Im Rahmen der Kommentierung der Antworten zu den TFS-Fragen 111 bis 120 hat der Fragesteller festgehalten, dass mit den vorliegenden Antworten seine übergeordnete Frage nach dem theoretischen Gefährdungspotential nicht oder nur teilweise beantwortet wurden. Entsprechend hat er im Rahmen der Rückmeldung fünf ergänzende Fragen (TFS-Frage 138 bis 142) eingereicht.
Abgeleitet aus den TFS-Fragen 111, 113, 114, 115 und 119 sowie losgelöst von Szenarien stellt sich folgende Frage:
Die Fachgruppe der RK ZNO bittet das TFS, dass die gesamte Radioaktivität (in Bq) in der Funktion der Zeit für die folgenden Aktivitätsinventare analog zur Fig. 111-2 dargestellt werden:
Aktivitätsinventar einer OFA
Aktivitätsinventar eines einzelnen Transportbehälters für BE
Aktivitätsinventar eines einzelnen Transportbehälters für HAA
Aktivitätsinventar eines einzelnen Transportbehälters für SMA
Aktivitätsinventar eines einzelnen Endlagerbehälters für BE
Aktivitätsinventar eines einzelnen Endlagerbehälters für HAA
Aktivitätsinventar eines einzelnen Endlagerbehälters für SMA
Radioaktive Abfälle enthalten Stoffe, die zerfallen können. Die Anzahl Zerfälle pro Sekunde werden mit der Einheit Bq (Bequerel) bezeichnet. Radioaktive Stoffe kommen natürlich vor und deshalb über Nahrungsaufnahme auch im menschlichen Körper. Im Menschen zerfallen pro Sekunde rund 9000 Atome, die Radioaktivität des Menschen beträgt also rund 9000 Bq (Figur 138-1).
Das in der Natur vorkommende Kalium besteht zu 93,2581 % aus K-39, zu 6,7302 % aus K-41 und zu 0,0117 % aus dem radioaktiven K-40, das zu Ar-40 zerfällt. Da das K-40 mit dem angegebenen Anteil in jeder Kaliumverbindung vertreten ist, sind auch alle Kaliumverbindungen radioaktiv. Auch der menschliche Körper enthält Kalium. Beim erwachsenen Menschen beträgt der Kaliumanteil etwa 2 g pro Kilogramm Körpergewicht; das entspricht einer Kalium-40-Aktivität im Gesamtkörper von rund 4.200 Bq.
Die Radioaktivität im menschlichen Körper stammt hauptsächlich aus der in Nahrungsmitteln vorhandenen Radioaktivität. Beispiele sind in Tabelle 138-1 zusammengefasst. Diese Aktivität wird überwiegend durch das natürlich vorkommende Kalium-40 hervorgerufen.
Wie viele Zerfälle finden während der Lebenszeit eines 70 kg schweren Menschen statt? Nimmt man eine durchschnittliche Aktivität von 9000 Bq an, so ergeben sich folgende Werte (Tabelle 138-2):
In einem 70 kg schweren Mensch finden während 80 Jahren rund 22‘705‘920‘000‘000, also 22.7 Billionen Zerfälle statt. Diese Zahlen sind in der üblichen Schreibweise unhandlich gross. In Angaben zu einem Inventar an radioaktiven Stoffen wird deshalb die Kurzschreibweise 2.27×1013 Zerfälle verwendet.
Ein «Inventar» für radioaktiven Abfall ist eine Liste. Sie fasst die Aktivität (die Anzahl der Zerfälle) aller radioaktiven Stoffe im Abfall zusammen, gibt also an, wie aktiv die einzelnen Stoffe sind. Die Aktivität wird in Zerfällen pro Sekunde angegeben, also in Bq. Da die Zahlen gross sind, wird die Kurzschreibweise verwendet, also 100=102, 1’000=103, 10’000=104, etc.
In Tabelle 138-3 ist die Inventarliste von natürlich vorkommenden radioaktiven Stoffen in einem 70 kg schweren Menschen aufgeführt. Die Aktivität ist hauptsächlich durch Kalium-40 (Ka-40) und das in der Atmosphäre durch kosmische Strahlung entstehende Kohlenstoff-14 (C-14) bestimmt.
Die Frage 138 richtet sich nach den Inventaren in der Oberflächenanlage (OFA) eines Lagers für hochaktive Abfälle und jenem in Transportbehältern und den Inventaren des SMA- und des HAA-Lagers. Die Informationen zu diesen Inventaren sind öffentlich; beispielsweise NTB 14-04 (MIRAM-14) oder NTB 02-05 (Endlagerbehälter). Die voraussichtlichen typischen Inventare werden für die Lager und die Endlagerbehälter angegeben. (Siehe auch Antwort zur TFS-Frage 115).
