Technisches Forum Kernkraftwerke

Frage 42: Langzeitbetrieb

Sachverhalt

Stand der Nachrüstungstechnik gemäss KEG Art. 22 Abs. 2 Bst. g

Fragen

  1. Die Kernenergieverordnung fordert in Art. 34 Abs. 4 nach dem 40 Betriebsjahr einen Sicherheitsnachweis für den Langzeitbetrieb als Bestandteil der PSÜ. Das KKG hat die PSÜ 2017 abgeschlossen, wird aber erst dieses Jahr 2019 das 40ste Betriebsjahr erreichen. Bei der nächsten PSÜ 2027 wäre das Kraftwerk schon 48 Jahre alt. Hat das KKG bereits einen Sicherheitsnachweis für den Langzeitbetrieb eingereicht? Wenn nicht, stellt sich die Frage, wie das Ensi damit umgeht, dass das KKG erst mit 48 Jahren Betriebszeit einen solchen erbringen muss.
  2. Das KKB hat 2008 einen Sicherheitsnachweis eingereicht, wie die Stellungnahme des Ensi zur PSÜ von 2012 bestätigt. Darin wurde gefordert, dass bis Juni 2018 ein aktualisierter Sicherheitsnachweis erbracht wird (https://www.ensi.ch/wp-content/uploads/sites/2/2016/12/ENSI_KKW_Beznau-PSU-final.pdf Seite 2). Hat das KKB diesen aktualisierten Nachweis erbracht? Wenn ja, wie beurteilt das Ensi den Nachweis bzw. wann publiziert es die Beurteilung? Wenn nein, wie geht das Ensi damit um, dass das KKB keinen gültigen Sicherheitsnachweis mehr hat? Was sind die Konsequenzen?
  3. Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende allgemeine Fragen zum Langzeitbetrieb:
    1. Wie sieht das konkrete Konzept des Ensi zur Überprüfung von „Stand der Nachrüstungstechnik“ im Rahmen einer PSÜ aus (KEG Art. 22 Abs. 2 Bst. g und KEV Art. 34a Abs. 1 Bst. c) ?
    2. Stützt sich das Ensi auf das Konzept der WENRA (http://www.wenra.org/media/filer_public/2012/11/05/ltoofnpps_1.pdf) zur Überprüfung der Voraussetzungen für den Langzeitbetrieb?
    3. Wie unterscheidet das Ensi den Begriff „Stand der Nachrüstungstechnik“ von „Stand von Wissenschaft und Technik“?
    4. Gemäss TFK-Frage vom 23. Januar 2013 (https://www.ensi.ch/de/technisches-forum/anforderungen-an-sicherheit-kkw/) wird bei den PSÜ überprüft, ob Nachrüstungen umgesetzt wurden, die auch bei AKW selben Typs in anderen Ländern gemacht wurden. Was passiert, wenn keine wirklichen Vergleichsmöglichkeiten mehr bestehen? Müsste daher die Überprüfung nicht auch miteinbeziehen, was die Anbieter von Nachrüsttechnik praktisch liefern könnten, auch wenn es im Ausland nirgends eingesetzt wird? Schweizer AKW könnten auch die ersten sein, die gewisse Nachrüstungen umsetzen.
    5. Wie weist das Ensi das erhöhte Risiko alter AKW gegenüber neuen AKW/Stand der Wissenschaft und Technik aus? Wie kann das ENSI insbesondere die Unterschiede aus deterministischer Sicht ausweisen?
Thema Bereich
Eingegangen am 28. Mai 2019 Fragende Instanz Energiestiftung
Status beantwortet
Beantwortet am 11. September 2020 Beantwortet von

Beantwortet von ENSI

1. Die Kernenergieverordnung fordert in Art. 34 Abs. 4 nach dem 40 Betriebsjahr einen Sicherheitsnachweis für den Langzeitbetrieb als Bestandteil der PSÜ. Das KKG hat die PSÜ 2017 abgeschlossen, wird aber erst dieses Jahr 2019 das 40ste Betriebsjahr erreichen. Bei der nächsten PSÜ 2027 wäre das Kraftwerk schon 48 Jahre alt. Hat das KKG bereits einen Sicherheitsnachweis für den Langzeitbetrieb eingereicht? Wenn nicht, stellt sich die Frage, wie das Ensi damit umgeht, dass das KKG erst mit 48 Jahren Betriebszeit einen solchen erbringen muss.

