„Das Kern­kraft­werk Gösgen ist si­cher­heits­tech­nisch in ei­nem gu­ten Zu­stand“

Das Kernkraftwerk Gösgen (KKG) ist in einem guten Zustand, fasst Georg Schwarz, Stellvertretender Direktor des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI und Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke die wichtigste Erkenntnis aus der Stellungnahme zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) zusammen. Die unvollständige und teilweise nicht nachvollziehbare Dokumentation, sowie Qualitätssicherungsprobleme im Analysebereich trüben dieses positive Bild, bedauert er im Interview.

Welches sind die wichtigsten Ergebnisse der PSÜ Gösgen?

Georg Schwarz: Die Überprüfung der PSÜ Gösgen hat gezeigt, dass das KKG sicherheitstechnisch in einem guten Zustand ist. Der Betreiber nimmt seine gesetzliche Pflicht und Verantwortung wahr und hat die notwendigen Massnahmen getroffen, um den Schutz der Bevölkerung und der Umgebung vor radioaktiver Strahlung zu gewährleisten. Die Auswertung der Betriebserfahrung innerhalb des Beurteilungszeitraumes zeigt, dass nur wenige Vorkommnisse auftraten, die zu Abweichungen vom Normalbetrieb führten. Alle Abweichungen wurden auslegungsgemäss beherrscht. Es wurden keine Grenzwerte verletzt. In allen Fällen bestand eine hohe Sicherheitsmarge. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass im KKG zwischen 1990 und Ende Juni 2012 keine ungeplante Reaktorschnellabschaltung auftrat. Das ist weltweit einmalig.

Das ENSI betont immer wieder, dass Sicherheit ein Prozess ist. Wird dies auch im KKG gelebt?

Das KKG hat im Bewertungszeitraum einige wichtige Nachrüstungen durchgeführt, die zur weiteren Erhöhung der Anlagensicherheit beitragen. Erwähnen möchte ich insbesondere den Ersatz der zwei primärseitigen Sicherheitsventile durch drei Sicherheits-/Abblaseventile. Dies führt zu einer klaren Verbesserung der primärseitigen Druckbegrenzung und im Anforderungsfall könnte der Primärkreis nun gezielt druckentlastet werden.

Trotzdem fordert das ENSI weitere Verbesserungsmassnahmen.

Ja. Wir haben bei der Überprüfung festgestellt, dass auch im KKG durchaus noch Potenzial für technische Verbesserungen vorhanden ist. Das ENSI hat das KKG aufgefordert verschiedene Aspekte genauer zu untersuchen und Nachrüstmassnahmen vorzuschlagen.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Zu erwähnen ist unter anderem der Ersatz der Leittechnik, die zwar von Gösgen vorgesehen ist, nach Ansicht des ENSI aber mit höchster Priorität umgesetzt werden muss. Der Grund liegt darin, dass für die meisten leittechnischen Einrichtungen keine Ersatzteile mehr produziert werden und auch die fachtechnische Unterstützung durch den Hersteller nicht mehr gewährleistet wird. Nach Ansicht des ENSI ist dies auf längere Sicht nicht haltbar und ein Ersatz der Leittechnik mit moderner Technik ist deshalb notwendig und muss so schnell wie möglich und machbar umgesetzt werden.

Das ENSI hat die Stellungnahme zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung des Kernkraftwerks Gösgen erst jetzt, mehr als drei Jahre nach deren Einreichung durch den Betreiber, veröffentlicht. Warum?

Normalerweise veröffentlichen wir unsere Stellungnahme zu einer PSÜ innerhalb von zwei Jahren nach deren Einreichung. Im Falle der PSÜ Gösgen waren es vor allem zwei Gründe, die eine Verzögerung von rund 16 Monaten bedingten: erstens führte die unvollständige und teilweise nicht nachvollziehbare Dokumentation zu umfangreichen Nachforderungen, was die Überprüfung erschwerte und verzögerte. Ein zweiter Grund war die Katastrophe in der japanischen Anlage Fukushima Dai-ichi. Diese führte dazu, dass das ENSI ab März 2011 die Arbeiten zur Stellungnahme an der PSÜ Gösgen aus Prioritätsgründen vorübergehend einstellen musste und erst gegen Ende 2011 wieder aufnehmen konnte.

Was hatte dies zur Folge?

Die Verzögerung führte unter anderem dazu, dass einige Forderungen, wie sie im Entwurf formuliert waren, zwischenzeitlich durch das KKG teilweise bereits erledigt, zumindest aber kommentiert wurden, sodass der anfangs 2011 vorliegende Entwurf der ENSI-Stellungnahme nochmals grundlegend überarbeitet werden musste, was zu weiteren Verzögerungen führte.

Sie haben auch von Mängeln bei der Dokumentation gesprochen.

Wie bereits anlässlich der Medienkonferenz zu den Erdbebennachweisen festgehalten, haben wir tatsächlich grössere Defizite bei den eigereichten Unterlagen im Bereich der Sicherheitsanalysen festgestellt. Diese erfüllten nur teilweise die Vorgaben des Regelwerkes, was zu umfangreichen Nachforderungen unsererseits führte.

Wie reagiert das ENSI darauf?

Das ENSI akzeptiert dieses Vorgehen seitens KKG nicht. Wir verlangten deshalb eine weitgehende Überarbeitung dieser Analyse. Wir sind zudem der Ansicht, dass eine reine Nachbesserung der Unterlagen nicht ausreichend ist. Das ENSI hat deshalb in diesem Bereich zusätzlich auch organisatorische und personelle Massnahmen verlangt. Das KKG hat in der Zwischenzeit bereits mit der Umsetzung begonnen. Das ENSI wird die Entwicklung in diesem Bereich aufmerksam verfolgen und notfalls weitere Massnahmen verlangen.

Weshalb kann das ENSI trotz der Mängel in der Dokumentation eine abschliessende Stellungnahme zum sicherheitstechnischen Zustand des Kernkraftwerks Gösgen abgeben?

Die eingereichte Information ist zusammen mit den nachgeforderten Unterlagen trotz der Mängel, die das ENSI identifiziert hat, umfassend genug, um zu zeigen, dass das KKG die sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllt.

Warum wird eine solche Sicherheitsüberprüfung nur alle zehn Jahre durchgeführt? Muss der Betreiber in der Zwischenzeit die Anlage nicht mehr prüfen?

Zusätzlich zur alle zehn Jahre stattfindenden PSÜ ist der Betreiber verpflichtet, systematische Sicherheits- und Sicherungsbewertungen während der ganzen Lebensdauer seiner Anlage durchzuführen. Er muss die Ergebnisse dieser systematischen Bewertungen in seinen Jahresberichten dokumentieren. Auch das ENSI veröffentlicht in seinem Jahresbericht eine Sicherheitsbewertung aus seiner Sicht zu jedem Kernkraftwerk. Die PSÜ ergänzt diese jährlichen Bewertungen um eine vertiefte, zusammenfassende Betrachtung aus grösserer Distanz.