Frage 32: Abbildungsvermögen von Verwerfungen durch Seismik
Frage zur Seismik: Können alle grossen Verwerfungen im tiefen Untergrund (das heisst unter dem Opalinuston) detektiert werden? Da sich solche Störungen bei grossen seismischen Ereignissen bis in den Opalinuston durchpausen können, ist deren Kenntnis unabdingbar, da sich eine entsprechende Relevanz für die Standortwahl oder zumindest für die Lageranordnung ergibt.
Im sedimentären Deckgebirge sind grössere Störungen (Verwerfungen) mit 3D-Seismik mit hoher Zuverlässigkeit erkennbar, weil sich die Gesteinsschichten aufgrund der starken seismischen Impedanzkontraste gut abbilden lassen (Tabelle 32-1; Tabelle 4.1 aus Nagra NTB 00-03, illustratives Beispiel in Figur 32-1; Figur 4.4 aus Nagra NTB 00-03). Auch grosse Transversalverschiebungen mit vorwiegend horizontalem Versatz können erkannt werden, weil es unwahrscheinlich ist, dass die Bewegungsrichtung konstant parallel zu Schichtung verläuft und Störungen mit grosser Längserstreckung zudem eine entsprechend grosse Breite des gestörten Gesteinsverbandes (fracture process zone) haben.
Störungen im kristallinen Grundgebirge, welche das sedimentäre Deckgebirge nicht durchschlagen, sind mit den heute zur Verfügung stehenden Methoden oft nicht erkennbar, weil sich die geophysikalischen Gesteinseigenschaften auf beiden Seiten einer Störung kaum unterscheiden (Randstörungen von Permokarbontrögen sind teilweise erkennbar).
Weltweite Studien belegen einen Zusammenhang zwischen der Längserstreckung von Störungen und der maximalen Magnitude eines Erdbebens. Das heisst grosse Erdbeben mit grossen, nach oben durchschlagenden Differenzialbewegungen können nur an Störungen mit grosser Längserstreckung (mindestens mehrere 10er Kilometer) erfolgen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass grosse Störungen unterhalb des Opalinustons – welche diesen nicht durchschlagen und demzufolge seit mindestens 174 Millionen Jahren nicht mehr aktiv waren – innerhalb der nächsten Million Jahre signifikant reaktiviert werden und nach oben durchschlagen, ist sehr gering, weil die Richtung der Hauptgebirgsspannung seit der Bildung der Alpen ziemlich konstant ist, das heisst senkrecht zum Alpenbogen (in der Nordschweiz N bis NW). Weil dieser Fall aber nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, wird er in der Sicherheitsanalyse als ‘What if?’ -Fall analysiert (vgl. Frage 31).