Aktualisierte Gefährdungsannahmen für Erdbeben erfordern neuen Sicherheitsnachweis der Schweizer Kernkraftwerke

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI hat unter Berücksichtigung der jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse neue Vorgaben für die Erdbebengefährdung der Schweizer Kernkraftwerke festgelegt. In drei Schritten müssen die Kraftwerksbetreiber bis Ende 2020 erneut nachweisen, dass ihre Anlagen auch einem extrem seltenen starken Erdbeben standhalten. Den letzten Erdbebennachweis mussten die Kraftwerksbetreiber nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 erbringen.

PEGASOS-PRPObwohl die Kernkraftwerke zu den erdbebensichersten Gebäuden der Schweiz gehören, haben Erdbeben den grössten Anteil am Risiko eines Kernkraftwerks. „Darum legen wir grossen Wert darauf, dass die umfangreichen Erdbebennachweise der Kernkraftwerk-Betreiber regelmässig aktualisiert werden und dabei den jeweils aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen – insbesondere wenn diese im Vergleich zu früher strenger geworden sind“, betont Hans Wanner, Direktor des ENSI. Dies entspricht einer Vorgabe des Gesetzgebers und ist sicherheitsgerichtet.

Betreiber reichten 2013 neue Studie ein

Ende 2013 hat die Dachorganisation der Schweizer Kernkraftwerksbetreiber swissnuclear beim ENSI eine neue Studie eingereicht. Experten aus dem In- und Ausland hatten dafür in einem aufwändigen Prozess die Erdbebengefährdung für die Standorte der Kernkraftwerke in der Schweiz neu analysiert. Ziel der neuen PEGASOS Refinement Project Studie (PRP) war eine Verfeinerung der Analysen des PEGASOS-Projekts, welches bereits 2004 abgeschlossen worden war. Dabei wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse und umfangreiche neue Daten berücksichtigt.

ENSI hat Vorbehalte bei einem Teilprojekt der Studie

Die Prüfung der Studie und die Festlegung der definitiven Erdbebengefährdungsannahmen durch das ENSI erwiesen sich als aufwändiger als ursprünglich geplant. Die im eigentlichen Projektschwerpunkt, den Teilprojekten 2 zu den Abminderungsmodellen und 3 zu den Standorteinflüssen, erarbeiteten Verfeinerungen wurden vom ENSI als fachgerecht anerkannt. „Hingegen wurde das Teilprojekt 1 zu den seismischen Quellen nach Ansicht unseres unabhängigen Review-Teams nicht ausreichend tief bearbeitet“, begründet Ralph Schulz, Leiter des Fachbereichs Sicherheitsanalysen die Verzögerung des Projektabschlusses.

Das ENSI hat deshalb entschieden, den nicht akzeptierten Modellanteil von PRP durch die Daten und Modelle des Schweizerischen Erdbebendienstes SED2015 zu ersetzen. Die entsprechenden Arbeiten zur Erstellung des sogenannten ENSI-Hybridmodells wurden von Fachexperten im Auftrag des ENSI durchgeführt.

Neue Gefährdungsannahmen höher als PRP und SED2015

Die Integration der SED-Daten in PRP erbrachte Resultate, welche mehrheitlich oberhalb der Resultate sowohl des PRP als auch des SED2015 liegen. „Unsere neuen Gefährdungsannahmen fallen somit strenger aus“, erläutert Ralph Schulz. Sie liegen teilweise auch über den Gefährdungsannahmen, die für den Erdbebennachweis kurz nach dem Reaktorunfall in Fukushima verwendet wurden. Damals wurde ein Zwischenstand aus der PRP-Studie verwendet.

Zeitliche Staffelung des Erdbebennachweises

2011 hatte das ENSI als Reaktion auf Fukushima eine rasche Neuüberprüfung der Erdbebensicherheit aller Kernkraftwerke in der Schweiz gefordert. Der Nachweis, der innerhalb eines Jahres zu erstellen war, konzentrierte sich auf die wichtigsten Aspekte. Die Ergebnisse zeigten, dass alle Kernkraftwerke in der Schweiz ausreichend gegen Erdbeben und Hochwasser, das durch einen erdbebenbedingten Bruch einer Staumauer ausgelöst werden kann, geschützt sind. Weitere Abklärungen zeigten zudem, dass alle Kernkraftwerke in der Schweiz über Sicherheitsmargen verfügen.

“Der jetzt geforderte neue Erdbebennachweis ist aber deutlich umfangreicher als jener, den die Kernkraftwerke nach Fukushima einreichen mussten“, betont Ralph Schulz. Eine wesentliche Ausweitung betrifft die Methodik zur Ermittlung der seismischen Robustheit der wichtigsten Komponenten, die notwendig sind, um den Störfall zu beherrschen. Weil der neue Nachweis sehr aufwändig ist, erlaubt das ENSI den Betreibern eine Staffelung auf drei Etappen.

Etappen der Nachweisführung

  • Bis Ende 2018 muss der Sicherheitsnachweis, der 2012 nach dem Reaktorunfall in Fukushima erstellt wurde, aktualisiert werden. Dabei muss gezeigt werden, dass das 10‘000-jährliche Erdbeben unter Einhaltung einer Dosislimite von 100 Millisievert beherrscht wird.
  • Bis Mitte 2019 muss die probabilistische Sicherheitsanalyse aktualisiert werden. Damit wird das Risiko von auslegungsüberschreitenden Störfällen quantitativ bestimmt.
  • Bis Herbst 2020 muss schliesslich ein erweiterter Erdbebensicherheitsnachweis geführt werden. Dieser umfasst neben dem 10‘000-jährlichen Erdbeben (Störfallkategorie 3) auch das 1000-jährliche (Störfallkategorie 2) mit einer Dosislimite von 1 Millisievert. Ferner sind für diesen Nachweis unter anderem detailliertere Methoden zur Ermittlung der Erdbebenkapazitäten wichtiger Komponenten anzuwenden. Das ENSI hat die Vorgaben für den erweiterten Nachweis bereits 2014 in einer Aktennotiz festgelegt.

Das ENSI wird jeweils die eingereichten Nachweise der Betreiber prüfen und dazu Stellung nehmen.

Kernkraftwerk Mühleberg muss trotz Produktionsende 2019 Nachweis erbringen

Mühleberg bleibt nach der Einstellung des Leistungsbetriebs 2019 noch über Jahre eine Kernanlage mit einem Gefährdungspotenzial. Verschiedene Teile der Anlage sind auch nach der Einstellung des Leistungsbetriebs wichtig. Deshalb muss auch die BKW einen Nachweis erbringen.

Sie muss den Erdbebennachweis, den sie nach Fukushima eingereicht hatte, vollständig erneuern. Die Nachweise, die ab 2019 eingereicht werden müssen, dürfen sich jedoch auf jene Systeme beschränken, die im Nachbetrieb nach der Einstellung des Leistungsbetriebs Ende 2019 benötigt werden.