Technisches Forum Sicherheit

Frage 65: Warum ist die Rückholung nach Verschluss im Konzept der Nagra nicht vorgesehen?

Die Rückholung ist ein zentrales Sicherheitsthema. Wenn das Lager zum Beispiel undicht wird, müssen die Abfälle geborgen werden können, sonst droht eine massive Verseuchung der Umwelt. Eine Rückholung muss jederzeit – auch nach dem Verschluss des Lagers – gewährleistet sein. Eine Rückholung kann auch erwünscht sein, wenn sich für die Abfälle eine bessere Lösung findet.

Die Nagra hat ein Konzept für die Rückholung vor dem Verschluss des Lagers auf lediglich drei Seiten im Entsorgungsnachweis beschrieben. Basis sind Zeichnungen von Science-Fiction-Robotern, Technologien, die erst erfunden werden müssen und nicht erprobt sind.

Für die Rückholung nach der Betriebsphase (bzw. nach dem Verschluss des Tiefenlagers) existiert nicht einmal ein Konzept. Das hat den einfachen Grund, dass das Lager nach dem Verschluss in den Besitz des Bundes übergeht (gemäss Kernenergiegesetz) und die Abfallverursacher damit keine Haftung mehr tragen.

Die Finanzierung einer allfälligen Rückholung nach dem Verschluss des Lagers ist nicht gesichert, die Rückholung kommt in der Kostenstudie nicht vor (siehe TFS-Frage 72). Gemäss Kernenergiegesetz haften die Verursacher, bis das Lager in Besitz des Bundes übergeht. Es ist allerdings nicht klar, ob diese in der Lage wären, die unter Umständen enormen Kosten einer Rückholung zu tragen. Das könnte den Steuerzahler teuer zu stehen kommen.

Thema Bereich
Eingegangen am 9. Februar 2012 Fragende Instanz SES | Bürgermeister Laufenburg (D)
Status beantwortet
Beantwortet am 17. Juni 2014 Beantwortet von ,

Beantwortet von ENSI

Das Gesetz verlangt die Berücksichtigung der Möglichkeit einer Rückholung ohne grossen Aufwand bis zum Verschluss des Lagers. Lager und Betrieb sind so auszulegen, dass eine Rückholung bis zum Verschluss möglich bleibt und die Funktionstüchtigkeit der eingesetzten Technik zur Rückholung von Abfallgebinden ist vor der ersten Einlagerung nachzuweisen. Unter erhöhtem Aufwand bleibt die Rückholung auch nach dem Verschluss grundsätzlich möglich, wenn Lager und eingelagerte Abfälle sinnvoll markiert sind und die Information über das Lager dokumentiert und archiviert ist. Ziel des in der schweizerischen Kernenergiegesetzgebung dargestellten Entsorgungskonzepts ist aber ein verschlossenes Tiefenlager im geologischen Untergrund, dessen geologische Umgebung langfristig den Schutz von Mensch und Umwelt garantiert.

Die kurze Antwort ist, dass die Rückholung nach dem Verschluss des Lagers gesetzlich bewusst nicht vorgesehen ist. Das schweizerische Lagerkonzept sieht eine Rückholbarkeit „ohne grossen Aufwand“ vor, d. h. bis zum Verschluss des Lagers. Für ein geologisches Tiefenlager wird die Betriebsbewilligung nur erteilt, wenn, unter anderem, die Rückholung der radioaktiven Abfälle bis zu einem allfälligen Verschluss ohne grossen Aufwand möglich ist (Art. 37 KEG). Vor Inbetriebnahme des Tiefenlagers, d.h. vor der Einlagerung der ersten Abfälle sind die sicherheitsrelevanten Techniken zur Rückholung zu erproben und deren Funktionstüchtigkeit nachzuweisen, darunter auch das Entfernen des Verfüllmaterials zwecks allfälliger Rückholung von Abfallgebinden sowie die Technik zur Rückholung von Abfallgebinden (Art. 65 KEV). Dazu müssen gemäss Richtlinie ENSI-G03 insbesondere die Abfallgebinde so ausgelegt werden, dass sie mindestens bis zum Ende der Beobachtungsphase ohne grossen Aufwand rückgeholt werden können.

Die Möglichkeit der Rückholung stützt sich im Gesetz auf die Erkenntnisse, die vor und während der Beobachtungsphase im Pilotlager und in den Testbereichen gewonnen werden. Die dortigen Experimente und Überwachungen und die daraus gewonnenen Daten bilden die Basis dafür, dass entweder rückgeholt oder das Lager endgültig verschlossen wird. Nach Art. 39 KEG ordnet der Bundesrat nach Ablauf der Beobachtungsphase die Verschlussarbeiten an, wenn der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist. Die gewonnenen Daten müssen bestätigen, dass das Lager langfristig sicher sein wird. Gelingt dies nicht, müssen Teile der Abfälle oder alle Abfälle rückgeholt werden.

Auch nach dem Verschluss des Lagers ist eine Rückholung weiterhin grundsätzlich möglich. Aufgrund der verfüllten und versiegelten Zugangsbauwerke (Schächte/Rampen) ist dann aber ein deutlich höherer Aufwand notwendig. Solange zum geologischen Tiefenlager entsprechende Information vorliegt (insbesondere aufgrund der gesetzlich geforderten Markierung, der Dokumentierung und Archivierung), ist die Möglichkeit einer Rückholung gegeben. Das Gesetz macht jedoch darüber hinaus keine Vorgaben, da mit dem geologischen Tiefenlager langfristig die Sicherheit passiv mit einem natürlichen System gewährleistet werden soll, da die menschliche Gesellschaft diese Verantwortung langfristig nicht übernehmen kann.

