Tongestein: Der Schlüssel zur sicheren Tiefenlagerung

Im Auswahlverfahren für geologische Tiefenlager hat die Sicherheit höchste Priorität. Radioaktive Stoffe müssen über lange Zeiträume von Mensch und Umwelt ferngehalten werden. Das Wirtgestein wirkt dabei als geologische Barriere. Im Felslabor Mont Terri wird seit 1996 im Tongestein geforscht.

Opalinuston-Bohrkern im Felslabor Mont Terri.

Eintönig grau erhebt sich die Felswand vor den Besuchern des Felslabors Mont Terri in St-Ursanne. Nur schwer lassen sich für den Laien einzelne Schichten aus verschiedenen Grautönen voneinander trennen. Dabei ist diese Felswand aus Tongestein eine aufgeschlagene Seite im Geschichtsbuch der Erde. Geologen können darin lesen.

Vor rund 175 Millionen Jahren war die Schweiz von einem tropischen Flachmeer bedeckt. Im warmen Wasser lebten Ammoniten und Ichthyosaurier. Flugsaurier glitten über das Wasser, in dem sich die Sonne spiegelte. Im Meer schwebten kleinste Tonteilchen, die vom weit entfernten Festland eingetragen wurden.

Langsam sanken die Teilchen auf den Meeresboden, wo sie abgelagert wurden und sich zur heute zwischen 90 und 120 Meter dicken Schicht des Tongesteins Opalinuston aufstapelten.

 

Immobiles Porenwasser wird analysiert

All diese Informationen entnehmen die Wissenschaftler dem grauen Gestein, das nach dem Fossil Leioceras opalinum, einem Ammoniten, benannt ist. Das Wort „opalinum“ deutet bereits darauf hin: Einzelne Fossilien entfalten wie Opale im Licht ein Farbenspiel. Dies, weil sich Teile der Ammonitenschale über 175 Millionen Jahre erhalten hat. Aber nicht nur die Schale der Ammoniten überdauerte die Jahrmillionen sondern auch das Meerwasser. Zwischen den millionstel Millimeter dünnen Schichten der Tonminerale im Opalinuston blieben Teile des Meerwassers erhalten. Das Gestein selbst erscheint an den Stollenwänden im Felslabor Mont Terri als trocken, denn das Meerwasser ist so im Opalinuston eingeschlossen, dass es sich nicht bewegen kann. Dass es sich dabei um Anteile von Meerwasser handelt, wissen die Forschenden, weil sie die Zusammensetzung des Porenwassers analysiert und diese mit der Zusammensetzung des heutigen Meerwassers verglichen haben.

Der Opalinuston wird aufgrund dieses hohen Einschlussvermögens als Wirtgestein für die Lagerung radioaktiver Abfälle in Betracht gezogen. Mehr als 60 Millionen Franken wurden seit der Gründung des Felslabors Mitte der 1990er-Jahre investiert. 15 Organisationen aus der ganzen Welt forschen im jurassischen St-Ursanne, weil ihre Herkunftsländer ebenfalls die Entsorgung radioaktiver Abfälle in Tongesteinen in Erwägung ziehen. Das Felslabor zählt deshalb zu den führenden Forschungseinrichtungen in Tongesteinen. Doch: Warum ist der Opalinuston für Forschende derart wertvoll?

 

Kein Durchkommen für radioaktive Stoffe

In der Schweiz sind es geologische Gründe, die für den Opalinuston in der Nordschweiz sprechen: Es ist das einzig mögliche Gestein für hochaktive Abfälle, das in der Schweiz in der geeigneten Tiefenlage (300 bis 900 Meter unter der Oberfläche) in genügender Mächtigkeit vorkommt und von den Forschern ungestört gelagert vorgefunden wurde.

Das ist jedoch nicht der einzige Grund: „Tongesteine weisen weitere positive Eigenschaften auf, um radioaktive Stoffe zurückzuhalten“, weiss Ann-Kathrin Leuz, Leiterin der Sektion Tiefenlagerung und Analysen beim ENSI. „So bestehen Tonminerale aus winzig kleinen Plättchen, die die meisten radioaktiven Stoffe an ihrer Oberfläche zurückhalten und so deren Ausbreitung verhindern oder wenigstens stark verlangsamen“, fährt sie fort. Diese Plättchen in einem Gramm Tongestein würden, wenn man sie nebeneinander legen würde, eine Fläche von 600 Quadratmetern bedecken – mehr als drei Tennisfelder. Wie zuverlässig der Opalinuston Stoffe zurückhalten kann, zeigt auch der Befund, dass Anteile des Millionen Jahre alten Meerwassers heute noch eingeschlosssen sind.

Trifft Wasser unter Tage auf den Opalinuston, gibt es kein Durchkommen. Das Gestein nimmt das Wasser auf, quillt an und dichtet ab. Das zeigt sich bereits auf dem Weg ins Felslabor in St. Ursanne. Im Berg fährt man zuerst durch Kalkgesteine, in denen sich Wasser gut bewegen kann. Hier tritt Wasser aus den Tunnelwänden aus und bildet Pfützen auf der Fahrbahn. Kommt man aber in den Bereich des Opalinustons, ist die Fahrbahn trocken – Wasser fliesst keines mehr. Bildet sich ein Riss im Opalinuston, kann das Gestein diese Verletzung durch sein Aufquellen wieder schliessen.

 

Opalinuston erfüllt hohe Anforderungen

Tongesteine haben auch Nachteile für die Lagerung radioaktiver Abfälle. So sind hochaktive Abfälle durch die Nachzerfallswärme immer noch warm. Opalinuston leitet, im Gegensatz zu Salz oder Granit, die Wärme nur schlecht ab. Deshalb dürfen die in ein geologisches Tiefenlager eingebrachten Behälter nicht zu warm sein, denn sonst würde der Opalinuston zu stark erwärmt und könnte langfristig Schaden nehmen.

Auch deshalb wird im Felslabor in St. Ursanne intensiv geforscht. Ein künftiges Tiefenlager für radioaktive Abfälle muss bekanntlich über 100‘000 Jahre (schwach- und mittelaktive Abfälle) beziehungsweise über etwa eine Million Jahre (hochaktive Abfälle) den Schutz von Mensch und Umwelt gewährleisten. Deshalb müssen Tiefenlager und Wirtgestein höchsten Sicherheitsansprüchen genügen. Im Auswahlverfahren für geologische Tiefenlager hat die Sicherheit die oberste Priorität. Wie die Forschung im Mont Terri bis jetzt zeigt, erfüllt der Opalinuston diese hohen Anforderungen.