Ja. Das KKG hat Ende 2018 die Unterlagen zur PSÜ eingereicht.

2. Das KKB hat 2008 einen Sicherheitsnachweis eingereicht, wie die Stellungnahme des Ensi zur PSÜ von 2012 bestätigt. Darin wurde gefordert, dass bis Juni 2018 ein aktualisierter Sicherheitsnachweis erbracht wird. Hat das KKB diesen aktualisierten Nachweis erbracht? Wenn ja, wie beurteilt das ENSI den Nachweis bzw. wann publiziert es die Beurteilung? Wenn nein, wie geht das ENSI damit um, dass das KKB keinen gültigen Sicherheitsnachweis mehr hat? Was sind die Konsequenzen?

Ja. Das KKB hat Ende 2019 die Unterlagen zur PSÜ eingereicht. Sie werden zurzeit vom ENSI geprüft. Die Publikation der Stellungnahme des ENSI ist für Ende 2021 vorgesehen.

3a. Wie sieht das konkrete Konzept des ENSI zur Überprüfung von „Stand der Nachrüstungstechnik“ im Rahmen einer PSÜ aus (KEG Art. 22 Abs. 2 Bst. g und KEV Art. 34a Abs. 1 Bst. c)?

Bei der Beurteilung der im Sicherheitsnachweis für den Langzeitbetrieb für das nachfolgende Betriebsjahrzehnt anzugebenden vorgesehenen Nachrüstungen und technischen oder organisatorischen Verbesserungsmassnahmen orientiert sich das ENSI am Stand von Wissenschaft und Technik neuer Kernkraftwerke.

Es stützt sich dabei auf die Ausführungen der Botschaft zum Kernenergiegesetz zu Art. 22. Demnach sind Kernkraftwerke «in dem Umfang nachzurüsten, dass sie möglichst weitgehend an den Stand von Wissenschaft und Technik angenähert werden, zumindest soweit, als dies nach der Erfahrung und dem Stand der Nachrüstungstechnik notwendig ist und darüber hinaus, soweit dies zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung beiträgt und angemessen ist.»

Es entspricht auch internationaler Praxis, bestehende ältere Kernkraftwerke nachzurüsten. Die Forderung zur Nachrüstung lehnt sich grundsätzlich an das Vorsorgeprinzip an (Art. 4). Ein bestehender Reaktor kann aber nicht vollständig auf den Stand neuer Reaktortypen nachgerüstet werden. Die Sicherheit eines bestehenden Kernkraftwerks muss in jedem Fall entsprechend der internationalen
Praxis bezüglich der Nachrüstung verbessert werden. Als Stand von Wissenschaft und Technik neuer Kernkraftwerke betrachtet das ENSI die folgenden Sicherheitsziele für die Auslegung von Kernkraftwerken der dritten Generation:

  • Verhinderung von Unfällen, indem die Kernschadenshäufigkeit weiter reduziert wird (< 10-6/y):
    • Konsequente Umsetzung der nuklearen Auslegungsgrundsätze (WENRA RL, 10 CFR Part 50 Appendix A): Qualität, Redundanz, Diversität, funktionale und räumliche Trennung etc.;
    • Erhöhung der Robustheit und der Unabhängigkeit der Sicherheitsebenen;
    • Erweiterte Auslegungsbasis unter Berücksichtigung multipler Ausfälle;
    • Erhöhung des Widerstandes gegen externe Ereignisse und Angriffe.
  • Milderung der Unfallfolgen, indem die Häufigkeit grosser Freisetzungen weiter reduziert wird (< 10-6/y):
    • Praktische Eliminierung von Szenarien mit frühem Containmentversagen (Hochdruck- Kernschmelze, Dampfexplosion, Wasserstoffdetonation);
    • Gewährleistung der Containmentintegrität für alle anderen Sequenzen nach einer Kernschmelze (Stabilisierung der Kernschmelze, Wärmeabfuhr aus dem Containment, Begrenzung der Freisetzung radioaktiver Stoffe).

Diese Sicherheitsziele gelten grundsätzlich auch für die Nachrüstung bestehender Kernkraftwerke. Bei der Beurteilung des Sicherheitsnachweises für den Langzeitbetrieb bewertet das ENSI deshalb die Auslegung des Kernkraftwerkes und die vorgesehenen Nachrüstungen anhand der genannten Sicherheitsziele.

