Technisches Forum Sicherheit

Frage 51: Behältermaterial für radioaktive Abfälle

  1. Welche Materialien stehen für die Einlagerung und Ummantelung der radioaktiven Abfälle zur Verfügung und welche eignen sich nach aktuellem Wissensstand dazu am besten?
  2. Wann muss diese Frage final beantwortet sein?
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Eingegangen am 27. Januar 2011 Fragende Instanz Medienstelle NL und ZNO
Status beantwortet
Beantwortet am 1. Dezember 2011 Beantwortet von ,

Beantwortet von ENSI

Die behördlichen Vorgaben zum Behältermaterial sind in der Kernenergieverordnung (KEV) und der Richtlinie ENSI-G03 festgehalten:

Mehrfachbarrierensystem

Ein Geologisches Tiefenlager ist so auszulegen, dass die Langzeitsicherheit durch gestaffelte, passiv wirkende, technische und natürliche Barrieren Sicherheitsbarrieren gewährleistet wird (KEV Art.11, ENSI-G03 Leitsatz Sicherheitsbarrieren). Bei der Auslegung der Lagereinbauten, einschliesslich der technischen Barrieren, ist auf die physikalische und chemische Verträglichkeit mit den Abfällen und mit der natürlichen Barriere zu achten (ENSI-G03). Weiterhin sind gemäss KEV Art. 7 bei der Auslegung, beim Bau, bei der Inbetriebnahme und beim Betrieb von Kernanlagen bewährte oder nachweislich hochqualitative Verfahren, Werkstoffe, Techniken sowie Organisationsstrukturen und -abläufe einzusetzen.

Zusätzlich dürfen gemäss Richtlinie ENSI-G03 Abfallgebinde nur dann angenommen werden, wenn ihr chemisches und radiologisches Inventar mit den entsprechenden Voraussetzungen des Sicherheitsnachweises verträglich ist. Die für die Einlagerung von Abfallgebinden in einem geologischen Tiefenlager erforderlichen Verpackungsverfahren sowie die Nachweise für die Erfüllung der Annahmebedingungen für das vorgesehene geologische Tiefenlager sind dem ENSI zur Prüfung vorzulegen.

Anforderungen an die Lagerbehälter

Des Weiteren gibt es in der Richtlinie ENSI-G03 spezifische Anforderungen an die Lagerbehälter. Im Sinne einer Optimierung der Langzeitsicherheit sind die Lagerbehälter für hochaktive Abfälle auf einen vollständigen Einschluss der Radionuklide während tausend Jahren ab deren Einlagerung auszulegen. Die Entsorgungspflichtigen haben die zeitliche Einschlussfähigkeit der Lagerbehälter aufzuzeigen. Lagercontainer für schwach und mittel aktive Abfälle sind bezüglich mechanischer Beständigkeit so auszulegen, dass sie mindestens bis zum Ende der Beobachtungsphase ohne grossen Aufwand rückgeholt werden können.

Stellungnahmen des ENSI (bzw. der ehemaligen HSK) zum Entsorgungsnachweis Projekt Opalinuston

Das ideale Behältermaterial gibt es nicht, kein Material hat nur Vorteile. Der von der Nagra vorgeschlagene Stahlbehälter für hochaktive Abfälle wurde vom ENSI im Rahmen des Entsorgungsnachweises Projekt Opalinuston beurteilt. Das Behältermaterial Stahl für hochaktive Abfälle hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile dieses Behältermaterials sind beispielsweise, dass die Eigenschaften des Materials recht gut bekannt sind und sein Verhalten unter Tiefenlager­bedingungen entsprechend gut vorhersagbar ist. Die Korrosionsprodukte des Eisens und das bei der Korrosion entstehende Wasserstoffgas wirken stabilisierend auf die Redox-Verhältnisse im Tiefenlagernahfeld (HSK 35/99). Ein wichtiger Nachteil des Stahlbehälters ist hingegen, dass die Korrosionsrate und damit die Bildungsrate des Wasserstoffgases zu hoch sind, als dass das Gas im Porenwasser gelöst bleibt. Die geringe Gasdurchlässigkeit der Bentonitverfüllung und des Opalinustons behindert das Entweichen des Gases, was zu einem Druckaufbau um den Behälter führt. Ist genügend Druck aufgebaut, beginnt das Gas sich auszubreiten und muss dabei als erste Barriere die Bentonitverfüllung überwinden. Die Möglichkeiten des Weitertransportes des Gases im Wirtgestein sind entscheidend, um abzuklären, ob der Gasdruck am Übergang vom Nahfeld zum Wirtgestein unter Bildung neuer Wegsamkeiten zu einer irreversiblen Beschädigung des Wirtgesteins führt.

