Gemäss Artikel 8 der Kernenergieverordnung sind bei Kernanlagen Schutzmassnahmen gegen Störfälle mit Ursprung innerhalb oder ausserhalb der Anlage zu treffen. Als Störfälle mit Ursprung ausserhalb der Anlage gelten insbesondere Störfälle, die ausgelöst werden können durch Erdbeben, Überflutung, unfallbedingten Absturz von zivilen und militärischen Flugzeugen auf die Anlage, Sturmböe, Blitzschlag, Druckwelle, Brand, Verlust der externen Stromversorgung und Beeinträchtigung oder Unterbruch der externen Kühlwasserzufuhr. Die in dieser Frage genannten „Naturereignisse“ werden durch Artikel 8 der Kernenergieverordnung abgedeckt.
Ein Geologisches Tiefenlager ist eine Kernanlage. Gemäss Richtline ENSI-G03 ist für die Betriebsphase eine probabilistische Sicherheitsanalyse durchzuführen. Die dazu notwendige Gefährdungsanalyse durch extern ausgelöste Ereignisse wie Erdbeben, Überflutung, usw. ist gemäss Verordnung des UVEK über die Gefährdungsannahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen durchzuführen. Folglich müssen oberflächennahe Naturgefahren beherrscht werden. Der Gesuchsteller (Nagra) hat entsprechende Sicherheitsnachweise zur Beherrschung dieser Auswirkungen auf Oberflächenanlagen und Untertagebauten für die Betriebsphase und Nachverschlussphase zu erbringen.
Da es sich bei einem im Bau befindlichen geologischen Tiefenlager vor der Betriebsphase um eine konventionelle Baustelle handelt, gilt der Fokus unserer Antwort der Betriebsphase von Oberflächen- und Untertagebauwerke. Die Betriebsphase der Anlage beginnt, wenn die ersten radioaktiven Abfälle angeliefert werden. Bau und Betrieb der Anlage werden zeitlich einige Jahre überlappen. Für die Erdbebengefährdung von Untertagebauwerke während der Nachverschlussphase wird an dieser Stelle auf die Antwort zur TFS-Frage 44 verwiesen.
Antwort zu a)
Die von der Nagra vorgeschlagenen Standortgebiete der Nordschweiz liegen in seismisch ruhigen Gebieten. Trotzdem ist über lange Zeiträume damit zu rechnen, dass auch Erdbeben mittlerer und grosser Stärke auftreten. Für die Betriebsphase der Oberflächenanlagen und Untertagebauwerke sind probabilistische Sicherheitsanalysen bzgl. Erdbeben basierend auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik durchzuführen. Die Anlagen werden auf die Wirkung des von der Behörde definierten Sicherheitserdbeben ausgelegt (grösstmögliches Erdbeben in 10 000 Jahren).
Für die Auswirkungen eines Erdbebens auf die Oberflächenanlagen eines geologischen Tiefenlagers ist nicht primär dessen Magnitude (d.h. der Wert der freigesetzten Energie, angegeben in arabischen Zahlen) relevant, sondern die Intensität der Bodenerschütterung vor Ort (angegeben in römischen Ziffern). Ein grosses Erdbeben in grösserer Distanz kann weniger Auswirkungen haben als ein kleines, aber nahes Erdbeben. Erdbeben mit Magnituden von 7.5 oder stärker kommen in der Schweiz nur mit sehr geringen Wahrscheinlichkeiten vor und werden entsprechend in den notwendigen probabilistischen Sicherheitsanalysen berücksichtigt.
Die Auswirkungen von Erdbeben auf Oberflächenanlagen umfassen z.B. Erschütterungen, Bodenverflüssigungen, Bodensetzungen, Oberflächenverschiebungen, Erdrutsche und Felsstürze, Überflutung. Sie können zum Verlust von wichtigen Versorgungssystemen führen sowie Brände und Explosionen auslösen. In den Untertagebauten sind vor allem Auswirkungen wie Gebirgsschlag, erdbebeninduzierte Wasser- oder Gaszutritte zu berücksichtigen. Bei der Beherrschung dieser Phänomene und der Gewährleistung der Sicherheit von Untertagebauwerke kann auf weltweite Erfahrungen (z.B. in tiefen Bergwerken und Tunneln) zurückgegriffen werden. Die Untertagebauten sind grundsätzlich weniger von Erdbebenschäden betroffen, da hier die Hohlräume vom Gebirge fest umschlossen sind und nicht wie an der Oberfläche frei schwingen können.
Antwort zu b bis d)
Mit Erdrutschen und Überflutungen durch lokale Hochwasser sind weitere Naturgefahren aufgelistet. Mit dem Dammbruch des Schluchsees wird ein durch den Menschen mitverursachtes Ereignis genannt, welches in seinen Auswirkungen einer Überflutung gleichkommt. Die Oberflächenanlagen eines geologischen Tiefenlagers sind dem gesamten Spektrum von Naturgefahren ausgesetzt und müssen entsprechend ausgelegt werden. Der entsprechenden Gefahr kann entweder ausgewichen oder, falls dies nicht möglich ist, die Anlage gegen die bestehende Gefahr ausgelegt werden.
Die Hochwasser- und Bergsturzgebiete sind räumlich begrenzt und werden auf entsprechenden Gefährdungskarten der Kantone dargestellt. Bei der Wahl des Standortes für die Oberflächenanlagen wird diesen Zonen ausgewichen oder die Anlagen werden gegen die entsprechenden Gefahren ausgelegt. Bezüglich eines Dammbruches am Schluchsee ist zu bemerken, dass der Standort des Kernkraftwerks Leibstadt auf diesen Fall hin bereits untersucht worden ist. Dabei wurde festgestellt, dass ein Brechen der rheinischen Stauwehre (insbesondere Eglisau) deutliche grössere Überflutungen verursacht als ein Dammbruch am Schluchsee.
Für die untertägigen Anlagen des geologischen Tiefenlagers sind oben genannte Naturgefahren – abgesehen von Erdbeben – nach Verschluss des Lagers grundsätzlich durch die räumliche Trennung zur Oberfläche nicht mehr relevant.