Im Unterschied zu einem neuen Kernkraftwerk muss ein bestehendes Kernkraftwerk die Sicherheitsziele nur unter Berücksichtigung der Verhältnismässigkeit vollumfänglich erfüllen. Bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit unterscheidet das ENSI folgende drei Fälle:

  • Es liegt ein Auslegungsfehler vor, aufgrund dessen das Ausserbetriebnahme-Kriterium gemäss Art. 44 Abs. 1 Bst. a KEV erreicht wird: Das Kernkraftwerk ist unverzügliche vorläufig ausser Betrieb zu nehmen und darf erst nach erfolgter Nachrüstung wieder anfahren.
  • Die Nachrüstung entspricht der internationalen Praxis: Damit ist die Nachrüstung nach dem Stand der Nachrüstungstechnik notwendig und ist gemäss Art. 22 Abs. 2 Bst. g KEG 22 KEG unabhängig von Angemessenheitsbetrachtungen umzusetzen.
  • Die Nachrüstung trägt zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung bei: Die Nachrüstung ist unter Berücksichtigung ihrer Wirksamkeit und Angemessenheit umzusetzen (Art. 22 Abs. 2 Bst. g KEG).

3b. Stützt sich das ENSI auf das Konzept der WENRA zur Überprüfung der Voraussetzungen für den Langzeitbetrieb?

Das ENSI stützt sich auf das oben geschilderte, von der schweizerischen Gesetzgebung abgeleitete Konzept ab. Dieses unterscheidet sich nicht wesentlich vom WENRA-Konzept.

3c. Wie unterscheidet das ENSI den Begriff „Stand der Nachrüstungstechnik“ von „Stand von Wissenschaft und Technik“?

In den Einleitungen der ENSI-Richtlinien steht, dass diese den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik konkretisieren. Sie definieren somit, was das ENSI ohne weitere Begründung als den Stand von Wissenschaft und Technik erachtet. Es ist das Ziel des schweizerischen Regelwerks, dass es die internationalen Anforderungen widerspiegelt.

Der Begriff «Stand der Nachrüstungstechnik» wurde im Kernenergiegesetz eingeführt, um klarzustellen, dass ein bestehender Reaktor nicht vollständig auf den Stand von Wissenschaft und Technik neuer Reaktortypen nachgerüstet werden kann. Die Botschaft zum Kernenergiegesetz definiert den «Stand der Nachrüstungstechnik» als der internationalen Praxis bezüglich der Nachrüstung entsprechend.

3d. Gemäss TFK-Frage 2 vom 23. Januar 2013 wird bei den PSÜ überprüft, ob Nachrüstungen umgesetzt wurden, die auch bei AKW selben Typs in anderen Ländern gemacht wurden. Was passiert, wenn keine wirklichen Vergleichsmöglichkeiten mehr bestehen? Müsste daher die Überprüfung nicht auch miteinbeziehen, was die Anbieter von Nachrüsttechnik praktisch liefern könnten, auch wenn es im Ausland nirgends eingesetzt wird? Schweizer AKW könnten auch die ersten sein, die gewisse Nachrüstungen umsetzen.

Unter anderem wegen den in der vorliegenden Frage angesprochenen Problemen ist das ENSI unter Berücksichtigung des in der Botschaft zum Kernenergiegesetz zum Ausdruck gebrachten Willens des Gesetzgebers und der bisherigen Praxis zum Schluss gekommen, dass es angesichts der Unterschiedlichkeit der einzelnen Kernkraftwerke und der jeweiligen Standortbedingungen nicht sicherheitsgerichtet ist, den Begriff generisch zu definieren.

Stattdessen werden die Grundsätze des Stands der Nachrüstungstechnik mit der Richtlinie ENSI-G02 konkretisiert.

3e. Wie weist das ENSI das erhöhte Risiko alter AKW gegenüber neuen AKW/Stand der Wissenschaft und Technik aus? Wie kann das ENSI insbesondere die Unterschiede aus deterministischer Sicht ausweisen?

Das ENSI weist das Risiko der Kernkraftwerke mit Hilfe der Probabilistischen Sicherheitsanalysen (PSA) aus. Die zentralen Kenngrössen sind die Kernschadenshäufigkeit (Core Damage Frequency, CDF) und die Häufigkeit früher, grosser Freisetzungen (Large Early Release Frequency, LERF).

Eine Bewertung der Unterschiede zum Stand der Wissenschaft und Technik neuer Kernkraftwerke aus deterministischer Sicht findet sich in qualitativer Form in den jeweiligen Stellungnahmen des ENSI zu den Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) der Kernkraftwerke.