Die Alterung von Kernkraftwerken wird laufend überwacht

Der Ausstiegsentscheid von Bundesrat und Parlament hat die Alterung von Kernkraftwerken in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. In der Schweiz gibt es eindeutige technische Kriterien, wann ein Kraftwerk ausser Betrieb zu nehmen ist.

Anlieferung des Reaktordruckbehehälters während des Baus des Kernkraftwerks Gösgen (Mitte der 1970er Jahre).

Mit Beznau I nahm 1969 das erste Kernkraftwerk in der Schweiz seinen Betrieb auf. Es folgten 1971 Beznau II, 1972 Mühleberg, 1979 Gösgen und 1984 Leibstadt. Drei der fünf Reaktoren in der Schweiz sind also um die 40 Jahre alt. Wie lange können unsere Kernkraftwerke sicher betrieben werden? Wann erreichen sie ihr „Pensionsalter“? Diese Frage ist ins Zentrum der Diskussion gerückt, seit Bundesrat und Parlament dieses Jahr beschlossen haben, geordnet aus der Kernenergie auszusteigen und die bestehenden Anlagen nicht durch neue zu ersetzen. Diese Alterungsfragen beschäftigen die Aufsichtsbehörden rund um den Globus, denn von den aktuell 435 Kernkraftwerken weltweit sind 162 über 30 Jahre alt, 40 Jahre oder älter sind 24 Kraftwerke.

Grosse Belastungen

Die Komponenten eines Kernkraftwerks sind teils grossen Belastungen ausgesetzt: Leitungen und Rohre müssen hohen Drücken standhalten und bei Schnellabschaltungen grosse Temperaturunterschiede verkraften. An Betonbauten nagt der Zahn der Zeit und der Reaktordruckbehälter, in dem sich die Brennelemente befinden und die Kernspaltprozesse ablaufen, ist einem ständigen Bombardement von Neutronen ausgesetzt. All diese Belastungen führen dazu, dass das Material langsam ermüdet. Die Betreiber sind für die Sicherheit ihrer Anlagen verantwortlich. Sie sind verpflichtet den Alterungsprozesse und den Zustand ihrer Anlage laufend zu kontrollieren.  Für jedes Kernkraftwerk in der Schweiz gibt es ein eigenes Alterungsüberwachungsprogramm. Das ENSI wacht darüber, dass die Betreiber ihre Verantwortung wahrnehmen. Die Spezialisten der Aufsichtsbehörde kennen alle Schweizer Anlagen aufgrund der ständigen Inspektionen sehr gut und können Probleme frühzeitig erkennen und bei Bedarf einschreiten.

Komponenten können ausgetauscht werden

Im Gegensatz zu Lebewesen, bei denen der ganze Organismus gleichzeitig altert und irgendwann sein „Betriebsende“ erreicht, können bei Kernkraftwerken sehr viele Komponenten ausgetauscht und durch neue ersetzt werden. Der Alterungsprozess kann dadurch verlangsamt werden. Die Schweizer Kernkraftwerke werden seit vielen Jahren laufend nachgerüstet. Insgesamt haben die Betreiber in der Schweiz schon viele hundert Millionen Franken in die  Erneuerung ihrer Anlagen gesteckt. So verfügt etwa das Kernkraftwerk Beznau als älteste Anlage in der Schweiz über das modernste elektrische Leitsystem in der Schweiz.

Gewisse Komponenten eines Kernkraftwerks können aber nicht ausgetauscht werden. Sie sind es, die die Lebensdauer eines Kernkraftwerks bestimmen. Besonders die Komponenten des Primärkreislaufs sind die limitierenden Faktoren. Der aus mächtigen Stahlringen zusammen geschweisste Reaktordruckbehälter etwa, das Herz der Anlage, kann nicht ausgetauscht werden. Der Reaktordruckbehälter ist es aber auch, der den stärksten Belastungen ausgesetzt ist: In seinem Innern herrschen bei Druckwasserreaktoren Temperaturen von über 300 Grad Celsius und ein Druck von etwa 160 bar (Siedewasserreaktoren: etwa 280°C und 70 bar). Dazu der andauernde Neutronenbeschuss. Bei den Kernspaltungsprozessen entweichen energiereiche Neutronen, die auf Eisenatome des Reaktordruckbehälters treffen. Die Neutronen stossen dabei die Eisenatome von ihren ursprünglichen Plätzen im Kristallgitter. Die weggestossenen Eisenatome verdrängen ihrerseits benachbarte Eisenatome. Dies führt zu einer sich fortsetzenden Störung im Material – der Reaktordruckbehälter versprödet und wird dadurch mechanisch weniger belastbar.

Ausserbetriebnahme von Kernkraftwerken klar geregelt

In der Ausserbetriebnahmeverordnung des UVEK (SR 732.114.5) nimmt die Versprödung des Reaktordruckbehälters denn auch eine zentrale Rolle ein. Aber auch Risse und Wandstärken im Primärkreislauf sind Kriterien zur Ausserbetriebnahme sowie der Zustand des Containments. Diese auf Verordnungsstufe geregelten technischen Alterungskriterien legen also genau fest, wann ein Kernkraftwerk ausser Betrieb zu nehmen ist. Das ENSI überprüft diese Kriterien laufend. Ist ein Kriterium erfüllt, muss das Kraftwerk „unverzüglich vorläufig ausser Betrieb genommen“ werden, wie es in der Verordnung heisst.

Nebst den technischen Kriterien kann ein Kernkraftwerk auch aus wirtschaftlichen Überlegungen vom Betreiber ausser Betrieb genommen werden, oder die Politik beschliesst, die Kraftwerke vorzeitig ausser Betrieb zu nehmen. Auf solche wirtschaftlichen oder politischen Entscheide hat das ENSI keinen Einfluss. Es beurteilt einzig aufgrund technisch-wissenschaftlicher Kriterien, wie lange ein Kraftwerk sicher betrieben werden kann.