Verbesserung der Massnahmen bei Austritt von kontaminiertem Wasser

Gestützt auf Erkenntnisse aus Fukushima überprüft das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI den Umgang mit grossen Mengen an kontaminiertem Wasser. Es trifft zusammen mit den weiteren Akteuren des Notfallschutzes verschiedene Massnahmen, um die Überwachung und die Alarmierung bei schweren Unfällen mit massivem Austritt von kontaminiertem Wasser zu verbessern.

ausbreitung_ENSI_kontaminiertes_WasserDas Gesetz schreibt vor, dass Anlagen im Normalbetrieb aber auch bei extremen Naturereignissen, wie sie höchstens einmal pro 10‘000 Jahre vorkommen, keine Mengen an Radioaktivität abgeben, die für Mensch und Umwelt gefährlich sind. Diese Vorgaben werden von den Kernkraftwerken in der Schweiz erfüllt. „Dennoch müssen wir auch den Fall vorsehen, bei dem es unfallbedingt zu einer massiven Abgabe kommt“, erklärt Georges Piller, Leiter des Fachbereichs Strahlenschutz beim ENSI.

Gestützt auf den Erkenntnissen aus Fukushima hat das ENSI zusammen mit den Akteuren des Notfallschutzes und den betroffenen Kantonen das Gefahrenpotenzial bei Extremereignissen analysiert und Massnahmen abgeleitet. So hat das ENSI bereits Anfang dieses Jahres die Betreiber aufgefordert, bis Ende 2013 zu untersuchen, ob eine Verschmutzung des Gewässers durch kontaminiertes Kühl- oder Löschwasser bei allen Auslegungsstörfällen entstehen kann. „Wir wollen damit möglichst ausschliessen, dass radioaktives Wasser bei Störfällen, wie sie bei starken Erdbeben oder Hochwasser entstehen, die Flüsse belasten“, erklärt Georges Piller.

 

Überprüfung der Alarmierung

Bei Vorkommnissen in Kernanlagen mit Überschreitung der Abgabelimite informiert der Betreiber unverzüglich das ENSI und die Nationale Alarmzentrale NAZ. Das ENSI, die Betreiber und die NAZ verfügen dazu über eigene Notfallorganisationen, die rund um die Uhr einsatzbereit sind. Eine Kontamination des Flusssystems Aare-Rhein betrifft aber zusätzliche Akteure – darunter Wasserversorger, Kantone, Bund und die Internationale Hauptwarnzentrale. Die Prozesse für die Meldung einer Kontamination sollen deshalb neu beurteilt werden. Dies erfolgt unter der Federführung der NAZ.

Beim Erreichen von Grenzwerten in den Flüssen müssen die Behörden Schutzmassnahmen anordnen. Diese sind zum Beispiel die Einstellung der Trinkwasserentnahme aus dem Fluss sowie ein Verbot des Fischfanges und des Aufenthalts am Fluss. Das ENSI, die NAZ und das Bundesamt für Gesundheit BAG werden die radiologischen Kriterien für die Alarmierung und die Einleitung von Sofortmassnahmen überprüfen.

 

Kontinuierliche Überwachung

Das BAG ist die verantwortliche Behörde für die Überwachung der Umweltradioaktivität. Es ist zurzeit mit den Wasserwerken im Kontakt, um eine kontinuierliche Überwachung von Aare- und Rheinwasser zu planen und umzusetzen. Der Bundesrat hat in diesem Frühling auf Antrag des Eidgenössischen Departements des Innern und des BAG einer Erneuerung des automatischen Messnetzes mit einer Erweiterung für die Überwachung der Radioaktivität in den Fliessgewässern zugestimmt.

Neben der Installation von Messeinrichtungen soll auch ein Konzept erstellt werden, welches die Massnahmen bei einer Überschreitung von Grenzwerten vorsieht. Das BAG wird weiter prüfen, ob die örtlichen und technischen Lösungen so gewählt werden können, dass die Schutzmassnahmen auch bei Extremereignissen trotz solcher Erschwernisse greifen können. Das Umgebungsüberwachungsprogramm soll ebenfalls vom BAG im Hinblick auf die Erkennung von radioaktiven Stoffen in den Flüssen und Seen überprüft werden.

