmals kam dabei ein neues, wesentlich verbessertes Verfahren für die Ultraschallprüfung zum Einsatz. Mit den verwendeten Ultraschallrobotern (Abbildung 1) konnte nicht nur der Prüfumfang wesentlich erweitert, sondern insbesondere auch die Tiefe der Risse zuverlässig gemessen werden.

Ultraschallroboter (Grafik) WesDyne TRC AB
Abbildung 1: Top-Scanner für die Ultraschallmessung


Resultat: Die Risse sind definitiv nicht wanddurchdringend

Die Risse erweisen sich mit den neuen Messungen als weniger tief als bisher angenommen. Keiner ist wanddringend und keiner läuft rund um die ganze Schweissnaht.

Abbildung 2: Rissdiagramm Schweissnaht H3 KKMühleberg 2011
Abbildung 2: Abmessungen der Ultraschallanzeige für den Riss an der oberen Schweissnaht H3 des Kernmantels in Mühleberg

Das Beispiel der Schweissnaht H3 in Abbildung 2 zeigt, dass die Länge des Risses (horizontale Abmessung im Diagramm) in den zwei Jahren seit der letzten Messung 2009 leicht gewachsen ist. Dieses Wachstum liegt im Rahmen der bisherigen Erwartungen. Der Riss ist zugleich deutlich weniger tief als bisher angenommen. Er durchdringt lokal den Stahlmantel etwa bis zur Hälfte (Risstiefe von 12 bis 18 mm bei einer Wandstärke von 31 mm).

Zweitmeinung SVTI

Im Auftrag des ENSI hat der Schweizerische Verein für technische Inspektionen (SVTI) die Messungen am Kernmantel in Mühleberg überwacht. Seine Experten haben alle Schritte des Prüfprozesses vor Ort begleitet. Die dabei gewonnenen Urdaten der Ultraschallprüfung wurden durch den SVTI unabhängig ausgewertet und beurteilt.

Fazit des SVTI: „Die Ergebnisse des SVTI stimmen mit den Ergebnissen der Prüffirma überein.“

Im Vorfeld des Prüfverfahrens hatte die beim SVTI angesiedelte „Qualifizierungsstelle ZfP Schweiz“ das neue Ultraschallprüfsystem der Prüffirma einem systematischen Leistungsnachweis (Qualifizierung) an Testkörpern im Massstab 1:1 mit einer Vielzahl unterschiedlich grosser Testfehler unterzogen. Die Qualifizierung war erfolgreich.

Bei der Weiterentwicklung der Ultraschalltechnik und der anschliessenden Qualifizierung ist besonderes Gewicht auf die Verbesserung der Bestimmung der Tiefe der Risse gelegt worden.

„Die jetzt mit dem weiter entwickelten Prüfsystem gewonnenen Messergebnisse am Kernmantel zeigen, dass die tiefsten Risse nur bis in die Wandmitte hineinlaufen“, fasst  Klaus Dressler, Leiter des Nuklearinspektorats beim SVTI, das Resultat zusammen. Unabhängig von diesen Messergebnissen sei bei der bruchmechanische Bewertung des Kernmantels aber eine wanddurchdringende Tiefe aller Risse zugrundegelegt worden, wie das auch schon bei den früheren Bewertungen der Fall war.  „Die Bewertung enthält somit zusätzliche sicherheitstechnische Reserven.“


Sicherheit Kernmantel gewährleistet

Mit den neuen Prüfresultaten wird die Beurteilung des ENSI bestätigt, welche seine Experten aufgrund der früheren Messungen getroffen haben:

  • Der Kernmantel des KKM erfüllt weiterhin seine Funktion trotz der vorhandenen Risse.
  • Das Kernkraftwerk Mühleberg kann mittelfristig weiter sicher betrieben werden, dies bei kontinuierlicher Messung und bruchmechanischer Bewertung der Risse. Kurzfristige Zusatzmassnahmen sind nicht erforderlich.
  • Die Entwicklung der Risse muss weiter kontinuierlich überwacht werden.

Diese sicherheitstechnische Bewertung gilt für den kurz- und mittelfristigen Betrieb des KKM. Die langfristigen Aspekte werden vom ENSI im Rahmen der sicherheits­technischen Begutachtung des Langzeitbetriebs bewertet.


ENSI fordert langfristige Lösung

Die BKW hat vor einigen Jahren für den Fall, dass eine Schweissnaht unerwartet und entgegen der Messergebnisse und Berechnungen vollumfänglich durchreissen würde eine Art grosse Klammer, vier sogenannte Zuganker, installiert. Ähnliche Lösungen werden in mehreren Ländern weltweit als definitive Reparaturmassnahme akzeptiert, unter andern auch in den USA.

Die Zugankerkonstruktion des KKM wurde im Jahr 2006 unter Beizug des TÜV Nord vom ENSI beurteilt. Das ENSI hat die heutige Lösung mit den vier Zugankern für den Langzeitbetrieb nicht akzeptiert und ein Instandhaltungskonzept für den Kernmantel eingefordert. Die BKW hat inzwischen ein neues Konzept eingereicht. Bis Ende dieses Jahres wird das ENSI dazu Stellung nehmen.