Technisches Forum Sicherheit

Frage 29: Gasproblematik

Wie gross ist der maximal zulässige Gasdruck in Stollen eines geologischen Tiefenlagers?

Wie wird der Gasdruck „reguliert“?

Können sich in einem Tiefenlager radioaktive Gase bilden?

Thema Bereich
Eingegangen am 9. Oktober 2009 Fragende Instanz Kanton Zürich
Status beantwortet
Beantwortet am 26. August 2010 Beantwortet von ,

Beantwortet von ENSI

Die Sicherheit eines geologischen Tiefenlagers beruht darauf, dass die technischen und natürlichen Barrieren im Zusammenspiel die Freisetzung von Radionukliden auf ein ungefährliches Mass für Mensch und Umwelt reduzieren. Lagerinduzierte Effekte, wie die Korrosion von eingelagerten Materialien, die zu einem Druckaufbau in Tiefenlagerstollen führt, werden beim Nachweis der Langzeitsicherheit eines Lagers beurteilt.

Wie gross ist der maximal zulässige Gasdruck in Stollen eines geologischen Tiefenlagers?

Der Druckaufbau darf zu keinen Schädigungen des Barrierensystems führen, die die Rückhaltefähigkeit für Radionuklide so stark reduziert, dass die Schutzkriterien der Richtlinie ENSI-G03 überschritten werden. Das ENSI prüft den zeitlichen Verlauf des Druckaufbaus mit unabhängigen Berechnungen und insbesondere, ob die Schutzfunktion der Geosphäre gewährleistet bleibt.

Bis zu welchem Wert sich ein Druckaufbau nicht auf die Langzeitsicherheit auswirkt, hängt beispielsweise von der Tiefenlage, den mechanischen Eigenschaften der Gesteinsformation, der geologischen Vorgeschichte ab und ist nicht einfach zu bestimmen. Im Sinne der Robustheit eines Tiefenlagers ist deshalb bereits bei der Auslegung der Lagerstollen darauf zu achten, dass die gasinduzierten Einflüsse auf das Wirtgestein klein bleiben und die Rückhaltefähigkeit des Barrierensystems gewährleistet ist.

Um die Auswirkungen von Lagergasen auf die Langzeitsicherheit zu begrenzen, können folgende Vorgehensweisen in Betracht gezogen werden:

  • Grundsätzliche Vermeidung oder Minimierung von gasproduzierenden Abfällen (beispielsweise durch vorgängige Verbrennung im Plasmaofen der ZWILAG)
  • Verwendung von geeigneten Materialien für Einbauten und Lagercontainern
  • Optimierung der Lagerauslegung (unter Berücksichtigung der technischen Machbarkeit)
  • Verwendung eines geeigneten Verfüllmaterials (Erhöhung des Speichervolumens für Gas) und Nachweis der genügenden Gasleitfähigkeit
  • Optimierung der Versiegelungen auf Gasdurchlässigkeit beispielsweise durch die Verwendung von Sand/Bentonitmischungen.

Wie wird der Gasdruck „reguliert“?

Der zeitliche Verlauf des Gasdrucks hängt von folgenden Aspekten ab: Einerseits von den Korrosionsraten der eingelagerten Materialien, vom zur Verfügung stehenden Porenwasser, respektive Porenraum der Abfallmatrix und Verfüllungen und andererseits von den Gasdurchlässigkeiten der Auflockerungszone um die Einlagerungsstollen, der Versiegelungsstrecken und des Wirtgesteins.

Das ENSI prüft im Rahmen seiner Begutachtung, ob durch eine geeignete Auslegung des gesamten geologischen Tiefenlager, die Eigenschaften der eingelagerten Abfälle, der Verfüllmaterialien und dem Wirtgestein dafür gesorgt ist, dass der Gasdruckaufbau die Langzeitsicherheit des Tiefenlagers nicht gefährdet.

