Technisches Forum Sicherheit

Frage 87: Atmosphäre innerhalb Lagerbehälter

In einem Referat vor der Fachgruppe Sicherheit ZNO betonte Hr. Paul Bossart, Direktor des Versuchslabors Mont Terri, die Bedeutung und Wichtigkeit eines Tiefenlagers mit möglichst geringer Wasserstoff-Produktionsrate (siehe auch Frage 50). Nach dem Verschluss des HAA enthält der Lagerbehälter Atmosphäre, die nebst Stickstoff aus Sauerstoff, Wasserstoff, Wasserdampf, biologische Schwebeteilchen usf. besteht. Dieses Gas- und Molekulargemisch kann aber im HAA-Lager bei relativ hohen Temperaturen (ca. 100 Grad) chemische Prozesse am Abfall und Lagerbehälter auslösen. Insbesondere ist zu bedenken, dass der Zerfall der Nuklide in andere Isotope in einigen Jahrtausenden unerwartete Prozesse wahrscheinlicher werden lässt, welche beim Bruch des Hüllrohrs (Zirkaloy-Metall, s. Frage 63) ungehindert an die Isotope gelangen.

  1. Welche Erkenntnisse zu chemischen Reaktionen bestehen zwischen der „eingeschlossenen“ Atmosphäre mit dem HAA und dem Lagerbehälter?
  2. Welche Isotope und Zerfallsprodukte sind bei Temperaturen über 20 Grad flüchtig oder flüssig und/oder oxidieren mit dem Gasgemisch bzw. mit der eingebauten Halterung und dem Metall des Lagerbehälters?
  3. Bis zu welchem Zeithorizont sind die chemischen Vorgänge im Lagerbehälter bekannt und abgesichert, ab wann sind sie nicht mehr definierbar?
  4. Unter welchen Umständen bricht das Hüllrohr und ist ein spezielles Gasgemisch für das HAA Lager zu verwenden?
Thema , Bereich
Eingegangen am 29. November 2012 Fragende Instanz Fragen aus der Bevölkerung
Status beantwortet
Beantwortet am 11. November 2014 Beantwortet von

Beantwortet von Nagra

Die vom Fragesteller vermuteten chemischen Reaktionen im Innern des intakten Endlagerbehälters finden nicht statt, denn der Endlagerbehälter ist innen vollständig trocken und mit einem inerten (chemisch nicht reagierenden) Gas (Helium) gefüllt. Erst wenn der Endlagerbehälter undicht wird (nach ca. 10‘000 Jahren) kommt Wasser ins Innere des Behälters, und es kommt zu Korrosionsreaktionen.

Die verbrauchten Brennelemente (kurz: BE) werden nach einigen wenigen Jahren der Zwischenlagerung im Brennelementbecken des Kernkraftwerks (wo die BE im Wasser gelagert werden) unter Wasser in Transport- bzw. Transportlagerbehälter(kurz: TLB) geladen. Nach der Beladung, aber vor dem Verschluss wird das Wasser aus den TLB entfernt, die Brennelemente und das Innere der TLB wird getrocknet, und anschliessend wird das Innere der TLB mit Helium-Gas geflutet. Neben dem Helium kann es im Innern der TLB noch kleinste Restmengen an Feuchtigkeit geben, es gibt jedoch kein Sauerstoff oder andere Gase bzw. Flüssigkeiten. Die TLB werden für ca. 50 Jahre im Zwilag (oder ZWIBEZ) zwischengelagert, wo die anfängliche Temperatur von ca. 400 ° C langsam auf 100 bis 200 ° C abnimmt. Während dieser Zeit reagieren die allenfalls vorhandenen kleinsten Mengen an Restfeuchtigkeit mit dem Stahl der TLB, was zum Verbrauch des Wassers aber auch zur Bildung kleinster Mengen an Wasserstoff führt. Zum Zeitpunkt, wo die TLB geöffnet werden, um die BE in die Endlagerbehälter umzuladen, sind das Innere der TLB und die BE vollständig trocken. Sobald der Endlagerbehälter mit BE beladen ist, wird dieser mit einem inneren Deckel (mit Dichtung) geschlossen. Das Innere des Endlagerbehälters wird über ein Ventil im inneren Deckel vollständig mit Helium gefüllt; es gibt im Inneren des Endlagerbehälters keine Flüssigkeiten und keine anderen Gase. Anschliessend wird der für die Langzeitsicherheit relevante äussere Deckel aufgesetzt und mit einer dickwandigen Schweissnaht dicht verschlossen. Basierend auf diesen Erläuterungen ergeben sich folgende Antworten:

a)

