ENSI erteilt Kernkraftwerk Leibstadt Freigabe zum Wiederanfahren unter Auflagen

Das Kernkraftwerk Leibstadt darf nach einer verlängerten Jahreshauptrevision wieder den Leistungsbetrieb aufnehmen. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI hat die Ursachenabklärung und die daraus abgeleiteten Massnahmen zur Vermeidung kritischer Siedezustände (Dryouts) geprüft. Nachdem die Bedingungen, die zum Dryout geführt haben, identifiziert wurden, hat die Aufsichtsbehörde die Freigabe zum Wiederanfahren mit Auflagen erteilt. Ein sicherer Betrieb ohne Gefährdung von Mensch und Umwelt ist gewährleistet.

„Der sichere Betrieb des KKL ist gewährleistet und die Anlage erfüllt die Sicherheitsanforderungen des Gesetzgebers“, sagt Ralph Schulz, Leiter des Fachbereichs Sicherheitsanalysen beim ENSI. „Es gibt aus Sicht der Aufsichtsbehörde deshalb keinen Grund, warum das Kernkraftwerk Leibstadt seinen Betrieb nicht wieder aufnehmen kann.“ Zu diesem Schluss ist das ENSI nach der Prüfung des Freigabeantrages und der technischen Berichte gekommen, die das KKL Ende 2016 eingereicht hatte.

Im Rahmen der Ursachenforschung hat das KKL ein umfangreiches und systematisches Inspektionsprogramm an über 200 Brennelementen durchgeführt, um zu klären, welche Bedingungen zum Auftreten des Dryouts geführt haben.

Erkenntnisse aus den Untersuchungen

Die Brennelementinspektionen haben die folgenden Resultate erbracht:

  • Das Phänomen Dryout ist seit dem Zyklus 28 (2011/12) aufgetreten.
  • Dryout trat ausschliesslich an (leistungsstarken) Brennelementen in ihrem ersten Einsatzjahr im Reaktor und ausschliesslich an zwei bestimmten Typen von Anströmpositionen auf.
  • Dryout trat erst zum Ende des Zyklus auf.
  • Die Dryoutbefunde befanden sich immer unter dem 7. und/oder 8. Abstandhalter und immer an den gleichen Brennstäben im betroffenen Brennelement.
  • Die Dryoutbefunde zeigten immer eine gleiche fahnenförmige Form, sind jedoch unterschiedlich in den Abmessungen. Die Länge der Anzeigen lag zwischen einigen Millimetern bis hin zu 250 Millimetern. In einem Fall führte die Korrosion zu einem Leck.
  • Die resultierende Oxidschichtdicke fällt unterschiedlich aus. Sie betrug maximal 260 μm.
  • Die Dryoutbefunde betreffen lediglich einen der vier im KKL eingesetzten Brennelementtypen.
  • Die Dryoutbefunde lassen auf Hüllrohrtemperaturen unter 800° Celsius schliessen, wobei dieser Zustand über eine längere Zeit andauerte und mit einem wechselhaften Verlust des Kühlmittelfilms und der Wiederbenetzung mit Kühlmittel einhergegangen ist.
  • Dryout trat nur auf, wenn die Brennelemente mit einer Brennelementleistung von über 7,4 Megawatt betrieben worden sind.
  • Dryout trat nur auf, wenn der Kerndurchsatz über 95 Prozent lag.

„Die Ursachenforschung zeigt ein klares und plausibles Muster bei den relevanten Einflussgrössen“, erklärt Ralph Schulz. Aus diesem Muster hat der Betreiber Massnahmen abgeleitet, die ein erneutes Auftreten von Dryouts verhindern sollen. Das ENSI hat diese Massnahmen geprüft und beurteilt sie als anforderungsgerecht. Das heisst, dass die Auslegung und der Betrieb des Reaktorkerns nun so gestaltet sind, dass die Bedingungen, die in den letzten Zyklen zu lokalen Dryoutbefunden geführt haben, nicht mehr auftreten.

