EU-Stresstest: Schweizer KKW schneiden im europäischen Vergleich gut ab

Die EU-Kommission verlangt von allen Kernkraftwerken in der Europäischen Union Verbesserungsmassnahmen. Zu den Schweizer Anlagen nimmt sie nicht Stellung. Ein Vergleich der EU-Stresstestdaten zeigt aber: Die Schweizer Kernkraftwerke schneiden sehr gut ab. Mühleberg, Beznau und Gösgen erfüllen sämtliche von der Kommission als kritisch hervorgehobenen Punkte. Einzig das Kernkraftwerk Leibstadt müsste in einem Punkt nachbessern. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI hat hierzu bereits 2011 Forderungen gestellt.

In ihrem heute vorgelegten Bericht zum EU-Stresstest ortet die EU-Kommission bei allen 132 Kernkraftwerken in der Europäischen Union Bedarf für Nachbesserungen, welche bis 2015 umgesetzt werden sollten. Verbesserungen fordert die EU-Kommission insbesondere beim Schutz vor Naturkatastrophen und bei den Vorkehrungen für schwere Unfälle. Weil die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, verzichtet die EU-Kommission auf eine Beurteilung der Schweizer Kernkraftwerke. Die Schweiz hatte freiwillig am EU-Stressest teilgenommen.

Eine Ergänzung der Liste mit den Schweizer Kernkraftwerken nach denselben Kriterien zeigt einen guten Zustand der Schweizer Anlagen: „Die Schweizer Kernkraftwerke Mühleberg, Beznau und Gösgen hätten keine Empfehlung zur Nachbesserung der EU-Kommission erhalten“, erklärt Georg Schwarz, stellvertretender ENSI-Direktor und Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke. Das Kernkraftwerk Leibstadt würde bezüglich Wasserstoffmanagement eine Empfehlung erhalten. Dieser Punkt ist bereits im Schweizer Aktionsplan aufgenommen. Das Kernkraftwerk Leibstadt hat Ende Juni 2012 den Nachweis zur Wasserstoffproblematik eingereicht. Das ENSI überprüft ihn zurzeit und wird voraussichtlich Mitte 2013 Stellung nehmen.

Ebenfalls in Liste aufgeführt sind fünf Good Practices, positiv hervorgehobene Designmerkmale europäischer Kernkraftwerke. Hier sind die Schweizer Anlagen Spitzenreiter. Mit einer Ausnahme sind in sämtlichen Schweizer Kernkraftwerken alle Good Practices bereits realisiert. Die Ausnahme betrifft die diversitäre Wärmesenke des Kernkraftwerks Mühleberg, wie sie vom ENSI gefordert wurde. Alle anderen Good Practices wie gebunkerte Notstandsysteme und Notstandsdieselgeneratoren, zusätzliche mobile Dieselgeneratoren und Pumpen, sowie zusätzliche gebunkerte Notstandsleitstände sind in der Schweiz bereits Standard.

 

EU-Stresstest unterstreicht Good Practices der Schweiz

Die internationalen Experten, die den Schweizer Länderbericht zum EU-Stresstest geprüft hatten, verteilten bereits im April 2012 gute Noten für die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke. Der Peer-Review-Bericht hob besonders das proaktive Handeln des ENSI nach Fukushima und das Notfalllager Reitnau hervor. Spezielle Erwähnung fand die Tatsache, dass die Energieversorgung der Schweizer Kernkraftwerke über sieben Sicherheits-Ebenen, so genannten Safety-Layers, verfügt. Alle Schweizer Kernkraftwerke verfügen einerseits über gebunkerte Notstandsysteme. Dies bietet einen höheren Schutz gegen externe Einwirkungen wie Hochwasser und Erdbeben.

Anderseits ist der Zeitbedarf für die Wiederherstellung der Sicherheitsfunktionen beim Verlust der Stromversorgung und/oder der Wärmesenke in den Schweizer Kernkraftwerken ausreichend. Im Auslegungsbereich der Kernkraftwerke haben die internationalen Experten für die Schweiz keine Empfehlungen formuliert. Lediglich im Bereich von auslegungsüberschreitenden, extremen Wetterbedingungen und dem Wasserstoffmanagement bei schweren Unfällen empfehlen sie eine weitere Überprüfung. Diese Empfehlungen werden im Rahmen von Aktionsplänen bis 2015 behandelt.

 

„Strengste Sicherheitsvorkehrungen der Welt“

Bei aller Kritik kommt der Bericht der EU-Kommission insgesamt zu einer positiven Wertung des Zustands der Kernkraftwerke in Europa: „Die Bürger in der gesamten EU können darauf vertrauen, dass die Nuklearenergie in der EU unter den strengsten Sicherheitsvorkehrungen der Welt produziert wird“, heisst es in den Schlussfolgerungen.

Die European Nuclear Safety Regulators’ Group ENSREG und die EU-Kommission haben sich im Juli 2012 auf einen Aktionsplan für die Umsetzung der Empfehlungen aus dem EU-Stresstest geeinigt. „Die Teilnahme am EU-Stresstest war für die Schweiz wichtig und wertvoll“, sagt ENSI-Direktor Hans Wanner. „Das ENSI wird sich deshalb auch an der Umsetzung der Resultate des Stresstests beteiligen.“ Das genaue Vorgehen wird derzeit von einer internationalen Arbeitsgruppe ausgearbeitet.

 

EU-Stresstest nur Teil der Überprüfungen in der Schweiz

Das ENSI hat bereits kurz nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima die Ereignisse analysiert und 37 Prüfpunkte für die Schweiz identifiziert. Auch aus dem EU-Stresstest wurden Erkenntnisse über die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke gewonnen. Von den acht offenen Punkten betreffen drei den Erdbebenschutz, zwei das Notfallmanagement und je einer den Schutz bei Überflutung, extremen Wetterereignissen und Verlust der Stromversorgung. All diese Erkenntnisse wird das ENSI bis 2015 im Rahmen von Aktionsplänen behandeln.

Weiter haben die Betreiber nachweisen müssen, dass sie Erdbeben und Hochwasser, wie sie sich einmal in 10‘000 Jahren ereignen, beherrschen. Dazu verwendeten sie aktuelle und dadurch teilweise höhere Gefährdungsannahmen als für den EU-Stresstest. „Damit geht die Schweiz konsequent den Weg weiter, aus Vorkommnissen im In- und Ausland zu lernen, um die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke laufend weiter zu verbessern“, hält Hans Wanner fest.

Der im Jahr 2011 durchgeführte EU-Stresstest war weltweit die erste Aktion dieser Art im Nuklearsektor gewesen. Nach dem Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi vom 11. März 2011 hat das ENSI nicht auf den Stresstest der EU gewartet, sondern bereits am 18. März 2011 erste Überprüfungen der Kernkraftwerke in der Schweiz verfügt.