Im Inneren des Endlagerbehälters gibt es keine Feuchtigkeit, keinen Sauerstoff und keinen Stickstoff sondern nur Helium. Im Inneren des intakten Endlagerbehälters sind keine chemischen Reaktionen möglich.

b)

Die aus UO2 bzw. MOX bestehenden Brennstofftabletten sind in einem gasdicht verschlossenen Hüllrohr eingeschlossen. Falls dieses Hüllrohr durch Alterungsprozesse undicht würde, würde dies zur Freisetzung von inerten Spaltgasen (Xenon, Krypton (welches zu Rubidium zerfällt)) und von Helium (ursprüngliche Gasfüllung im Hüllrohr) in das Innere des Endlagerbehälters führen . Diese Gase führen zu keiner chemischen Reaktion.

c)

So lange die Endlagerbehälter dicht sind (minimale Dauer: 1000 Jahre, angestrebte Dauer: 10‘000 Jahre), finden keine chemischen Reaktionen statt, da der Behälter von Innen absolut trocken und mit inerten Gas gefüllt ist (Helium).

d)

Die Hüllrohre können infolge Alterung (z.B. Wasserstoffversprödung) undicht werden. Dies kann zu einer Freisetzung von Spaltgas führen. Auch wenn dies schon vor dem Umlad in die Endlagerbehälter geschieht, wird der Endlagerbehälter mit Helium-Gas geflutet.

Ergänzungfrage zu d)

Wie wirkt sich die Erhöhung des Innendrucks des Endlagerbehälters aufgrund Versagen von Hüllrohren über lange Zeiten aus?

Annahmen bzgl. Anfangsbedingungen im Endlagerbehälter:

  • Das freie Volumen in einem verschlossenen und mit 4 Druckwasserreaktor-Brennelementen (DWR-BE) befüllten Endlagerbehälter beträgt 1.6 m3 (NTB 12-06)
  • Jedes DWR-BE besteht aus 204 Brennstäben; d.h. ein Endlagerbehälter enthält total
  • 4 x 204 = 816 Brennstäbe
  • Im Verlaufe von 1000 Jahren versagen alle 816 Hüllrohre z.B. aufgrund Wasserstoffversprödung
  • Der Endlagerbehälter hat einen Innendeckel mit einer Dichtung und das freie Volumen ist mit Helium mit einem Druck von ca. 1 bar befüllt
  • Die Brennstäbe ihrerseits werden bei der Herstellung mit Helium befüllt mit einem Druck von 22.5 bar
  • Das freie Volumen in einem Brennstab beträgt 17.5 cm3
  • Mit diesen Angaben erhält man als Gesamtmenge He im Endlagerbehälter aus der ursprünglichen Befüllung der Brennstäbe 8.3 mol (Beitrag 1)
  • Die Gesamtmenge an Brennstoff im Endlagerbehälter beträgt 1.732 tHM
  • Der Gehalt an Spaltgas (Xe + Kr) im Brennstoff beträgt 102 mol/tHM
  • Davon werden 20% freigesetzt (pessimistischer oberer Eckwert)
  • Damit erhält man eine Gesamtmenge Spaltgas (Xe + Kr) im Endlagerbehälter von 35 mol (Beitrag 2)
  • Aus dem Alphazerfall fallen zusätzlich 18.3 mol He pro tHM an. Es wird pessimistisch angenommen, dass davon 10% aus dem Brennstoff freigesetzt wird.
  • Dies ergibt eine zusätzliche Gesamtmenge He im Endlagerbehälter aus dem Alphazerfall von 3.2 mol (Beitrag 3)

Mit diesen Annahmen erhält man einen Druckanstieg von ca. 0.9 bar über 1000 Jahre im Innern des Endlagerbehälters (bei einer angenommenen Temperatur von 373 K); d.h. der absolute Druck im Innern des Behälters beträgt dann ca. 1.9 bar. Ein solcher Innendruck hat keinerlei Bedeutung für die Behälterintegrität.