EU-Stresstest: Hohes Sicherheitsniveau der Schweizer Kernkraftwerke bestätigt
Auch die Experten der European Nuclear Safety Regulators Group ENSREG erteilen den Schweizer Kernkraftwerken gute Noten. In ihrer Beurteilung des Länderberichts Schweiz zum EU-Stresstest kommen die EU-Sachverständigen zum Schluss: die Schweizer Kernkraftwerke erfüllen die internationalen Sicherheitsanforderungen in allen Bereichen. Für gewisse Aspekte erhält die Schweiz gar spezielles Lob.
Die Organisation der Atomaufsichtsbehörden der EU-Mitgliedstaaten ENSREG (European Nuclear Safety Regulators Group) hat heute in Brüssel die Berichte ihrer Expertenteams zu den einzelnen Ländern verabschiedet und veröffentlicht.
In diesen Peer Reviews haben die EU-Experten die Ende Dezember 2011 eingereichten Länderberichte beurteilt. „Im Rahmen des Stresstests zeigten die Schweizer Kernkraftwerke hohe Sicherheitsmargen und eine starke Robustheit“, fasst Bojan Tomic, Leiter des Peer Review Teams, das für die Schweiz zuständig ist, zusammen. „Der Grund dafür liegt in der gut konzipierten Auslegung aber auch in jahrelangem Nachrüsten.“
Im Bericht zur Schweiz werden besonders das proaktive Handeln des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI nach Fukushima und das Notfalllager Reitnau, welches sogar mit einer Good Practice ausgezeichnet wurde, hervorgehoben. Spezielle Erwähnung fand die Tatsache, dass die Energieversorgung der Schweizer Kernkraftwerke über sieben Sicherheits-Ebenen, so genannten Safety-Layers, verfügt. Auch der Schutz gegen den Verlust der Ultimativen Wärmesenke, also der Kühlung des Reaktors, wurde als „herausragend“ bezeichnet.
Die internationalen Sachverständigen, die den Schweizer Länderbericht zum EU-Stresstest im Auftrag der European Nuclear Safety Regulators Group ENSREG überprüft haben, anerkennen insbesondere auch die ausserordentlichen Anstrengungen der Schweiz im Bereich der Erdbebengefährdungsanalyse. Beim Thema Hochwasser hoben die Sachverständigen speziell den „sehr guten Hochwasserschutz“ des Kernkraftwerks Beznau hervor, welches von den EU-Sachverständigen bei ihrem Besuch in der Schweiz im vergangenen März besucht worden war. Gute Noten erhalten auch die Vorsorgemassnahmen gegen schwere Unfälle.
Nur Empfehlungen im auslegungsüberschreitenden Bereich
Im Auslegungsbereich der Kernkraftwerke wurden für die Schweiz keine Empfehlungen formuliert. Lediglich im Bereich von auslegungsüberschreitenden, extremen Wetterbedingungen und dem Wasserstoffmanagement bei schweren Unfällen empfehlen die Experten eine weitere Überprüfung.
„In diesen Bereichen hat das ENSI bereits weiteren Analysebedarf erkannt und im Aktionsplan Fukushima 2012 aufgenommen“, erklärt Rosa Sardella, Leiterin des Aufsichtsbereichs Systeme beim ENSI. „Die Überprüfungspunkte der Peer Review Experten werden im Aktionsplan ergänzt und im Rahmen des Zeitplanes mit umgesetzt.“ „Der EU-Stresstest war für alle Beteiligten ein grosser Aufwand“, bilanziert ENSI-Direktor Hans Wanner.
„Er hat sich aber im Interesse der weiteren Verbesserung der Sicherheit gelohnt.“ Der Stresstest sei vor allem aus internationaler Sicht von Interesse und von Bedeutung, denn es sei weltweit die erste Aktion dieser Art im Nuklearsektor gewesen, hält Wanner weiter fest.
Empfehlungen auf europäischer Ebene
In der Zusammenfassung zum EU-Stresstest kommen die Expertenteams zum Schluss, dass alle Teilnehmerländer „bedeutende Schritte zur Verbesserung der Sicherheit der Kernkraftwerke in ihren Ländern“ getätigt haben. Gleichzeitig haben die Peers vier Empfehlungen auf europäischer Ebene formuliert:
- Die WENRA soll Richtlinien zur Beurteilung von Naturgefahren wie Erdbeben, Hochwasser und Extremwetter einschliesslich der Bewertung von Sicherheitsmargen und Cliff-edge-Effekten, also sprunghaften Verschlechterungen des Anlagenzustandes durch geringe Änderungen von Anlagen- oder Einwirkungsparametern, für auslegungsüberschreitende Ereignisse ausarbeiten.