Das ENSI stellt keine expliziten Anforderungen an das Wirtgestein hinsichtlich Gasproduktion oder Gastransport. Es bewertet vielmehr die operationelle und Langzeitsicherheit des Gesamtsystems Tiefenlager und Geosphäre. In diesem Sinne wird anhand des gewählten Wirtgesteins und dessen geomechanischen Eigenschaften, der Tiefenlage des Lagers geprüft, ob die durch die Gasproduktion hervorgerufenen Phänomene die Langzeitsicherheit nicht gefährden und ob die Auslegung und Dimensionierung des Tiefenlagers und der Versiegelungsbauwerke die Langzeitsicherheit gewährleisten können.

Für das ENSI stehen folgende Anforderungen hinsichtlich der Gasproduktion und Transport im Vordergrund:

  • die Erhaltung der hydraulischen Eigenschaften des Wirtgesteins, als auch der Verschluss- oder Versiegelungsbauwerke.
  • die Beschränkung der radiologischen Folgen (Auspressen von Porenwasser, Limitierung der Bildung neuer Wasserwegsamkeiten)
  • die Erhaltung des Schutzes der Abfallgebinde durch die Geosphäre und Verschluss- oder Versiegelungsbauwerke

Können sich in einem Tiefenlager radioaktive Gase bilden?

In einem geologischen Tiefenlager können Gase durch die Metallkorrosion und durch die mikrobielle Zersetzung von organischen Materialien entstehen. In einem Tiefenlager wird hauptsächlich nicht-radioaktiver Wasserstoff (H2) durch die Metallkorrosion unter reduzierenden Bedingungen gebildet. Durch den mikrobiellen Abbau organischer Abfälle kann Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4) entstehen, wobei Kohlendioxid in einem SMA-Lager durch die Reaktion mit Zementmineralien gebunden wird und deshalb kaum zum Druckaufbau beiträgt.

Enthalten die Abfälle 14C (instabiler Kohlenstoff), können auch radioaktive Gase gebildet werden. Der Anteil des in einem SMA-Lager gebildeten Methans beträgt nur einige Prozent der gesamthaften möglichen Gasproduktion (siehe auch Antwort 17). Zudem ist der Anteil von 14C gegenüber der im Tiefenlager vorhanden Menge stabilen Kohlenstoff klein, dementsprechend gering ist der Anteil an radioaktiven Gasen.

Durch Zerfälle des eingelagerten Urans kann Radon entstehen (vereinfachte Zerfallskette: 238U → 234U → 230Th → 226Ra → 222Rn). Es ist ein radioaktives chemisches Element mit dem Elementsymbol Rn und zählt zu den Edelgasen. Alle Isotope des Radons sind radioaktiv. Das stabilste Isotop ist 222Rn mit einer Halbwertzeit von 3,8 Tagen; es entsteht als Zerfallsprodukt aus Radium (226Ra). Die erzeugte Menge Radium in einem Tiefenlager ist klein. Die Freisetzung von Radium-Nukliden vom Lager ins Wirtgestein entspricht einem berechneten Dosisbeitrag von rund 10-3 mSv/Jahr. (Berechnung für HAA-Lager in Opalinuston, Entsorgungsnachweis, NTB 02-05, Seite 200).

Zum Vergleich: Die mittlere Jahresdosis für die Bevölkerung in der Schweiz beträgt rund 4 mSv. 40% davon stammt aus Radon in Wohnräumen (=1.6 mSv/Jahr). Durch die Rückhalteeigenschaften des Wirtgesteins Opalinuston zerfällt das erzeugte Radonkomplettin der Gesteinsformation.

Beantwortet von Nagra

Im geologischen Tiefenlager entstehen als Folge der anoxischen Metallkorrosion beziehungsweise Organika-Degradation Gase, die zu einem Gasüberdruck führen. Wegen der kleinen Korrosionsraten ist die Gasbildung ein länger andauernder Prozess, der dazu führt, dass sich mittel- bis langfristig ein Gasüberdruck einstellt, bei dem die Gasbildungsrate und die Gasfreisetzungsrate gleich gross sind – das entstehende Gas wird durch Bildung eines Überdrucks (das heisst eine treibende Kraft) in die über dem Wirtgestein, beziehungsweise dem einschlusswirksamen Gebirgsbereich liegenden höher durchlässigen geologischen Schichten abgeleitet. Die wirksamen Gastransportmechanismen sind abhängig vom Gasüberdruck; mit zunehmendem Gasüberdruck nimmt die Transportkapazität zu, und den oberen Eckwert bildet der sogenannte „Gas-Frac“, der jedoch nur bei erheblichen Überdrucken und einer sehr schnell aufgebrachten Druckerhöhung entstehen kann (vergleichbar mit Erfahrungen aus der Kohlenwasserstoff-Industrie).

