Nutzungskonflikte sind ein im Sachplan berücksichtigtes Sicherheitskriterium. Ausgangspunkt sind dabei die heutigen und absehbaren Bedürfnisse des Menschen. Eine Abschätzung von Nutzungskonflikten über mehrere 10’000 Jahre ist nur mit grossen Unsicherheiten und Annahmen möglich. Ein optimaler Schutz vor menschlichem Eindringen wird durch einen raumplanerischen Schutzbereich, eine Markierung, eine geschickte Lagerauslegung sowie Dokumentation und Archivierung aller relevanten Information zum Lager angestrebt. Nutzungskonflikte benötigen jedoch immer eine Interessensabwägung. Eine solche ist am Ort eines geologischen Tiefenlagers auch in Zukunft vorzunehmen. Ein 100%-iger Schutz vor menschlichem Eindringen kann ebenso wenig gewährleistet werden wie eine 100%-ige Sicherheit.
Die Frage wurde an die Nagra gestellt, wird aber vom ENSI beantwortet. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens ist die Interessensabwägung bei Nutzungskonflikten nicht nur ein sicherheitstechnischer Aspekt, sondern muss auch von der Gesellschaft getragen werden und der Bund (nicht die Nagra) muss gegebenenfalls entsprechende Vorgaben zum Schutz des geologischen Tiefenlagers machen. Zweitens wird die Nagra in der Richtlinie ENSI-G03 aufgefordert, im Rahmen des Baubewilligungsgesuchs ein Konzept für die Markierung des geologischen Tiefenlagers vorzulegen. Damit ist sie nach gegenwärtigem Projektstand der Lagerrealisierung noch nicht verpflichtet, Fragen wie die oben gestellte zu beantworten.
Ein Nutzungskonflikt liegt vor, wenn die drei folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens gibt es einen Nutzen aus einem in den Standortgebieten vorhandenen Rohstoff. Zweitens gibt es für diesen Rohstoff eine Technik zur Gewinnung des Rohstoffs. Drittens ist für den Rohstoff gegenwärtig ein Be-
darf vorhanden. Alle drei Voraussetzungen sind kontinuierlich von der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft abhängig. Da die Bedürfnisse einer menschlichen Gesellschaft in ferner Zukunft nicht oder nur im Ansatz abschätzbar sind, wird der plausibelste Ansatz verfolgt und von den heutigen Bedürfnissen ausgegangen. In diesem Sinne ist der von der Fragestellerin verfolgte Ansatz in der Frage zum Kalkabbau (der im Standortgebiet Jura Ost bereits heute stattfindet) und zur Nutzung der Tiefengeothermie (diese wird schweizweit in verschiedenen Projekten verfolgt) korrekt.
Eine langfristige Prognose, welche Rohstoffe wann von einer menschlichen Zivilisation gebraucht werden, ist kaum möglich. Bezüglich der Nutzungskonflikte müssen bereits heute bei der Standortsuche Interessensabwägungen stattfinden. Das Lager muss ausserdem langfristig vor menschlichem Eindringen bestmöglich geschützt werden. Dies geschieht hauptsächlich durch eine geschickte Lagerauslegung, durch einen raumplanerischen Schutzbereich, eine Markierung (vgl. Art. 40 KEG), die Archivierung und Dokumentierung aller relevanten Informationen zu einem geologischen Tiefenlager (vgl. Art. 38 KEG und ENSI-G03). Das für ein Tiefenlager beanspruchte Gebiet ist relativ klein (maximal ca. 2 km2) und lässt damit bezüglich der potenziellen Rohstoffe auch noch viel Raum zu einer Gewinnung an derswo zu.
Gemäss Art. 40 des Kernenergiegesetzes ist eine dauerhafte Markierung des geologischen Tiefenlagers vorzusehen. Richtlinie ENSI-G03 fordert dazu, dass die Nagra mit dem Baubewilligungsgesuch ein Konzept zur Umsetzung einer Markierung einzureichen hat. Da Überlegungen zu einer Markierung seitens Nagra im laufenden Verfahren also noch nicht aktuell sind, liegen zur Frage, wie eine solche Markierung aussehen soll, auch noch keine konkreten Vorschläge der Nagra vor. Wie in der Antwort zur TFS-Frage 67 „Markierung des Lagers“ ausgeführt, laufen internationale Projekte zum Thema Markierung. Die Resultate aus diesen Projekten sind durch die Nagra bei ihrer Konzeptualisierung zu berücksichtigen. Inwiefern eine Markierung oberflächlich oder auch in der Tiefe erfolgt und einen oberflächlichen Kalkabbau verhindern kann, ist dannzumal anzugehen.
Nach mehreren 10‘000 Jahren (wie von der Fragestellerin angedacht) wird eine oberflächliche Markierung (siehe auch die Antwort auf die TFS-Frage 67 „Markierung des Lagers“) aufgrund oberflächlicher Erosionsprozesse, insbesondere aufgrund einer nächsten Eiszeit mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht
mehr vorhanden sein. Eine in der Tiefe eingesetzte Markierung wäre jedoch weiterhin vorhanden und würde zusätzlich vor einem menschlichen Eindringen schützen. Nach der genannten Zeitspanne hat die Radiotoxizität bereits stark abgenommen, so dass die radiologischen Auswirkungen im Falle des Anbohrens eines SMA- oder HAA-Lagers beschränkt wären.
Eine Aussage über die menschlichen Bedürfnisse nach Rohstoffen ist über einen Zeitraum von 10‘000 Jahren sehr ungewiss. Das Beispiel der Nutzungskonflikte illustriert, warum in der Schweiz die Lösung der geologischen Tiefenlagerung angestrebt wird: Der grösste Unsicherheitsfaktor, auch langfristig, ist der Mensch selber.
Ergänzung durch Rückmeldung der Fragestellerin
Das ENSI erläutert in seiner Antwort, dass die Radiotoxizität nach mehreren 10‘000 Jahren bereits stark abgenommen hat, so dass die radiologischen Auswirkungen im Falle des Anbohrens eines SMA- oder HAA-Lagers beschränkt wären. Die Fragestellerin will wissen, was genau geschehen würde, wenn ein HAA-Lager nach diesem Zeitraum angebohrt würde oder durch Fracking beschädigt würde und z.B. eine Tonne Plutonium ins Trinkwasser gelangen würde. Die Fragestellerin verweist dabei auf eine Stellungnahme vom Bundesamt für Gesundheit (BAG), welche die Gefährlichkeit von Plutonium 239 quantifiziert. Das ENSI nimmt im Rahmen der Beantwortung einer neuen Frage (TFS-Frage 133) zu diesem Thema Stellung.
Referenzen:
ENSI-G03: Spezifische Auslegungsgrundsätze für geologische Tiefenlager und Anforderungen an den Sicherheitsnachweis, Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat, Richtlinie, Würenlingen, 2009.
KEG : Kernenergiegesetz vom 21. März 2003, Schweiz, SR 732.1.
NTB 02-05: Project Opalinus Clay: Safety Report Demonstration of Disposal feasibility for spent fuel; vitrified high-level waste and long-lived intermediate level waste (Entsorgungsnachweis), Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, Nagra Technischer Bericht, Wettingen, 2002.