Leistungsreduktion, um künftige Dryouts zu vermeiden

Als Massnahme für Betrieb und Kernauslegung wird im kommenden Betriebszyklus (bis Mitte September 2017) der Kerndurchfluss – also die Menge Wasser, die pro Zeiteinheit durch den Kern gepumpt wird – auf maximal 95 Prozent begrenzt. Zudem wird die Leistung pro Brennelement für frische Brennelemente im ersten Einsatzzyklus auf 7,0 respektive kurzzeitig 7,2 Megawatt begrenzt. Das entspricht einer Leistungsabsenkung an den frischen Brennelementen um rund 20 Prozent. Diese Massnahmen haben zur Folge, dass die thermische Leistung des Reaktors in Leibstadt zu Beginn des Betriebszyklus bei maximal 95 Prozent liegt und bis zum Zyklusende auf rund 88 Prozent sinkt.

Die vom ENSI zusätzlich zu Rate gezogenen Experten des Paul Scherrer Instituts PSI und der Sten Lundberg Consulting SLC bestätigen die Ansicht des ENSI, dass diese Massnahmen des Betreibers zielführend sind.

Zusätzliche Überwachungs- und Sicherheitsmassnahmen

Sollte es während des kommenden Betriebszyklus wider Erwarten trotz der Massnahmen zu einem Brennstabschaden und einem Auswaschen radioaktiver Stoffe in das Kühlmittel kommen, würde dies sofort von den Messsystemen registriert werden.

Als Auflage für die Freigabe zum Leistungsbetrieb wird festgelegt, dass das Kernkraftwerk Leibstadt sofort abgefahren werden muss, wenn ein Anstieg von radioaktiven Abgasen festgestellt wird. Diese deuten auf einen Brennstabschaden hin, unabhängig von der Ursache für den Schaden. Alle Brennelemente, die im Kern sind, müssten dann auf Dichtheit überprüft werden. Normalerweise wird ein KKW wegen der geringfügigen sicherheitstechnischen Bedeutung nicht wegen eines Brennstabschadens abgefahren.

Das ENSI wird sich zudem regelmässig vom Kernkraftwerk Leibstadt über weitere Fortschritte bei der Detailanalyse der beteiligten physikalischen Mechanismen berichten lassen. Weiter wird das KKL in der nächsten Jahresrevision wieder eine erweiterte Inspektion der Brennelemente durchführen.

Mensch und Umwelt waren nie in Gefahr

Es gibt in jedem KKW betriebliche Grenzwerte für die Kontamination des Kühlmittels, die bei Brennstabschäden eingehalten werden müssen. Im KKL wurden diese in den vergangenen Betriebszyklen bei weitem nicht erreicht. „Mit all diesen Massnahmen ist sichergestellt, dass der Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist“, betont Ralph Schulz. Er weist gleichzeitig darauf hin, dass auch mit den Dryouts dank des Mehrfach-Barrierensystems und der gestaffelten Sicherheitsvorsorge keine Gefährdung bestand.

Revision gemäss Vorgaben durchgeführt

Das Kernkraftwerk Leibstadt war am 2. August 2016 für die jährliche Revision abgestellt worden. Der lange Stillstand ist auf das kurzfristig massiv erweiterte Inspektionsprogramm zur Analyse der Dryout-Ursache zurückzuführen. Der Betreiber führte neben der breit angelegten Brennelement-Inspektion diverse Instandhaltungsarbeiten und wiederkehrende Prüfungen durch. Der Reaktorkern wurde neu ausgelegt. 84 abgebrannte Brennelemente von den insgesamt 648 Brennelementen wurden durch frische Brennelemente ersetzt.

Experten des Schweizerischen Vereins für technische Inspektionen SVTI und Fachleute des ENSI prüften nach Beendigung der Jahresrevision die Arbeiten in der Anlage. Das ENSI konnte sich anlässlich mehrerer Inspektionen davon überzeugen, dass im KKL während des Revisionsstillstands ein konsequenter und gesetzeskonformer Strahlenschutz praktiziert wurde.

Bei den Kontrollen und Inspektionen ergaben sich keine Befunde, die das Wiederanfahren für den kommenden Betriebszyklus und einen sicheren Leistungsbetrieb in Frage stellen.