Neue internationale Forschungsprojekte

Das ENSI beteiligt sich an zwei gross angelegten internationalen Forschungsprojekten. Die Projekte liefern Daten zu Alterungsphänomenen von Reaktoren und zum Betriebs- und Störfallverhalten von Brennstäben. Die Erkenntnisse fliessen in die Sicherheitsbeurteilungen des ENSI ein.

Das ENSI hat sich im Rahmen seiner regulatorischen Sicherheitsforschung zwei neuen internationalen Forschungsprojekten angeschlossen, die unter der Schirmherrschaft der Nuclear Energy Agency (NEA) stehen.

Die Kernenergieagentur NEA der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fördert die sichere und friedliche Nutzung der Kernenergie und unterstützt in diesem Sinne eine Vielzahl von Forschungsvorhaben. Auch die Schweiz zählt zu den insgesamt 33 Mitgliedsländern.

Was macht die Kernenergieagentur NEA?

Die NEA mit Sitz in Paris unterstützt ihre Mitgliedsländer bei der Weiterentwicklung der technischen, wissenschaftlichen und rechtlichen Grundlagen. Sie fördert das gemeinsame Verständnis für Schlüsselfragen der nuklearen Sicherheit und erarbeitet Stellungnahmen, die den Mitgliedsstaaten als Entscheidungsbasis dienen können.

Ihre Kernkompetenzen sind vielfältig: Reaktorsicherheit, Aufsicht über Kernanlagen, Entsorgung radioaktiver Abfälle, Strahlenschutz, wirtschaftliche und technische Analysen des Brennstoffkreislaufs, Kernenergierecht und -haftpflicht, ökonomische und gesellschaftliche Fragen sowie Information der Öffentlichkeit. Die NEA unterstützt in diesen Fachgebieten eine Vielzahl von Forschungsvorhaben.

Das ENSI hat zwei neue Forschungsprojekte der NEA in sein Programm aufgenommen. Es handelt sich dabei um NEA FIDES (Framework for Irradiation Experiments) für Bestrahlungsversuche in Forschungsreaktoren und NEA SMILE (Studsvik Material Integrity Life Extension) zu Alterungsphänomenen.

NEA FIDES: Bestrahlungsexperimente unter Reaktorbedingungen

Das Programm FIDES ist als Nachfolger des Halden-Reaktor-Projekts konzipiert: Verschiedene Forschungsinstitutionen führen Bestrahlungsexperimente in Forschungsreaktoren durch, in denen kleine Proben lokal den Bedingungen in Leistungsreaktoren unterworfen werden. Diese Experimente dienen in erster Linie der Untersuchung von Brennstoffen, in zweiter Linie der Untersuchung von Strukturmaterialien.

Auch am Reaktor LVR-15 des tschechischen Forschungszentrums Řež werden Bestrahlungsexperimente im Rahmen von NEA FIDES zur Untersuchung von Brennstoffen durchgeführt. Bild: Centrum výzkumu Řež

Mit den Experimenten werden Brennstoffe auf ihre Sicherheitsmargen hin getestet, insbesondere ihr Verhalten bei Störfällen. Beispielsweise sollen in Frankreich und Belgien Brennstäbe dahingehend überprüft werden, wie gross die Sicherheitsmargen für die Brennstabintegrität bei hohen Brennstableistungen sind. Das heisst, die Überprüfung lässt Rückschlüsse darauf zu, bis zu welchen Leistungen die Hüllrohre intakt bleiben, auch wenn der Brennstoff im Inneren schon zu schmelzen beginnt.

Für das ENSI sind diese Resultate besonders relevant, da die Experimente an hochabgebranntem Brennstoff durchgeführt werden und in der Schweiz im internationalen Vergleich relativ hohe Abbrände der Brennstoffe erreicht werden. Neben gängigen sollen auch neuartige Brennstoffe untersucht werden, die erhöhte Störfalltoleranzen aufweisen. Solche Experimente sind für die umfassende Beurteilung dieser Neuentwicklungen zentral.

Bei den Untersuchungen von Strukturmaterialien geht es vor allem um deren Versprödung und Rissanfälligkeit als Folge der Neutronenbestrahlung. Aktuell laufen diesbezüglich noch keine Versuche. Entsprechende Experimente sind jedoch bereits in Planung.

Die erste Projektphase dauert bis 2023. Derzeit beteiligen sich Institutionen aus 13 Ländern daran. Das ENSI ist an den Resultaten der Experimente interessiert, da vergleichbare Tests unter Reaktorbedingungen, sowohl aus Kostengründen als auch mangels eines geeigneten Reaktors, in der Schweiz nicht möglich wären. Durch die Mitarbeit in den technischen Gremien hat das ENSI die Möglichkeit, auch seine eigenen Vorstellungen zur Versuchsauslegung einzubringen.

NEA SMILE: Forschung für die Sicherheit im Langzeitbetrieb

Projekt NEA SMILE: Aktivierte Proben von den schwedischen Kernkraftwerken werden in einem 29 Tonnen schweren weissen Behälter (unten im Bild) zur Firma Studsvik transportiert. Dort werden die Proben in rund acht Meter tiefen Wasserbecken gelagert und zu Forschungszwecken bearbeitet. Bild: Studsvik

Im Projekt SMILE werden bis 2025 in drei stillgelegten schwedischen Reaktoren Materialproben entnommen: von Reaktordruckbehältern, Kerneinbauten, Druckhaltern und Komponenten des Kühlkreislaufs. An diesem Projekt beteiligen sich 16 Organisationen aus acht Ländern. Im Zentrum des Forschungsinteresses steht die Untersuchung der Materialproben auf verschiedene Alterungsprozesse – etwa die Versprödung durch Neutroneneinwirkung, thermische Alterung oder das Rissbildungs- und Ermüdungsverhalten.

Die Untersuchungen von Materialien, die jahrzehntelang realen Reaktorbedingungen ausgesetzt waren, sind im Hinblick auf den Langzeitbetrieb von Kernkraftwerken wertvoll für die Schweiz. Mit dem Projekt SMILE kann der Wissensstand und die Datengrundlage zu den Alterungsphänomenen vertieft und verbessert werden. Dies entspricht auch einem der Schwerpunkte der ENSI-Forschungsstrategie.

Das Grossprojekt gibt dem ENSI unter anderem Aufschluss zur Ausrichtung der Alterungsüberwachungsprogramme, die in den Schweizer Kernkraftwerken Anwendung finden. Die Überwachungsprogramme basieren auf Modellen zu den verschiedenen Alterungserscheinungen. Mit den neuen Erkenntnissen können die heute angewendeten Modelle überprüft werden. Ausserdem kann das ENSI die Ergebnisse für die Beurteilung der Konzepte heranziehen, die für den Langzeitbetrieb entworfen wurden.

Warum sich das ENSI in Forschungsprojekten engagiert

Die regulatorische Sicherheitsforschung liefert Grundlagen für die Aufsichtstätigkeit des ENSI und stärkt dessen unabhängige Expertise. Das ENSI beteiligt sich daher an einer Vielzahl von Forschungsprojekten: Das Forschungsprogramm reicht von Projekten zu Brennstoffen und Materialien über Systemverhalten und Störfallabläufen bis hin zur Entsorgung.

Besonders bei den internationalen Projekten profitiert das ENSI nicht nur von Versuchsergebnissen, sondern auch vom fachlichen Austausch mit den Expertinnen und Experten der anderen teilnehmenden Institutionen. Das aktuelle Forschungsprogramm wird jeweils im Erfahrungs- und Forschungsbericht detailliert vorgestellt.