- Die ENSREG soll die Bedeutung von regelmässigen Sicherheitsüberprüfungen unterstreichen. Insbesondere soll sie die Bedeutung der periodischen Überprüfung der Naturgefahren und der Anlagenbestimmungen mindestens alle zehn Jahre propagieren.
- Bereits anerkannte Massnahmen zum Schutz der Containment-Integrität sollen rasch umgesetzt werden.
- Massnahmen zur Verhinderung von Unfällen durch Naturgefahren und zur Minderung der Unfallfolgen sollen umgesetzt werden.
„Diese Empfehlungen sind eine Chance, die Sicherheit der Kernkraftwerke in Europa weiter zu verbessern“, sagt Hans Wanner. Die Schweiz werde sich bei den weiteren Arbeiten aktiv engagieren. „Wir haben in der Schweiz bereits viele dieser Empfehlungen umgesetzt“, hält Wanner fest. Mit den Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) werden bereits heute alle Schweizer Kernkraftwerke alle zehn Jahre gründlich unter die Lupe genommen. Mit dem Notfalllager Reitnau wurde der Notfallschutz weiter verstärkt. Im PEGASOS-Refinement-Projekt werden die Erdbebendaten an den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik herangeführt. Und der Aktionsplan Fukushima sieht weitere Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit – auch des Containments – vor.
Stresstest als Antwort auf FukushimaDer EU-Stresstest ist die Antwort der europäischen Staaten mit eigenen Kernkraftwerken auf den Reaktorunfall von Fukushima nach dem Tsunami vom 11. März 2011. Am 1. Juni 2011 hatte das ENSI in einer Verfügung die Betreiber der Schweizer Kernkraftwerke aufgefordert, am EU-Stresstest teilzunehmen. Inhalt und Zeitrahmen hatte die EU-Kommission am 25. Mai 2011 in einer Spezifikation verabschiedet. Geprüft wurden drei Themen (Topics):
Die Betreiber reichten ihre Berichte bis zum 31. Oktober 2011 beim ENSI ein. Das ENSI prüfte die Berichte, verarbeitete diese zum Länderbericht und stellte diesen am 31. Dezember 2011 der EU-Kommission zu. Der PeerReview Prozess wurde von einem Gremium aus sieben Senior Aufsichtsexperten der EU-Länder und einem Senior Manager der EU-Kommission geleitet. Es wurden die Kernkraftwerke der 15 EU-Länder sowie der Schweiz und der Ukraine im EU-Stresstest überprüft. Insgesamt nahmen über 80 Experten aus 24 EU-Ländern am Peer Review teil. Der Peer-Review-Prozess verlief in drei Phasen: Dem Desktop Peer Review, dem Topical Peer Review und dem Country Peer Review. Ab dem 1. Januar 2012 fand im Desktop Peer Review eine erste Überprüfung der Länderberichte statt. Alle Reviewer hatten Zugang zu sämtlichen Länderberichten und konnten schriftlich Fragen an die Aufsichtsbehörden richten. Es wurden so insgesamt mehr als 2000 Fragen gestellt. Ab dem 5. Februar 2012 fanden im zweiwöchigen Topical Peer Review in Luxemburg Meetings zu den drei Topics statt. Das Review des Schweizer Länderberichtes fand am 9. und 10. Februar 2012 statt. Im Rahmen des Reviews wurden pro Topic die Ergebnisse des EU-Stresstests und bereits eingeleitete Nachrüstmassnahmen sowie spezifische Themen (Projekt PEGASOS, Einrichtung des externen Notfalllagers in Reitnau) präsentiert. Weiter wurden vom ENSI die 55 ersten, am höchsten priorisierten von insgesamt zirka 140 Fragen, die an das ENSI gerichtet wurden, beantwortet. Als Resultat der Topical Peer Reviews wurde über jedes Land ein Country Peer Review Draft Report erstellt, welcher die Ergebnisse des Review-Teams zusammenfasst und eine Auflistung von Punkten enthält (Open Issues), welche im Country Peer Review vom Review Team noch weiter verfolgt wurden. Des Weiteren wurden für jedes Topic ein Topical Peer Review Draft Report erstellt, in dem die Gesamtergebnisse über alle Länder aus Sicht der ENSREG zusammengefasst sind. Das Country Peer Review der Schweiz fand vom 26. bis 29. März 2012 in der Schweiz statt und umfasste auf Wunsch des Peer-Review-Teams einen Besuch des Kernkraftwerks Beznau. Es wurden vom ENSI und den Betreibern ausführliche Darstellungen zu den Punkten mit Klärungsbedarf (Open Issues) gegeben und sämtliche von den Peer-Reviewern aufgetretenen Fragen beantwortet. |
Das ENSI wird morgen an dieser Stelle ein Interview mit Bojan Tomic, dem Leiter des Peer-Review-Teams, das für die Schweiz zuständig ist, publizieren.