Keine Abstriche bei der Sicherheit

In den letzten Wochen und Monaten hat sich die Debatte um die Zukunft der Schweizer Kernkraftwerke verlagert: Weg von der der Sicherheitsfrage, hin zur Wirtschaftlichkeit. Jetzt geht es um Themen wie Landesversorgung/Versorgungssicherheit, Unternehmensstruktur der Betreiberfirmen, staatliche Beteiligung, „Volksvermögen“, und so weiter.

Wir beteiligen uns nicht direkt an dieser politischen Debatte. Sie ist aber auch für die Aufsichtsbehörde von grosser Relevanz:

Hans Wanner, Direktor des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI.
Hans Wanner, Direktor des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI.

Die Schweizer Kernkraftwerke kommen in die Jahre – keine Frage. Aber heute wissen wir, dass die Herausforderung beim Umgang mit den älter werdenden KKW nicht nur im technischen Bereich liegt, sondern auch – wegen der Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds – im politischen Bereich.

Die schweizerischen KKW sind technisch auch im internationalen Vergleich auf einem hohen Sicherheitsstand. Die seit mehr als 20 Jahren ausgeübte Alterungsüberwachung ist umfassend und erfolgt gemäss den höchsten internationalen Standards. Die Betreiber und wir als Aufsichtsbehörde kennen die Anlagen und haben jahrzehntelange Erfahrung mit ihnen.

Deshalb konnten wir den politischen Behörden bisher sagen: Ja, die Energiestrategie 2050 kann aus sicherheitstechnischer Sicht von einem Weiterbetrieb der KKW bis 50 Jahre ausgehen. Sogar 60 Betriebsjahre scheinen möglich, wenn weiterhin in die Sicherheit investiert wird.

Dies aber ist die unabdingbare Bedingung: Es muss weiter in die Sicherheit investiert werden. Und da zeichnen sich heute Fragen ab.

Mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage am internationalen Strommarkt hat sich die Situation der Elektrizitätswirtschaft und damit der KKW in der Schweiz stark verändert:

Lange Jahre waren die KKW sehr rentabel: Die Besitzerkantone haben jedes Jahr viel Geld aus dem Stromgeschäft erhalten. Sicherheit und Ökonomie waren kein Gegensatz. Im Gegenteil. Es lag im Interesse der Betreiber, vorausschauend in die Sicherheit zu investieren, um ihre Anlagen möglichst lange betreiben zu können.

Damit war die Situation auch für die Aufsichtsbehörde relativ komfortabel. Sie musste im Normalfall gar nicht um die nötigen Verbesserungsmassnahmen kämpfen. So hat zum Beispiel die Axpo noch vor Fukushima entschieden, rund 700 Millionen Franken in die Sicherheit des KKW Beznau zu investieren. Im Wissen der unbefristeten Betriebsbewilligung und verbunden mit der Erwartung, dadurch die Anlage 60 Jahre betreiben und so die teure Investition amortisieren zu können.

Heute können die Unternehmen kaum mehr Geld verdienen mit Strom. Deshalb ist es nicht auszuschliessen, dass die Betreiber der KKW, welche grossmehrheitlich im Besitz der Kantone sind, zukünftig nur noch soviel in ihre Anlagen investieren, wie unbedingt nötig ist, um die gesetzlichen Minimalanforderungen zu erfüllen.

Diese veränderte wirtschaftliche Situation der Betreiber konfrontiert die Aufsichtsbehörde in der Schweiz mit einer neuen Situation: Forderungen des ENSI, die teure Nachrüstungen nach sich ziehen, können das Aus für ein KKW bedeuten.

Damit aber ist klar, dass das ENSI politisch vermehrt unter Druck kommen kann. Den Druck von der Anti-AKW-Bewegung sind wir schon länger gewohnt. Wegen der neuen wirtschaftlichen und politischen Situation muss die Aufsichtsbehörde aber künftig wohl auch zusehends mit Druck von der KKW-freundlichen Seite rechnen.

Öffentlich oder gar formell ist dieser Druck bisher nicht ausgeübt worden. Aber ich halte es für unsere Pflicht, uns darauf einzustellen.

Das ENSI muss und kann mit politischem Druck umgehen und wir werden uns auch künftig nicht instrumentalisieren lassen, weder von links noch von rechts.

Welche Lösung auch immer die Politik, die Wirtschaft und die Bevölkerung via Initiativen in Sachen Zukunft der Schweizer Kernkraftwerke festlegt, sie darf nicht auf Kosten der Sicherheit gehen. Egal wer die künftigen Besitzer der Schweizer Kernkraftwerke sein werden oder wie lange die Anlagen noch laufen – die zentrale Forderung des ENSI bleibt: die KKW dürfen nicht ausgefahren werden. Auch bei der Stilllegung und dem späteren Rückbau hat die Sicherheit oberste Priorität.

Politische und wirtschaftliche Überlegungen dürfen nicht zu Abstrichen bei der Sicherheit der Kernkraftwerke führen.

Dies ist nicht einfach das Bedürfnis der Aufsichtsbehörde, sondern das Interesse der gesamten Bevölkerung.

 

Hans Wanner
Direktor ENSI