Die Nagra hat Angaben zu den Inventaren der radioaktiven Abfälle dokumentiert (beispielsweise in NTB 02-05, NTB 08-06, NTB 14-04) und aktualisiert. Spezifische Angaben zum Inventar der radioaktiven Abfälle sind in NTB 14-04, Anhang D zu finden (Figur 138-2). Folgende Werte werden für die Aktivitätsinventare im Basisszenarium MIRAM 14 für das Referenzjahr 2075 angegeben: gesamtes Inventar: 1,94×1019 Bq, Inventar der schwach- und mittelaktiven Abfälle (SMA): 7,90×1016 Bq, Inventar der alpha-toxischen Abfälle (ATA): 2,00×1016 Bq und Inventar der hochaktiven Abfälle (HAA): 1,93×1019 Bq. Das Inventar eines Kombilagers (1,94×1019 Bq) wird also durch das Inventar im HAA-Lagerteil (1,93×1019 Bq) bestimmt.
Angaben zu den Inventaren an Radionukliden in Endlagerbehältern sind detailliert in NTB 02-05, Appendix 2, Seiten B-3 bis B-9 zu finden. Dort werden einzeln die Inventare für folgende Endlagerbehälter dokumentiert: Behälter, beladen mit 4 Brennelementen aus Druckwasserreaktoren (DWR), beladen mit 9 Brennelementen aus Siedewasserreaktoren (SWR) und beladen mit 1 MOX-Brennelement und 3 DWR-Brennelementen. Zudem werden die Inventare für verglaste Abfälle und für langlebige mittelaktive Abfälle angegeben. Ein DWR-Brennelement enthält gemäss NTB 02-05, Appendix 2, Seite B-5 eine Aktivität von rund 1,94×1015 Bq. Ein SWR-Brennelement enthält gemäss NTB 02-05, Appendix 2, Seite B-5 eine Aktivität von rund 8,8×1014 Bq.
In der Schweiz werden derzeit für Transport und Zwischenlagerung von abgebrannten Brennelementen meist die Typen AREVA-TN mit 37 Brennelementen aus Druckwasserreaktoren oder mit 69 Brennelementen aus Siedewasserreaktoren verwendet (Siehe auch Antwort zu TFS-Frage 113).
Die Nagra hat in NTB 13-01, Seite 16, zum maximalen Aktivitätsinventar in einer Oberflächenanlage (OFA) folgende Aussage gemacht: „Für BE/HAA wird die maximale in der HAA-Oberflächenanlage vorhandene Menge an radioaktiven Stoffen erreicht, wenn bei ausgelastetem Betrieb der Verpackungsanlage zusätzlich noch drei voll beladene Transportbehälter angeliefert werden. Es ist damit zu rechnen, dass bei einer solchen Anlieferung vier angedockte, noch zu 75 % beladene Transportbehälter und zwei volle Transportbehälter vorhanden sind, sodass sich mit der Anlieferung von drei weiteren Transportbehältern insgesamt das Äquivalent von acht vollen Transportbehältern in der Oberflächenanlage befindet.“
Dieses maximale Inventar einer OFA kann wie folgt hergeleitet werden: Die oben erwähnten 8 Transportbehälter enthalten 8 × 37 = 296 DWR-Brennelemente. Mit den oben aufgeführten Werten für die Inventare der Brennelemente ergibt sich ein Wert von 296 × 1,94×1015 Bq = 5,74×1017 Bq. Das maximale Inventar einer OFA wird im Rahmen der Betriebsbewilligung festgesetzt. Es gelten die behördlichen Anforderungen für den sicheren Betrieb einer Kernanlage.
Der zeitliche Verlauf der Inventare (Gesamtinventar, HAA, ATA und SMA) ist in Figur 138-3 dargestellt.
Referenzen
NTB 02-05: Project Opalinus Clay: Safety Report – Demonstration of Disposal feasibility for spent fuel; vitrified high-level waste and long-lived intermediate level waste (Entsorgungsnachweis), Nagra Technischer Bericht, Wettingen, 2002.
NTB 13-01: Standortunabhängige Betrachtungen zur Sicherheit und zum Schutz des Grundwassers – Grundlagen zur Beurteilung der grundsätzlichen Bewilligungsfähigkeit einer Oberflächenanlage für ein geologisches Tiefenlager, Nagra Technischer Bericht, Wettingen, 2013