„Auf die Schweiz ist Verlass“
Das ENSI hat nicht die Aufgabe, das Image der Kernenergie aufzupolieren. Unsere Expertise dient nicht der Absicht, Befürworter oder Gegner mit Argumenten zu bedienen oder Umfrageergebnisse in die eine oder andere Richtung zu drücken.
Uns geht es allein um die Sicherheit der Schweizer Nuklearanlagen und die Einhaltung der in der Schweizer Gesetzgebung festgelegten Bestimmungen zur Kernenergie. Alles andere ist Sache der Politik und von Interessengruppierungen.
Wenn ich also wiederholt feststelle, die Schweizer Kernkraftwerke seien sicher, dann steckt dahinter keine politische Absicht, sondern die wissenschaftlich-nüchterne Erkenntnis aus tausenden von Daten, welche dies belegen.
Solange die Kernkraftwerke sicher sind, können sie am Netz bleiben. So ist es in der Schweiz Gesetz. Deshalb interessiert es uns auch nicht wirklich, wie alt ein Werk ist. Die entscheidende Frage ist nicht, ob ein Werk zwanzig oder vierzig Jahre in Betrieb ist. Entscheidend ist einzig, ob die Anlage die aktuellen Sicherheitsanforderungen erfüllt. Erfüllt sie die Anforderungen nicht, muss sie sofort ausser Betrieb genommen werden.
Dieses Sicherheitsdenken, diese Sicherheitskultur, ist in den letzten Monaten immer wieder positiv gewürdigt worden.
Deshalb darf der EU-Stresstest, der den Schweizer Kernkraftwerken ein hohes Sicherheitsniveau bescheinigt, durchaus mit Genugtuung aufgenommen werden. Nach den Experten der IAEA im vergangenen Dezember bestätigen damit erneut ausländische Fachleute (wie oftmals gefordert) nicht zuletzt auch die aussergewöhnliche Qualität des Sicherheitsdenkens, das in der Schweiz herrscht. Die zentrale Doktrin dazu lautet: „Sicherheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess“. Folgerichtig orten die EU-Prüfer einen der Gründe für die grosse Sicherheitsmargen, die sie den Schweizer Kernkraftwerken attestieren, im „jahrelangen engagierten Nachrüsten“.
Solch ein Expertenurteil entsteht nicht mit leichter Hand. Experten verschiedenster Disziplinen bringen ihr langjähriges, vielfältiges Knowhow ein und investieren viel Zeit. So hat beispielsweise die für nächsten Oktober geplante internationale OSART-Mission, welche die Sicherheit des Kernkraftwerks Mühleberg überprüfen wird, eine Vorlaufzeit von gut einem Jahr. Das erste vorbereitende Treffen, das im April stattgefunden hat, dauert mehrere Tage. Derzeit laufen die Vorbereitungen mit Aktenstudien und andern Recherchen. Für die eigentliche Prüfung vor Ort sind im kommenden Herbst drei Wochen veranschlagt. Dafür stehen ein Dutzend internationale Experten im Einsatz.
Die Datensammlung solcher umfassender Sicherheitsnachweise, ob sie nun von internationalen Experten und von ENSI-Fachleuten zusammengetragen werden, füllen schnell mal mehrere Ordner. Es liegt auf der Hand, dass die Auswertung dieser Daten Wochen, oftmals mehrere Monate dauern kann. Was auch bedeutet, dass der öffentliche Anspruch nach schnellen Resultaten schlicht nicht erfüllt werden kann. Qualität braucht Zeit – und Zeit bedeutet Qualität.
Das ENSI begrüsst solche Inspektionen von ausländischen Experten. Denn da kommen Fachleute in die Schweiz, welche in ihren eigenen Ländern professionelle Prüfer sind und auch in Missionen im Ausland weitere Anlagen überprüft haben. Sie verfügen damit über ein grosses Wissen, welches ihnen erlaubt, sowohl nach Details wie auch nach Zusammenhängen zu fragen, die nur wirkliche Insider kennen können.
Dass ENSI-Mitarbeiter ebenfalls geschätzte Experten im Ausland sind, unterstreicht den guten Ruf des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats und trägt dazu bei, unsere Tätigkeit immer wieder zu hinterfragen und auch neue Erkenntnisse zu übernehmen. Wir profitieren in erheblichem Masse vom Ausland.
Es ist mein Bestreben als Präsident der Vereinigung der westeuropäischen Nuklearaufsichtsbehörden WENRA, dass die internationale Harmonisierung der Sicherheitskriterien und -standards weiter verbessert wird. Deshalb arbeiten wir derzeit international an einem Plan, wie die Erkenntnisse aus dem EU-Stresstest europaweit möglichst rasch umgesetzt werden können.
Alle Experten, mit denen wir uns fortwährend austauschen und regelmässig zusammenarbeiten, eint dasselbe Interesse: Die Kernkraftwerke in Europa müssen sicher sein, weil von einem Ereignis alle betroffen wären. Die Überwachung der Sicherheit von Kernkraftwerken ist deshalb nicht eine interne Angelegenheit eines einzelnen Staates, sondern unbestritten eine Aufgabe der Staatengemeinschaft.
Das anerkennende, professionelle Urteil der ausländischen Experten über den Zustand der Schweizer Kernkraftwerke und unsere Sicherheitskultur bedeutet deshalb nichts anderes als: Wir können uns auf die Schweiz verlassen.
Hans Wanner
Direktor ENSI