Technisches Forum Kernkraftwerke
Frage 9: Füllstandsmessungen Reaktordruckbehälter
2.1 Sicherheitstechnische Bedeutung
In einem Kernreaktor gibt es ein ultimatives Sicherheitsziel: die Brennelemente müssen möglichst zu jedem Zeitpunkt mit Kühlwasser bedeckt sein, damit sie keinen Schaden nehmen. Dies gilt auch noch lange nach der Abschaltung, denn in den Brennelementen findet der sogenannte Nachzerfall der Spaltprodukte aus der Kernspaltung statt. Dieser Nachzerfall erzeugt weiterhin eine enorme Wärmeleistung im Mega-watt-Bereich. Letztlich dienen praktisch sämtliche Sicherheitssysteme einer Anlage der Abfuhr dieser Nachzerfallswärme vom Reaktor über mehrere Kühlkreis-Stufen hinweg zu einer Wärmesenke.
Zu viel Wasser darf im Reaktor aber auch nicht vorhanden sein, denn sonst fehlt dem Druckbehälter das gasförmige „Polster“, um im zulässigen Druckbereich zu bleiben. Ein zu volles System würde Gefässe und Rohre beschädigen. Die Angst der Operateure vor einem solchen, „going solid“ genannten Effekt, führte unter anderem zum Unfall auf Three Mile Island (Harrisburg)1.
Folglich muss der Füllstand im Reaktordruckbehälter ständig überwacht und die Kühlmittelzufuhr ent-sprechend geregelt werden. Ohne eine zuverlässige Instrumentation des zentralen Messwertes Füllstand kann weder ein automatisches System noch die beste Betriebsmannschaft einen Störfall beherrschen.
2.2 Füllstandsmessung bei General Electric BWR Reaktoren
Der Füllstand von General Electric BWR Reaktordruckbehältern wird mittels Druckvergleich gemessen. Dazu wird Wasser vom Reaktordruckbehälter über ein Messröhrchen ins Containment geführt und der Wasserdruck dort verglichen mit dem Wasserdruck aus einer Kondensationskammer mit bekannter, konstanter Füllhöhe. Die Kondensationskammer ist ganz oben mit der Atmosphäre des Reaktordruckbehälters verbunden, so dass beide Wassersäulen demselben Oberflächendruck ausgesetzt sind. Aus der Differenz der Wasserdrücke kann (normalerweise) der Füllstand im Reaktordruckbehälter abgelesen werden2.
In der Schweiz sind Mühleberg und Leibstadt mit General Electric BWR Reaktoren ausgerüstet.
2.3 Fehlerhafte Füllstandsmessung in Fukushima
In Fukushima haben die Füllstandsanzeigen versagt. Zunächst lag dies an der zusammengebrochenen Stromversorgung (inklusive der batteriegestützten Gleichstromversorgung). Später konnte die Versorgung der wichtigsten Instrumente mittels Fahrzeugbatterien wiederhergestellt werden. Nachdem die Operateure wieder den Füllstand ablesen konnten, dachten sie zunächst während Stunden, dass der Pegel zwar tief aber nicht kritisch sei3. Später stellte sich jedoch heraus, dass die Messinstrumente falsch anzeigten.
Das General Electric BWR Messprinzip hat in Fukushima systematisch bei allen drei Blöcken versagt, offenbar weil Wasser im Messröhrchen und in der Kondensationskammer aufgrund der hohen Umgebungs-temperatur im Containment verdampfte. Die folgenden Passagen aus dem japanischen Regierungsbericht vom Juni 2011 dokumentierten die Sachlage.
Für Block 14:
Für Block 25:
Für Block 36:
1 J. Samuel Walker , Three Mile Island: a Nuclear crisis in historical perspective, p. 76
2 General Electric Systems Technology Manual, Chapter 3.1, Reactor Vessel Instrumentation System, p. 3.1-3
3 Protokolle, Schilderungen eines Operateurs, Nachstellung in NHK, ARTE “Chronik eines Desasters”;
http://www.youtube.com/watch?v=zItv64VFw4A (ab Zeitmarke 32:20)
4 Report of Japanese Government to the IAEA Ministerial Conference on Nuclear Safety – The Accident at TEPCO’s Fukushima Nuclear Power Stations, 2011, IV. Occurrence and Development of the Accident at the Fukushima Nuclear Power Stations; IV-44;
http://www.kantei.go.jp/foreign/kan/topics/201106/iaea_houkokusho_e.html
5 IV-61
6 IV 77
Fragen / Antwortencheckliste
A. (KKM/KKL) Welche Füllstands-Instrumentierungen sind in Schweizer BWR Reaktoren vorhanden. Gibt es diversitäre Systeme, die nicht von der Kondensationskammer oder den besagten Messröhrchen abhängen?
B. (KKM/KKL) Gibt es Gründe, warum in vergleichbaren Szenarien dasselbe Problem in den Schwei-zer BWR-Anlagen nicht auftreten sollte? (KKL: ggf. relevante konstruktive Unterschiede zum Mark I Containment aufzeigen)
C. (KKM/KKL) Ist es auszuschliessen, dass dasselbe Problem bei einem Frischdampf-Kühlmittelverlust-Störfall innerhalb des Containments passiert? Gibt es andere Störfälle mit heissem Containment?
D. (ENSI) Welche Untersuchungen dieses Fehlers wurden nach Fukushima (international und speziell in der Schweiz) vorgenommen?
Thema | Reaktordruckbehälter | Bereich | |
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Eingegangen am | 7. Mai 2013 | Fragende Instanz | Vertreter von NGOs |
Status | beantwortet | ||
Beantwortet am | 26. März 2015 | Beantwortet von |