Technisches Forum Sicherheit

Frage 133: Gefährlichkeit von Plutonium 239

In der Antwort zur Frage 94 schreibt das ENSI richtig, dass „Ein 100%-iger Schutz vor menschlichem Eindringen kann ebenso wenig gewährleistet werden wie eine 100%-ige Sicherheit“. Des Weiteren schreibt das ENSI, dass „Nach der genannten Zeitspanne (mehrere 10’000 Jahre) hat die Radiotoxizität bereits stark abgenommen, so dass die radiologischen Auswirkungen im Falle des Anbohrens eines SMA- oder HAA- Lagers beschränkt wären.“ Die Fragestellende schliesst daraus, dass der Beantworter davon ausgeht, dass das Problem nach mehreren 10‘000 Jahren nur noch unbedeutend klein sei.

Bei einer AKW-Laufzeiten von 45 Jahren entstehen schätzungsweise 20 bis 40 Tonnen Plutonium 239 aus Schweizer Atomkraftwerken, welche anschliessend in einem geologischen Tiefenlager zu entsorgen sind. Laut Bundesamt für Gesundheit genügt z.B. eine inhalierte Dosis von 0,00027 Gramm  Plutonium 239 (oder eine Ingestion von 0.034 Gramm) um mit einem Krebsrisiko von 100% daran zu sterben.  Nach z.B. 48’220 Jahren sind immer noch 5 – 10 Tonnen Plutonium 239 vorhanden. Wenn dieses Plutonium ins Grundwasser gelangt, werden auch nach 48’220 Jahren (und noch tausende weitere Jahre) Zigtausende Menschen und Tiere an Krebs erkranken und sterben. Das Plutonium 239 zerfällt anschliessend in neue, hochgefährliche Stoffe. Die Aussage in der Antwort zur TFS-Frage 94, dass die Auswirkungen „beschränkt“ seien, ist nach Ansicht des Fragestellenden irreführend.

Was genau würde geschehen wenn ein HAA-Lager nach mehreren 10’000 Jahren angebohrt würde oder durch Fracking beschädigt würde? Es kann davon ausgegangen werden, dass „nur“ 1 Tonne Plutonium in unser Trinkwasser gelangen würde?

Thema , Bereich | |
Eingegangen am 16. Februar 2016 Fragende Instanz Fragen aus der Bevölkerung
Status beantwortet
Beantwortet am 29. August 2016 Beantwortet von

Beantwortet von ENSI

Plutonium (Pu) ist eines der giftigsten Elemente überhaupt. Für eine Sicherheitsbetrachtung ist jedoch nicht nur die vorhandene Menge Pu relevant, sondern auch dessen chemisches und radiologisches Verhalten und die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Element in ausreichenden Mengen in den menschlichen Organismus gelangt. Das ENSI betrachtet den Fall des Anbohrens eines Brennelement-Behälters als abdeckendes Szenarium. Die in einem Behälter vorhandene Menge Pu beträgt ca. 22 kg, aber da das Pu chemisch gebunden vorliegt, ist davon auszugehen, dass nur ein Bruchteil dieser Menge mit einer Bohrspülung an die Oberfläche gelangt. Dort ist eine Kontamination des Absinkbeckens der Bohrspülung denkbar, eine grössere Kontamination des Trinkwassers wäre jedoch unwahrscheinlich (Bohrplätze haben versiegelte Flächen). Die Bohrcrew wäre spätestens beim Anbohren der Behälterwandung gewarnt, dass im Untergrund unnatürliche Verhältnisse vorliegen. Ein Szenarium, wie seitens Fragestellung angedacht, ist praktisch auszuschliessen.

Das ENSI erläutert in seiner Antwort zur TFS-Frage 94 „Nutzungskonflikte nach mehreren Jahrtausenden“, dass die Radiotoxizität nach mehreren 10‘000 Jahren bereits stark abgenommen hat, so dass die radiologischen Auswirkungen im Falle des Anbohrens eines SMA- oder HAA-Lagers beschränkt blieben. Die Fragestellerin will wissen, was genau geschehen würde, wenn ein HAA-Lager nach diesem Zeitraum angebohrt würde oder durch Fracking beschädigt würde und z.B. 1 Tonne Plutonium ins Trinkwasser gelangen würde. Die Fragestellerin verweist dabei auf eine Stellungnahme vom Bundesamt für Gesundheit (BAG), welche die Gefährlichkeit von Plutonium 239 in Form von Aufnahmemengen ausdrückt, die statistisch 100%ig zu Krebs mit lethalem Verlauf führen.

Die in der Frage angesprochenen Berechnungen des BAG zur Gefährlichkeit von Plutonium 239 sind für das ENSI nachvollziehbar. Ein Gramm des Isotops Pu-239 führt zu einer Folgedosis von 575 Sv, für ein Sv (entsprechend einem Krebsrisiko von 5,5%) reichen 0,0017 g. Entsprechende Zahlen können aus bestehenden Datensammlungen entnommen werden.

