Strahlenbiologie (5/5): Aktuelle Forschung

Auch wenn mit der Forschung in der Strahlenbiologie zahlreiche Erkenntnisse gewonnen werden konnten, bestehen immer noch viele Unklarheiten. Zusammen mit anderen internationalen Organisationen arbeitet das ENSI daran, diese Wissenslücken zu schliessen.

Das ENSI unterstützt ein Forschungsprojekt an der Universität Zürich, das sich mit den Grundlagen der Nanodosimetrie auseinandersetzt (siehe letzter Abschnitt).

Um künftig noch genauere Aussagen zur Strahlenbelastung machen oder Teilbestrahlungen verorten zu können, sucht die Strahlenbiologie laufend nach weiteren verwertbaren Merkmalen aus dem Stoffwechsel, durch deren Analyse rückblickend eine Bestrahlung nachgewiesen werden kann.

In Frage kommen unter anderem Aminosäuren und Blutproteine. Da die Veränderungen der meisten Merkmale aus dem Stoffwechsel jedoch nicht strahlenspezifisch sind, ist die Auswertung aufgrund der individuellen und interindividuellen Schwankungen problematisch. Ebenfalls eine Hürde ist der Vergleich zwischen einzelnen Personen oder Populationen. Ein Lösungsansatz besteht darin, einen Satz von Parametern, die sich in ihrer Aussagekraft ergänzen und die Schwankungen somit ausgleichen können, zu finden.

Im Bereich der Strahlenbiologie gibt es zahlreiche Forschungsgruppen, die offenen Fragen nachgehen. Zu diesen Forschungsgruppen zählt die europäische Koordinationsgruppe der Forschung im Bereich Radiobiologie (MELODI, Multidisciplinary European Low Dose Initiative), die sich unter anderem mit weiteren Möglichkeiten für die biologische Dosimetrie und mit dem radiologischen Risiko niedriger Strahlendosen beschäftigt.

Experimente zur individuellen Strahlenempfindlichkeit

In einem eigenen Teilgebiet von MELODI werden auch Experimente koordiniert, die das molekulare Netzwerk erkunden: Angesichts dessen, dass die Menschen genetische Individuen sind, ist es nicht überraschend, dass ihre Reparatursysteme ebenfalls genetische Unterschiede zeigen – das Vermögen, inwiefern Strahlenschäden an der Erbsubstanz behoben werden können, ist also individuell verschieden.

Eine möglichst genaue Kenntnis dieses Vermögens ist zum Beispiel bei der Strahlentherapie nützlich, wenn sowohl das Tumorgewebe als auch das umliegende gesunde Gewebe bezüglich Reparaturvermögen genauer charakterisiert werden können. So kann die Therapie präziser auf den Patienten abgeglichen werden.

Strahlenschutz der Umwelt steht noch am Anfang

In der Strahlenbiologie besteht die Tendenz, den Menschen in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses zu stellen. Entsprechend waren die Experimente auf die Folgen von Bestrahlung für den menschlichen Körper ausgerichtet – wenngleich sie oft mit Tieren durchgeführt wurden. Bereiche wie die Radio-Ökologie, die erforscht, wie sich radioaktive Komponenten oder Stoffe in der Umwelt verhalten und verteilen, wurden lange vernachlässigt.

Symbolbild: Über die Strahlenempfindlichkeit der Tier- und Pflanzenwelt fehlen bisher Erkenntnisse. Daher prüft die Forschung derzeit, wie sich Strahlenbelastung auf die Biodiversität auswirkt. Der Hirsch ist eine der zehn Referenzorganismen, die einen bestimmten Lebensraum repräsentieren.

Das ist insofern wichtig, als dass wir die radioaktiven Stoffe aus der Biosphäre in uns aufnehmen, unter anderem über die Nahrung. Teilgebiete der Strahlenbiologie untersuchen darum, wie gross die Dosis ist, die der Mensch akkumulieren kann, wenn er sich in einer radioaktiv belasteten Umgebung aufhält oder Nahrungsmittel konsumiert, die Radioaktivität enthalten.

Da bezüglich Strahlenempfindlichkeiten von Tieren und Pflanzen – anders als bei Menschen – nur wenig bekannt ist, wurde unter der Führung der Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP durch einen internationalen Konsens ein Paket von zehn sogenannten Referenzorganismen definiert. Sie repräsentieren jeweils einen spezifischen Lebensraum. In Ermangelung genauerer individueller und messbarer Bewertungsmöglichkeiten, so wie wir sie beim Menschen kennen, hat man sich darauf geeinigt, auf diese Weise den Einfluss der Belastung auf die Biodiversität zu prüfen. Da sich die Biodiversität aber durch den Einfluss des Menschen sowieso verändert, wird dieser Ansatz bezüglich seiner Aussagekraft stark kritisiert.

Organisationen wie die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP und die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA sind derzeit dabei, ihre Empfehlungen zum Schutz der Fauna und Flora vor den Auswirkungen ionisierender Strahlung zu aktualisieren. Auch das ENSI verfolgt den aktuellen Kenntnisstand zum Schutz der Umwelt, um neue Erkenntnisse in seine Aufsichtstätigkeit einfliessen zu lassen.

Eine Forschungsgruppe des Physik-Instituts der Universität Zürich entwickelt Modelle und Simulationen, um den Einfluss ionisierender Strahlung auf biologische Zellen und Systeme zu bestimmen. Bild: Universität Zürich

Aktuell ist diese Diskussion beispielsweise im Zusammenhang mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle im geplanten geologischen Tiefenlager relevant. Derzeit geht man davon aus, dass durch den Schutz des Menschen auch die Umwelt ausreichend geschützt ist. Für genauere Abklärungen hatte das ENSI eine Studie in Auftrag gegeben. Ausserdem engagiert sich das ENSI im internationalen Forum BIOPROTA, das sich mit Prozessen der Freisetzung von Radionukliden aus einem Lager für radioaktive Abfälle in die Biosphäre befasst.

Im Dienst des Strahlenschutzes: ENSI unterstützt Forschungsprojekte

Zusätzlich unterstützt das ENSI zwei Forschungsprojekte, die sich mit den Grundlagen der Nanodosimetrie und der Epidemiologie auseinandersetzen. In der Nanodosimetrie wird versucht, eine physikalisch messbare Grösse zu finden, mit der der biologische Schaden von ionisierender Strahlung direkt bestimmt werden kann. In der Epidemiologie werden statistische Ansätze verwendet, um das aus einer Strahlenexposition resultierende Gesundheitsrisiko zu berechnen.

Dies ist der letzte Artikel zum Thema Strahlenbiologie.