Technisches Forum Sicherheit

Frage 10: Dichtigkeit und Langzeitsicherheit der Lagerstätte

Welche Erkenntnisse hat man in Bezug radioaktiver Abfälle und der Gesteine (Dichtigkeit)?

Welche Erkenntnisse hat man mit Wasserströmen in den Tiefen, wo die Lagerstätten geplant sind?

Woher weiss man, dass die jetzt trockene Lagerstätte in 100 oder mehr Jahren nicht durch Erdverschiebungen etc. von Wasser durchsickert oder geflutet werden?

Woher weiss man, dass sich unterhalb des Lagers in 1500 m – 10 000 m Tiefe kein Wasser befindet, welches durch die Gegebenheiten der Erdstruktur sich nur langsam (z.B. 10 m/Jahr) aufwärts bewegt?

Thema Bereich
Eingegangen am 25. September 2009 Fragende Instanz Fragen aus der Bevölkerung
Status beantwortet
Beantwortet am 26. Mai 2010 Beantwortet von

Beantwortet von ENSI

a) Welche Erkenntnisse hat man in Bezug radioaktiver Abfälle und der Gesteine (Dichtigkeit)?

Die geologische Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle ist seit Jahrzehnten Gegenstand der internationalen Forschung. Das heutige Wissen ist entsprechend umfangreich. Die Nagra hat im Rahmen des Sachplanverfahrens diese Erkenntnisse im Hinblick auf die Verhältnisse in der Schweiz aktuell zusammengestellt (NTB 08-04). Die Expertinnen und Experten des ENSI haben diese Zusammenstellung eingehend überprüft (Sicherheitstechnisches Gutachten zum Vorschlag geologischer Standortgebiete, ENSI 33/​070, erhältlich unter https://www.ensi.ch). Für die Lagerung radioaktiver Abfälle kommen mehrere Gesteine in Frage (Opalinuston, Tongesteinsfolge Brauner Dogger, Effinger Schichten, Mergel-Formationen des Helvetikums), die in der geforderten Tiefe alle sehr gering wasserdurchlässig sind.

b) Welche Erkenntnisse hat man mit Wasserströmen in den Tiefen, wo die Lagerstätten geplant sind?

Kenntnisse über Tiefengrundwasser werden aus der Exploration von Erdöl und Erdgas schon seit Beginn der Industrialisierung gewonnen. Dazu liefern Thermalwasserbohrungen und –quellen, Geothermiebohrungen und die Untersuchungen der Nagra seit Jahrzehnten weitere Erkenntnisse. Wasserströme hängen einerseits von der hydraulischen Durchlässigkeit des Gesteins und andererseits vom hydraulischen Gradienten, der antreibenden Kraft für Grundwasserbewegungen, ab. Die hydraulische Durchlässigkeit kann je nach Gestein um viele Grössenordnungen variieren und in Oberflächennähe durch Verwitterung und Dekompaktion erhöht sein. Die geologischen Tiefenlager sind deshalb in grösserer Tiefe geplant. Der hydraulische Gradient wird von den hydrogeologischen Randbedingungen (Grundwasserkreislauf, grossräumige Abflussverhältnisse, Neubildungsgebiete etc.) bestimmt. Er ist viel weniger variabel als die hydraulische Durchlässigkeit des Gesteins und spielt deshalb für den Vergleich unterschiedlicher Standortgebiete eine untergeordnete Rolle. Die Wirtgesteine in den vorgeschlagenen geologischen Standortgebieten sind teilweise so undurchlässig, dass das Wasser nicht mehr fliessen kann (es stagniert) und der Transport der Radionuklide im Wesentlichen sehr langsam über die molekulare Diffusion erfolgt.

c) Woher weiss man, dass die jetzt trockene Lagerstätte in hundert oder mehr Jahren nicht durch Erdverschiebungen etc. von Wasser durchsickert oder geflutet werden?