Zusammenfassend lässt sich für den Entsorgungsnachweis Projekt Opalinuston festhalten, dass das ENSI bezüglich Gastransport im Opalinuston zum Schluss kommt, dass die Nagra das Problem des Gastransportes umfassend angegangen hat. Die vom ENSI erkannten offenen Fragen werden dadurch relativiert, dass die Nagra in konservativer Weise von einer kontinuierlich maximalen Gasproduktion ausgeht und die Wasserzehrung sowie den Gastransport entlang der EDZ (Auflockerungszone um den Lagerstollen) nicht berücksichtigt hat. Das ENSI stellt aufgrund eigener Berechnungen fest, dass der von der Nagra aufgestellte Nachweis generell robust ist und aufzeigt, dass irreversible Schäden im Wirtgestein durch die auftretenden Gasdrücke nicht zu erwarten sind (HSK 35/99).

Der von der Nagra als Alternative betrachtete Kupferbehälter mit Innenbehälter aus Eisen würde voraussichtlich während noch längerer Zeit (mehrere 100 000 Jahre) einen absoluten Einschluss gewährleisten. Dank der geringeren Korrosionsrate würde weniger Wasserstoffgas entstehen. Diese Behältervariante wirft hingegen andere Fragen auf, z.B. zur galvanischen Korrosion von Eisen und Kupfer oder zur Frage der Sulfidkorrosion von Kupfer, die es zu klären gäbe (HSK 35/99).

Nach Ansicht des ENSI stellen die offenen Fragen bezüglich Materialeigenschaften und Korrosionsverhalten der Behälter die Machbarkeit der Tiefenlagerung nicht in Frage. Sollte sich im Laufe der weiteren Abklärungen herausstellen, dass bei der Verwendung eines Stahlbehälters der bei der Korrosion entstehende Wasserstoff die Wirkung der technischen und natürlichen Barrieren beeinträchtigen könnte, besteht die Möglichkeit, statt dessen den als Alternative beschriebenen Kupferbehälter zu verwenden (HSK 35/99).

Das ENSI hat anlässlich seiner Beurteilung des Entsorgungsnachweises weitere Abklärungen zur Gasproblematik gefordert, darunter auch bezüglich Behältermaterialien und des Gastransports durch die Bentonitverfüllung und das Wirtgestein. Diese Empfehlungen müssen stufengerecht im Verlauf der weiteren Realisierungsschritte des Lagerprojektes beantwortet werden. Wenn Behälter aus anderen Materialien bezüglich Sicherheit klare Vorteile zeigen, soll man diese im Sinne einer Optimierung des Lagerkonzepts verwenden. Die Nagra muss gemäss Artikel 23 der Kernenergieverordnung im Rahmenbewilligungsgesuch die Grundsätze des Tiefenlagers sowie gemäss Artikel 17 des Kernenergiegesetzes im Baubewilligungsgesuch die wesentlichen Elemente der technischen Verwirklichung angeben. Mit der Baubewilligung wird daher das definitive Behälterdesign festgelegt.

Referenzen

ENSI-G03 Spezifische Auslegungsgrundsätze für geologische Tiefenlager und Anforderungen an den Sicherheitsnachweis, Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat, Richtlinie, Würenlingen, 2009

HSK 35/99: Gutachten zum Entsorgungsnachweis der Nagra für abgebrannte Brennelemente, verglaste hochaktive sowie langlebige mittelaktive Abfälle (Projekt Opalinuston), Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen, Würenlingen, 2005

KEG: Kernenergiegesetz vom 21. März 2003, Schweiz, SR 732.1.

KEV: Kernenergieverordnung vom 10. Dezember 2004, Schweiz, SR 732.11.

Beantwortet von Nagra

a) Welche Materialien stehen für die Einlagerung und Ummantelung der radioaktiven Abfälle zur Verfügung und welche eignen sich nach aktuellem Wissensstand dazu am besten?

Die Endlagerbehälter, in welchen die radioaktiven Abfälle eingepackt werden, sind eines von mehreren Elementen des Systems der passiven Sicherheitsbarrieren. Die weiteren Elemente sind die Abfallmatrix (z.B. Glas bei den verglasten hochaktiven Abfällen oder die UO2-Matrix für die verbrauchten Brennelemente), das Verfüllmaterial, welches in den Lagerkammern die Hohlräume um die Endlagerbehälter ausfüllt und das Wirtgestein, in welchem die Lagerkammern erstellt werden, sowie die Versiegelung und Verfüllung der Zugänge zu den Lagerkammern. Die Lagerkammern werden in einer geologisch stabilen Situation in einer Tiefe von mehreren hundert Metern unter Terrain angeordnet.