Ein solcher „Gas-Frac“ würde zu einer signifikanten Schädigung der geologischen Barriere führen, und es ist deshalb nachzuweisen, dass sich der Gasüberdruck nicht so hoch beziehungsweise nicht so schnell aufbauen kann, dass es zu einem „Gas-Frac“ kommt. Die Höhe des Gasdrucks, welcher zu einem „Gas-Frac“ führen könnte, hängt von den Gebirgsspannungen auf Lagerebene und der Festigkeit des Wirtgesteins ab, und ist also abhängig vom Standort und der detaillierten Anordnung der Lagerkammern – es kann also kein genereller Wert angegeben werden.

Experimente (z.B. im Felslabor Mont Terri) und Berechnungen zeigen, dass der Gasdruckaufbau wegen des Speichervolumens im Nahfeld langsam erfolgt. Mit zunehmendem Gasüberdruck ändert sich der massgebende Gastransportmechanismus und die Gastransportkapazität nimmt zu. Bei niedrigem Druck erfolgt der Transport durch Diffusion, dann kommt es zu Zweiphasenfluss und bei pessimistisch gewählten Gasbildungsraten kann es zu „pathway dilation“ kommen; das heisst, dass sich durch den Gasüberdruck insbesondere in der Auflockerungszone kleinste Deformationen ergeben, welche einen erhöhten Gastransport ermöglichen und auch bei konservativen Gasbildungsraten die Freisetzung des Gases ermöglichen. Bei „pathway dilation“ geht die Gastransportkapazität als Folge von Deformationen (unterstützt durch den Quelldruck von Versiegelungsmaterial wie Bentonit) wieder zurück, sobald der Gasdruck zurück geht. Dieser Befund wird auch gestützt durch Erfahrungen in der Erdgasindustrie (Beobachtungen des Drucks in natürlichen Gasfeldern, untertägige Gasspeicherung).

Weiter besteht auch die Möglichkeit, für die Versiegelung von Rampe und eventuell Schacht Sand/Bentonit-Gemische zu verwenden, welche bei tiefer Wasserdurchlässigkeit eine erhebliche Gastransportkapazität aufweisen. Bei Verwendung von Sand/Bentonit-Gemischen kann erreicht werden, dass der Gasdruck unterhalb dem Grenzwert bleibt, wo „pathway dilation“ beginnt; mit der Rezeptur der Sand/Bentonit-Gemische kann also der maximal erwünschte Gasüberdruck eingestellt werden.

Die als Folge der anoxischen Metallkorrosion beziehungsweise Organika-Degradation entstehenden Gase sind grösstenteils nicht radioaktiv, da das korrodierende beziehungsweise degradierende Ausgangsmaterial zu einem grossen Teil nicht radioaktiv ist. Ein Teil dieser Materialien kann jedoch kontaminiert („mit Radionukliden beladen“) sein und gewisse metallische Bauteile sind aktiviert und deshalb kann es zu Spurenkonzentrationen an radioaktiven Gasen kommen, aber nur mit Isotopen, die grundsätzlich gasförmig sein können. Neben Tritium und Radon, welche innerhalb kurzer Zeit zerfallen und deshalb nicht von Bedeutung sind, ist es einzig 14C, das als Gas auftreten kann und auch in der Sicherheitsanalyse betrachtet wird. Die Sicherheitsanalysen zeigen, dass die resultierenden Dosen infolge Freisetzung von gasförmigem 14C kein Problem darstellt.

Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass für SMA und LMA Abklärungen zur Reduktion der Gasbildung laufen, und dass für die BE/HAA-Behälter grundsätzlich alternative Materialien bestehen, wo die Gasbildungsraten reduziert beziehungsweise die Gasbildung praktisch vollständig eliminiert wird.