Die Mengenangaben des BAG stehen nach Meinung des ENSI für die von der Fragestellerin angesprochene Problematik nicht an erster Stelle. Es ist bekannt, dass Pu auch in kleinen Mengen radiologisch und als Schwermetall chemisch sehr schädlich ist, wenn es in den Körper gelangt. Für eine solche Inkorporation müssen aber auch realistische Inkorporationspfade unterstellt werden. Das Anbohren des Lagers oder Fracking (Unsicherheitsfaktor „Mensch“) zählen aus nachfolgenden Gründen nicht dazu.

Nur beim Anbohren eines Brennelementbehälters wäre gewährleistet, dass tatsächlich eine signifikante Menge von Brennstoff mit Pu mobilisiert und zur Oberfläche gespült würde. Ein Fracking (wie von der Fragestellerin angedacht) würde kaum innerhalb des Opalinustons stattfinden (da dieser selbst keine ausbeutbaren Mengen von Kohlenwasserstoffen (Erdöl, Erdgas) enthält), so dass eine Mobilisierung signifikanter Mengen von Brennstoff (und damit Pu) kaum möglich ist. Das ENSI betrachtet daher im Folgenden als abdeckendes Szenarium den Fall des Anbohrens und dabei wiederum als abdeckend den Fall, dass ein Anbohren einen Behälter trifft, der mit vier Druckwasserreaktor-Brennelementen gefüllt ist, von denen eines ein Mischoxid (MOX, Mischung aus Uranoxid und Pu-Oxid) enthält. Gemäss Rechnungen des ENSI ist hierbei bei Einlagerung des Brennelement-Endlagerbehälters von einer Menge von ca. 22 kg Pu auszugehen (davon 11 kg des Pu-Isotops Pu-239). Nach 10‘000 Jahren sind davon noch ca. 13 kg vorhanden, davon sind 9 kg Pu-239. Da die Einlagerung auf einer Ebene stattfindet, kann eine Bohrung nur einen Behälter treffen. Die Wahrscheinlichkeit eines Treffers liegt bei 1-2 %, abhängig vom Verhältnis der Behälterflächen gegenüber der Gesamteinlagerungsfläche des Lagers.

Pu liegt im Brennstoff in chemisch gebundener Form (Brennstoff-Pellets) vor. Diese Verbindungen sind gegenüber Löslichkeit durch Wasser ausgesprochen resistent. Pu hat ausserdem, unabhängig von seinen chemischen Verbindungen, die es eingehen kann, immer eine sehr geringe Löslichkeit in Wasser. Im Fall des Anbohrens eines Brennelement-Endlagerbehälters würde das Pu praktisch ausschliesslich in Form von Bruchstücken des Brennstoffes in die Bohrspülung gelangen und, sofern fein genug (Pu hat ein hohes spezifisches Gewicht), mit der Bohrspülung als Feststoff nach oben gebracht und im Klärbecken der Bohrspülung angesammelt. Unmittelbar davon betroffen wären gegebenenfalls Personen der Bohrfirma vor Ort. Eine grössere Verbreitung des Pu und Inkorporation bei vielen Personen sieht das ENSI als unwahrscheinlich an. Entsprechende Berechnungsgrundlagen für den Fall einer Verbreitung von Pu in der Umwelt sind in der ENSI-Richtlinie G14  aufgeführt; diese orientieren sich an international anerkannten Methoden. Das ENSI hat ausserdem an seinem Informationsforum „Betriebssicherheit einer Oberflächenanlage“ von 24. Mai 2014 entsprechende Überlegungen zur Direktstrahlung von hochaktiven Abfällen präsentiert.

Nachdem bereits ein direkter Treffer durch Anbohren unwahrscheinlich ist, die Löslichkeit von Pu sehr gering ist und damit auch nur Bruchteile des im Behälter vorhandenen Pu tatsächlich nach oben kommt, das Bohrklein oben in einem Klärbecken aufgefangen wird und eine weitere Verbreitung von Pu ebenfalls unwahrscheinlich ist, kann der Fall einer grösseren Verbreitung von Pu und damit eine Inkorporation von Pu bei vielen Personen nicht ausgeschlossen, aber als äusserst unwahrscheinlich angesehen werden. Das Beispiel des Anbohrens illustriert, warum in der Schweiz die Lösung der geologischen Tiefenlagerung angestrebt wird: Der grösste Unsicherheitsfaktor, auch langfristig, ist der Mensch selber. Ein hoher langfristiger Schutz für hochaktive Abfälle über einen Zeitraum von bis zu 1 Million Jahre kann nur durch eine geologische Tiefenlagerung fernab vom menschlichen Lebensraum erreicht werden. Ein 100%-iger Schutz vor einem menschlichem Eindringen kann jedoch ebenso wenig gewährleistet werden wie eine 100%-ige Sicherheit.