Die Endlagerbehälter für die verbrauchten Brennelemente (BE) bzw. die verglasten hochaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung des verbrauchten Brennstoffs (HAA) sind im Sinne einer Optimierung der Langzeitsicherheit so auszulegen, dass die Radionuklide für mindestens 1 000 Jahre vollständig eingeschlossen sind (vgl. Richtlinie ENSI-G03). Damit werden keine radioaktiven Stoffe während der Zeit der grössten Aktivität aus den Abfällen freigesetzt. Die Sicherheitsanalysen zeigen zudem, dass für die BE bzw. HAA in einem Lager im Opalinuston die Einschlusszeit im Endlagerbehälter für die Langzeitsicherheit nur von beschränkter Bedeutung ist; wegen der hervorragenden Wirkung der anderen Barrieren (insbesondere des Wirtgesteins Opalinuston) ergeben sich auch bei hypothetischer Vernachlässigung der Einschlusswirkung der Endlagerbehälter praktisch gleich tiefe Dosen wie für den Fall eines wirksamen Einschlusses für 10 000 Jahre. Für die Endlagerbehälter für die schwach- und mittelaktiven Abfälle (SMA) wird von den Behörden keine Mindesteinschlusszeit vorgegeben. Wegen der viel kleineren Radiotoxizität der SMA ist ein länger dauernder Einschluss in den Endlagerbehältern nicht notwendig. Für die SMA sind Endlagerbehälter aus Beton vorgesehen.

Für die Festlegung der Materialien und der Auslegung der Endlagerbehälter für BE bzw. HAA werden verschiedene Kategorien von Anforderungen berücksichtigt, nämlich Anforderungen bezüglich Langzeitsicherheit, radiologischer Betriebssicherheit und technischer Machbarkeit. Dabei sind neben der Langzeitbeständigkeit unter den erwarteten Bedingungen (massgebend für die Einschlussdauer) und der Festigkeit des Behältermaterials (massgebend für die Behälterauslegung mit / ohne Innenbehälter) auch die möglichen Einwirkungen des Endlagerbehälters und seiner Korrosionsprodukte (z.B. Bildung von Wasserstoffgas als Folge der anoxischen Korrosion von Stahl) auf die anderen Sicherheitsbarrieren sowie die Prognostizierbarkeit des langzeitigen Materialverhaltens und die Zuverlässigkeit von Herstellung und Verschluss des Behälters wichtige Aspekte.

Die verschiedenen Materialien für die BE-/HAA-Endlagerbehälter werden schon seit mehreren 10 Jahren in den verschiedenen Entsorgungsprogrammen bezüglich ihrer Eignung evaluiert. Zu den untersuchten Materialien gehören Kohlenstoffstahl, rostfreier Stahl, Ni-Legierungen, Kupfer, Titan(-Legierungen) sowie verschiedene keramische Werkstoffe. Zurzeit werden Behälterkonzepte mit Kohlenstoffstahl und Kupfer (als Hülle eines Innenbehälters z.B. aus Gusseisen) als geeignet beurteilt (Prognostizierbarkeit des langzeitigen Materialverhaltens unter den erwarteten in-situ Bedingungen und Zuverlässigkeit von Herstellung und Verschluss des Behälters, inkl. vorgesehener Prüfungen)). Andere Materialien sind bezüglich ihres Langzeitverhaltens eher weniger geeignet (z.B. rostfreie Stähle unter den erwarteten Bedingungen (anoxisch, leicht erhöhte Salinität, etwa neutraler pH) oder aber die vorhandenen Erfahrungen unter den erwarteten Bedingungen sind für Aussagen zum Langzeitverhalten noch relativ wenig umfangreich (z.B. Ni-Legierungen). Für gewisse Materialien (z.B. Keramik) sind weitere Entwicklungen notwendig, um ihre Eignung belastbar beurteilen zu können.

Im gegenwärtigen Nagra-Programm ist Kohlenstoffstahl das Referenzmaterial, als Alternative wird ein Gusseisen-Innenbehälter mit Kupfermantel betrachtet (Referenzbehälter im finnischen und schwedischen Entsorgungsprogramm). Weiter wird Keramik geprüft und es ist geplant, die Möglichkeit der Nutzung von Beschichtungen (Keramik, Kupfer, etc.) zu prüfen. Reserveoptionen (ohne aktive Bearbeitung) sind Innenbehälter mit einer Hülle aus Ni-Legierungen bzw. aus Titan(-Legierungen).

b) Wann muss diese Frage final beantwortet sein?

Die abschliessende Festlegung der Behälterauslegung und damit die abschliessende Festlegung des Behältermaterials erfolgt erst mit der nuklearen Baubewilligung (für das SMA-Lager ab ca. 2030, für das HAA-Lager ab ca. 2045). Für die Entwicklungsarbeiten und die Erarbeitung der Gesuchs­unterlagen müssen die notwendigen Vorentscheide aber früher gefällt werden (für das SMA-Lager ab ca. 2025, für das HAA-Lager ab ca. 2035). Für das Rahmenbewilligungsgesuch (ab ca. 2018) ist vorgesehen, für die BE-/HAA-Behälter mehr als eine Variante zu betrachten (z.B. Behälter aus Kohlenstoffstahl bzw. Behälter mit Kupferhülle).