Die tieferen Gesteinsschichten im Untergrund sind im Allgemeinen alle mit Wasser gesättigt. Je nach geologischer Situation können Gesteine aber auch nicht vollständig gesättigt sein (z. B. Karstsysteme).

Die Wirtgesteine wie der Opalinuston sind vor vielen Millionen Jahren entstanden (rund 180 Millionen Jahren). Die von der Geologie überblickbaren Zeiträume sind somit mehr als 100-mal grösser als der zu prognostizierende Betrachtungszeitraum für geologische Tiefenlager (1 Million Jahre für hochaktive Abfälle beziehungsweise 100 000 Jahre für schwach- und mittelaktive Abfälle). Mit dem Verständnis der geologischen Entwicklungsgeschichte kann deshalb für ausgewählte Gebiete zuverlässig das Spektrum möglicher Veränderungen (z.B. Erdverschiebungen, Hebungs- und Erosionsvorgänge, Verwitterung) evaluiert werden und man kann beurteilen, ob langfristig eine Beeinträchtigung des Einschlussvermögens des Wirtgesteins innerhalb des erforderlichen Betrachtungszeitraums zu erwarten ist oder nicht.

Natürliche chemische Tracerstoffe und Isotopensignaturen des Porenwassers wie zum Beispiel das Chlor belegen, dass die Porenwässer im Opalinuston seit Jahrmillionen eingeschlossen sind und liefern damit den Hinweis, dass die hydraulische Durchlässigkeit des Wirtgesteins dauerhaft sehr gering war. Zusätzlich weisen die vorgeschlagenen tonreichen Gesteine die Fähigkeit auf, durch Sorption Radionuklide an sich zu binden. Wegen dem Quellvermögen der Tonmineralien schliessen sich zudem allfällige Risse und Klüfte wieder von selbst ab (Selbstabdichtungsvermögen).

d) Woher weiss man, dass sich unterhalb des Lagers in 1500 m – 10 000 m Tiefe kein Wasser befindet, welches durch die Gegebenheiten der Erdstruktur sich nur langsam (z.B. 10 m/Jahr) aufwärts bewegt?

Unterhalb des Wirtgesteins kann in grösserer Tiefe durchaus Grundwasser vorkommen, welches sich in grossräumigen Zirkulationssystemen in Richtung der Vorfluter (z.B. Rhein, Aare) bewegt. So sind z.B. die Schichten des Muschelkalks, welche in der Nordschweiz unterhalb der vorgeschlagenen Wirtgesteine vorkommen, oder der poröse Buntsandstein sowie das kristalline Grundgebirge als potenzieller Kluftwasserleiter, als Grundwasserleiter bekannt. Diese Tiefenwässer werden heute teilweise genutzt (z.B. das aus dem Kristallin stammende Mineral- und Thermalwasservorkommen von Zurzach). Für die Langzeitsicherheit eines geologischen Tiefenlagers ist entscheidend, dass sich diese Tiefenwässer innerhalb der Grundwasserleiter bewegen und durch andere dichte Gesteine (z.B. Evaporite) voneinander getrennt werden und das gering durchlässige Wirtgestein nicht erreichen oder durchdringen können. Man spricht dann von so genannten Grundwasserstockwerken, die sich durch unterschiedliche physikalische und chemische Eigenschaften der Tiefenwässer auszeichnen.

Die in der Frage als langsam angesprochene Aufwärtsbewegung von z.B. 10 m/Jahr wäre für Wirtgesteine im Hinblick auf die geologischen Zeiträume nicht akzeptabel, da dies viel zu schnell ist. Tatsächlich sind die Wirtgesteine in den vorgeschlagenen Gebieten weitgehend so undurchlässig, dass das Wasser nicht mehr fliessen kann, der Transport erfolgt hauptsächlich durch die Diffusion. Der Diffusionsvorgang ist ein sehr langsamer Prozess, bei einer Diffusionskonstante von 10-12 m2/s für Cl beträgt die mittlere Diffusionsweglänge rund 10 Metern in 1 Million Jahren!