Radioaktive Abfälle: ENSI untersucht die Eiszeiten

Mit zunehmender Höhe des Eisschilds über Nordamerika, kommt es in Europa vermehrt zu Niederschlägen.

Der Eisschild über Nordamerika erzeugt den grössten Effekt auf das Klimageschehen in Europa: Innerhalb des Forschungsprojekts „Klimamodellierung Würm-Eiszeit“ hat das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI zusammen mit der Universität Bern verschiedene Einwirkungen auf das Klima der letzten Eiszeit untersucht. Die Ergebnisse der Modellierungen werden in die Beurteilung der Langzeitsicherheit von geologischen Tiefenlagern in der Schweiz einfliessen.

„Mit der Vergangenheit als Schlüssel für die Zukunft werden geologische und klimatische Entwicklungen der Vergangenheit erforscht, um für die Zukunft langfristige Prognosen machen zu können“, erklärt Meinert Rahn, Leiter der Sektion Geologie beim ENSI. Die Schweiz hätte durch den Treibhaus-Effekt einer künstlichen Warmzeit zukünftig mit mehr Regen und sehr milden Wintern zu rechnen. Falls eine überlange künstliche Warmzeit in Mitteleuropa eintritt, würden die Flüsse im Schweizer Mittelland ihre aktuellen Betten vertiefen. Diese Art der Landschaftsentwicklung ist vergleichsweise gut vorhersagbar.

Deutlich anspruchsvoller ist es hingegen, die Landschaftsentwicklung innerhalb einer Kaltzeit vorherzusagen. Gletscher sind in der Lage, in verhältnismässig kurzen Zeiträumen die Landschaft massgeblich zu verändern: Bei einem Gletschervorstoss können sie tiefe Rinnentäler aushobeln. Bei nachfolgenden Vorstössen folgen sie diesen Rinnen immer wieder. „Geologische Tiefenlager für langlebige radioaktive Abfälle müssen deshalb dieser potenziellen Gefahr der glazialen Tiefenerosion ausweichen und in einer ausreichenden Tiefe errichtet werden“, betont Meinert Rahn.

Um die künftigen Klimaveränderungen besser beurteilen zu können, wurde vom ENSI das Projekt „Klimamodellierung Würm-Eiszeit“ in Zusammenarbeit mit Spezialisten für Klima- und Umweltphysik der Universität Bern gestartet. Die rund zweijährige Studie hat unterstrichen, dass der Eisschild über Nordamerika über den Nordatlantik hinweg einen starken Einfluss auf die Niederschlagsverteilung in Europa während einer Eiszeit hat. Die Klimasimulationen deuten darauf hin, dass dabei Feuchtigkeit mehrheitlich über den Mittelmeerraum nach Europa gelangt. Die Nordschweiz liegt hingegen eher im Wind- und Wetterschatten der Alpen, so dass vor allem die Alpensüdseite viel Niederschlag erhält. Die Nordseite ist eher sporadisch von erhöhtem Niederschlag betroffen.

Tiefenlager müssen Vergletscherungen widerstehen

Glaziale Tiefenerosion kann ein geologisches Tiefenlager potenziell gefährden. Die eingelagerten radioaktiven Abfälle dürfen durch zukünftige Vergletscherungen nicht vorzeitig freigelegt werden. In der bereits abgeschlossenen Etappe 1 der aktuellen Standortsuche für geologische Tiefenlager hatte das ENSI alle Standortgebiete auf Basis der behördlichen Vorgaben geprüft. Dabei wurden für alle Standortgebiete auch die Erosion und Prognostizierbarkeit der Langzeitveränderungen als wichtiges Kriterium betrachtet. Das ENSI kam zum Schluss, dass alle vorgeschlagenen Standortgebiete als geeignet zu beurteilen sind, da sie abseits der grossen Gletscherrinnen liegen und Gebiete mit beschränkter Erosion und Hebung darstellen.

Die für die Langzeitsicherheit wichtige glaziale Tiefenerosion kann im Schweizer Mittelland nur erfolgen, wenn das Gletschereis aus den Alpen sehr weit nach Norden vorstösst und entsprechend dick ist. Die gebildete Menge an Eis ist dabei stark von den vorhandenen Niederschlägen abhängig. Für die Übertiefung der heute bereits vorhandenen Rinnen kommen aus Sicht von Experten nur fünf Eiszeiten in Frage, die jeweils vor ca. 630’000, 430’000, 340’000, 250’000 und 180’000 Jahren ihre maximale Vorstossweite erreichten. In der letzten Eiszeit (Würm-Eiszeit) haben die Vorlandgletscher mindestens zweimal die übertieften Rinnen nordwestlich der Linie Zürich-Frauenfeld erreicht, ohne darin die Seeablagerungen der vorangegangenen Warmzeit vollständig auszuräumen. Die Würm-Eiszeit setzte vor ca. 110‘000 Jahren ein und erreichte um 21‘000 Jahre vor heute ihre maximale Ausdehnung. Sie ist die letzte Eiszeit vor der gegenwärtigen Warmzeit.

Weiterführende Informationen

Hofer D., Raible C.C., Dehnert A., Kuhlemann J. (2012): The impact of different glacial boundary conditions on atmospheric dynamics and precipitation in the North Atlantic region. Climate of the Past 8, 935-949. DOI: 10.5194/cp-8-935-2012. https://cp.copernicus.org/articles/8/935/2012/

Hofer D., Raible C.C., Merz N., Dehnert A., Kuhlemann J. (2012): Simulated winter circulation types in the North Atlantic and European region for preindustrial and glacial conditions. Geophysical Research Letters 39, L15805. DOI: 10.1029/2012GL052296 https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1029/2012GL052296

(Dieser Artikel wurde am 24.02.2022 aktualisiert.)