Das Prinzip der gestaffelten Sicherheitsvorsorge (1/13)

Das Konzept der gestaffelten Sicherheitsvorsorge ist eine zentrale Grundlage für die Sicherheit von Kernkraftwerken. Die dazu gehörenden Grundprinzipien wurden bereits beim Bau der ersten Kernkraftwerke angewendet und aufgrund der internationalen Betriebserfahrung laufend weiterentwickelt. Ähnlich wie bei der Eisenbahn haben namentlich Unfälle schrittweise zu einer Erhöhung der Sicherheit beigetragen.

Die International Nuclear Safety Advisory Group (INSAG) der International Atomic Energy Agency (IAEA) hat das Konzept der gestaffelten Sicherheitsvorsorge (defence in depth) 1996 erstmals umfassend dargelegt und damit im Wesentlichen die bereits vorher gelebte Praxis dokumentiert.

Das Konzept der gestaffelten Sicherheitsvorsorge besteht aus fünf hintereinander gestaffelten Ebenen von Vorkehrungen, von denen jeweils die nächste dazu dient, Schwachstellen aufgrund von Fehlern oder Komponentenversagen der davor liegenden Ebenen aufzufangen. Die Vorkehrungen umfassen technische, administrative und organisatorische Massnahmen.

Die 5 Ebenen der gestaffelten Sicherheitsvorsorge

  • Anforderungsfall: Normalbetrieb
  • Ziel: Vermeidung von Betriebsstörungen
  • Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Betriebssysteme einschliesslich der erforderlichen Versorgungssysteme und Leitanlagen
  • Anforderungsfall: Betriebsstörungen
  • Ziel: Beherrschung von Betriebsstörungen
  • Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Begrenzungssysteme einschliesslich der erforderlichen Versorgungssysteme und Leitanlagen
  • Anforderungsfall: Auslegungsstörfälle
  • Ziel: Beherrschung von Auslegungsstörfällen, sodass ein Kernschaden verhindert wird
  • Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Sicherheits- und Notstandsysteme einschliesslich der erforderlichen Versorgungssysteme und Leitanlagen
  • Anforderungsfall: Auslegungsüberschreitende Störfälle ohne schweren Kernschaden
  • Ziel: Beherrschung bestimmter auslegungsüberschreitender Störfälle
  • Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Notfallsysteme und Notfallausrüstungen (präventive Notfallmassnahmen)
  • Anforderungsfall: Auslegungsüberschreitende Störfälle mit schwerem Kernschaden
  • Ziel: Begrenzung der Freisetzung radioaktiver Stoffe
  • Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Notfallausrüstungen (mitigative Notfallmassnahmen)
  • Anforderungsfall: Schwere Notfälle mit grösserer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umgebung
  • Ziel: Linderung der radiologischen Auswirkungen in der Umgebung
  • Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen
    • Massnahmen zur Minimierung der Strahlendosis der Bevölkerung und des Personals

Die Sicherheitsebenen 1 bis 4 bilden die anlageninterne Sicherheitsvorsorge. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass trotz aller Massnahmen auf den Ebenen 1 bis 4 grössere Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt werden, sind auf der 5. Ebene Vorkehrungen zur Linderung der Auswirkungen vorhanden. Die Sicherheitsebene 5 umfasst die zu einem wesentlichen Teil anlagenexterne Sicherheitsvorsorge.

Sicherheitsebenen sind weitgehend unabhängig

Die in einer Ebene getroffenen Vorkehrungen (z. B. Systeme, Kontroll- und Schutzeinrichtungen) sind weitgehend unabhängig von denjenigen der anderen Ebenen. Damit wird sichergestellt, dass z. B. der Ausfall eines Systems oder einer Komponente nicht gleichzeitig mehrere Sicherheitsebenen schwächt.

Um Mensch und Umwelt vor von Kernanlagen und Kernmaterialien ausgehender ionisierender Strahlung zu schützen, sind die folgenden drei Schutzziele einzuhalten:

Kontrolle der Reaktivität

Kühlung der Brennelemente

Einschluss radioaktiver Stoffe

Die Einhaltung der Schutzziele 1 bis 3 dient letztlich dem folgenden übergeordneten Schutzziel:

Begrenzung der Strahlenexposition

Die einzelnen Sicherheitsebenen wurden in der Schweiz im Laufe der Zeit verstärkt. Durch Nachrüstungen konnte beispielsweise der Redundanzgrad erhöht werden, so dass eine grössere Anzahl gleicher Systeme (Redundanzen) für dieselbe Funktion vorhanden ist und somit Ausfälle selbst dann kompensiert werden können, wenn eines dieser Systeme wegen Instandhaltungsarbeiten nicht zur Verfügung steht.

Zudem sind die einzelnen Ebenen im Laufe der Zeit robuster ausgestaltet worden, namentlich mit dem Ziel, dass die Ausrüstungen stärkeren Einwirkungen von aussen (zum Beispiel stärkeren Erdbeben) standhalten. Die Robustheit der einzelnen Ebenen ist auch durch eine konsequentere räumliche Trennung der einzelnen Redundanzen verstärkt worden und durch die Verwendung verschiedenartiger Systeme für dieselbe Funktion (Diversität).

Dies ist der erste von 13 Teilen zur gestaffelten SicherheitsvorsorgeDer nächste Teil behandelt die Vermeidung von Betriebsstörungen (Ebene 1).

Dieser Artikel wurde am 30.11.2018 aktualisiert.