Direkt nach dem Verschluss des Lagers wird nur noch eine stark eingeschränkte Überwachung, d.h. langfristig nur von der Oberfläche aus, möglich sein. Damit fehlt für die Zeitperiode nach dem Lagerverschluss auch eine fundierte Datengrundlage für einen Beschluss, die Abfälle rückzuholen. Aufgrund der aktuell vorgesehenen Lagerauslegung sind erste radiologische Konsequenzen an der Oberfläche erst viele tausend Jahre nach Lagerverschluss vorstellbar. Zu dieser Zeit ist damit zu rechnen, dass aufgrund der Korrosion der Behälter und der Ausbreitung der radioaktiven Stoffe im Untergrund eine Rückholung nicht nur die Behälter, sondern auch deren geologisches Nahfeld betreffen würde. Dannzumal wäre der überwiegende Teil der Radioaktivität bereits abgeklungen.

Beantwortet von BFE

Die radioaktiven Abfälle können auch nach dem Verschluss aus einem geologischen Tiefenlager zurückgeholt werden. Dies ist jedoch mit einem grösseren finanziellen und technischen Aufwand verbunden als während der Betriebs- und der Beobachtungsphase. In dieser Phase ist die Rückholung der radioaktiven Abfälle ohne grossen Aufwand möglich, weil noch nicht alle untertägigen Teile und Zugangsstollen des geologischen Tiefenlagers verfüllt und versiegelt sind. Der Verschluss des Lagers ist jedoch eine Voraussetzung für die passive und langfristige Sicherheit eines Tiefenlagers; somit ist die Rückholbarkeit eng mit der Frage des Lagerkonzepts verknüpft. Sowohl die Konzeptfrage als auch die Finanzierung der Entsorgung wurden im Rahmen der Erarbeitung des Kernenergiegesetzes vom 21. März 2003 (KEG; SR 732.1) ausgiebig diskutiert (siehe dazu die Antwort auf TFS-Frage 66) und basierend darauf im KEG geregelt.

Gemäss Artikel 39 KEG ordnet der Bundesrat nach Ablauf der Beobachtungsphase die Verschlussarbeiten an, wenn der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist. Nach ordnungsgemässem Verschluss oder nach Ablauf der Überwachungsfrist stellt der Bundesrat fest, dass das Lager nicht mehr der Kernenergiegesetzgebung untersteht. Die Verantwortung geht erst mit dieser Feststellung des Bundesrats an den Staat über. Diese Übernahme der Verantwortung entspricht internationalem Konsens und steht auch so in der Präambel des von der Schweiz und Deutschland ratifizierten und auf den 18. Juni 2001 in Kraft gesetzten «Gemeinsames Übereinkommen vom 5. September 1997 über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle (SR 0.732.11)».

Das von der Schweiz entwickelte Lagerkonzept wurde auch im Rahmen des internationalen Austauschs des Radioactive Waste Management Committee (RWMC) der Nuclear Energy Agency (NEA) der OECD diskutiert. So standen Fragen zur Rückholung im Zentrum der vom 14.-17. Dezember 2010 durchgeführten internationalen Konferenz «Reversibility and Retrievability in Planning for Geological Disposal of Radioactive Waste» der OECD. Dabei zeigte sich, dass der von der Schweiz gewählte Weg der schrittweisen Umsetzung der langfristig passiv sicheren geologischen Tiefenlagerung mit vorgängiger Beobachtungsphase und anschliessendem Verfüllen und Versiegeln aller untertägigen Zugangsstollen internationalem Standard entspricht (siehe www.oecd-nea.org/rwm/rr/ und www.oecd-nea.org/rwm/rr/documents/R-Scale-Leaflet_ENG_WEB.pdf). Ein Lagerkonzept mit endgültigem Verschluss des geologischen Tiefenlagers wird z. B. auch von Finnland, Schweden und Frankreich umgesetzt.

Es gibt keine Kostenschätzung über den finanziellen Aufwand für eine Rückholung der Abfälle aus einem geologischen Tiefenlager. Bei einer Rückholung aller Abfälle aus einem vollständig verschlossenen Lager kann man sich an den Gesamtkosten für die Realisierung der geologischen Tiefenlager (inklusive bisher aufgelaufene Kosten) orientieren, die sich gemäss den Kostenstudien aus dem Jahre 2006 für das Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle auf 2,5 Milliarden Franken und für das Lager für hochradioaktive Abfälle (inklusive Verpackung der verbrauchten Brennelemente und hochaktiven Abfälle) auf 5,1 Milliarden Franken belaufen. Davon fallen 1 Milliarde bzw. 2,5 Milliarden Franken auf den Bau bzw. die Einlagerung. In dieser Grössenordnung dürften sich die Kosten für die vollständige Rückholung der Abfälle aus einem verschlossenen Tiefenlager bewegen. Da eine Rückholung der Abfälle nach dem Verschluss nicht vorgesehen ist, muss sie von den Abfallverursachenden nicht vorfinanziert werden. Falls eine Rückholung zur Nutzung von Ressourcen (z. B. verbrauchte Brennelemente) erfolgen würde, müsste die Finanzierung durch die Nutzniessenden erfolgen.