 

Trinkwasserversorgung wäre betroffen

Eine Gefährdung der Trinkwasserversorgung mit Flusswasser ist im Normalbetrieb nicht zu erwarten. Im Bereich des Flusslaufs Aare-Rhein, an dem die vier Kernkraftwerke liegen, wird an verschiedenen Stellen Wasser entnommen.

Betroffene Trinkwasserversorger in der Schweiz

Folgende Trinkwasserversorger können bei grossen unkontrollierten Abgaben mit kontaminiertem Wasser betroffen werden:

  • Die Grundwasserwerke Muttenzer-Hard und Lange-Erlen. Sie entnehmen rund 75’000 m3 Rheinwasser pro Tag zur Trinkwasseraufbereitung. Auf diese Weise deckt die Stadt Basel seinen gesamten Trinkwasserbedarf von 71’000 m3 pro Tag. Auch werden einige Gemeinden des Kantons Basel Landschaft und einige solothurnische Gemeinden im Leimental mit Trinkwasser versorgt (4’000 m3 pro Tag).
  • Wasserversorgung der Stadt Biel. Sie entnimmt täglich 12’600 m3 Trinkwasser aus dem Bielersee.
  • Die regionalen Wasserversorgungen der Städte Saint-Aubin, Yverdon-les-Bains, Estavayer-Ie-Lac, Neuenburg und Murten. Diese entnehmen Wasser aus dem Neuenburger- und Murtensee. Bei einer Hochwassersituation kann nicht ausgeschlossen werden, dass vom Bielersee Wasser durch die Kanäle in beide Seen zurückfliesst. Dies passiert während ungefähr 20 Tagen im Jahr.

Alle Wasserversorgungsanlagen müssen gemäss Gesetz einen Massnahmenplan für besondere Ereignisse erarbeiten. Die verlangten Trinkwassermengen von 15 Liter pro Tag und Person können von der Stadt Biel ohne Seewasser sichergestellt werden. Für die Grundwasserwerke der Stadt Basel bedeutet dies auf Grund einer Schätzung des ENSI eine maximal mögliche Unterbrechung der Rheinwasserentnahme von 175 Tagen.

 

ENSI hat konservativen Ansatz gewählt

Bei einem Extremereignis, das über die Auslegungsgrenzen des Kernkraftwerks hinausgeht, könnte radioaktiv kontaminiertes Kühl- bzw. Feuerlöschwasser unkontrolliert in die Umwelt gelangen. Das ENSI hat bei seinen Berechnungen für die Kernkraftwerksstandorte die gleiche Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Aare und den Rhein angenommen, wie sie 2011 bei Fukushima in das Meer erfolgte und folgenden konservativen Ansatz verwendet. Die Dosis wurde für Einzelpersonen aus der Bevölkerung berechnet, die ihren gesamten Trinkwasserbedarf sowie ihren Fischbedarf aus dem Fluss unterhalb des Kernkraftwerks decken und nur Fleisch und Milch von Tieren verzehren würden, die mit Wasser aus dem Fluss unterhalb des Kernkraftwerks getränkt wurden. „So ergäbe sich bei einem derartigen Extremereignis eine Dosis von rund 50 mSv für Einzelpersonen, die durch Sofortmassnahmen reduziert werden könnte“, erklärt Georges Piller.

Einbezug der Akteure im Notfallschutz

Das ENSI hat für seine Beurteilung verschiedene Akteure einbezogen. Diese sind:

  • Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS (Nationale Alarmzentrale NAZ)
  • Bundesamt für Umwelt BAFU
  • Bundesamt für Gesundheit BAG
  • Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL
  • Kanton Aargau
  • Kanton Basel-Landschaft
  • Kanton Basel-Stadt
  • Kanton Bern
  • Kanton Freiburg
  • Kanton Neuenburg
  • Kanton Solothurn
  • Kanton Waadt
  • Stadt Biel