Das ENSI lässt sich auf Herz und Nieren prüfen

Das ENSI will seine Arbeit auf dem höchsten Qualitätsstandard halten. Aus diesem Grund lässt es sich zwischen dem 21. November und dem 2. Dezember 2011 von einer Expertengruppe der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA gründlich durchleuchten. Die schweizerische Aufsichtsbehörde wird bereits zum zweiten Mal von der IAEA unter die Lupe genommen. Ähnliche Überprüfungen gibt es auch für die Betreiber.

Wenige Tage vor dem Start der IRRS-Mission laufen die Vorbereitungen auf die IRRS-Mission am ENSI auf Hochtouren.

Sicherheit ist ein Prozess und muss ständig hinterfragt und – wo notwendig und sinnvoll – verbessert werden. Das hat bereits ENSI-Direktor Hans Wanner geschrieben. Überprüfungen von Behörden und Betreibern durch internationale Expertenteams sind ein wichtiger Teil dieses Prozesses.

Es ist wichtig, dass jede Aufsichtsbehörde und jeder Betreiber von Nuklearanlagen sich regelmässig den Spiegel vorhalten lässt. Dieser Prozess verhindert eine Betriebsblindheit und kann neuen Ideen zum Durchbruch verhelfen.

 

Wichtigste Überprüfungsmission der IAEA für Behörden

Internationale Überprüfungen werden vor allem von der IAEA, der Internationalen Atomenergie-Agentur in Wien, und der WANO (World Association of Nuclear Operators) durchgeführt. Die IAEA überprüft sowohl Behörden wie Betreiber, die WANO konzentriert sich auf die Überprüfung von Betreibern.

Der IRRS, der Integrated Regulatory Review Service, ist heute die wohl wichtigste Überprüfungsmission der IAEA für Behörden. Sie dauert zwei Wochen und wird je nach Aufsichtsgebiete der zu überprüfenden Behörde von zehn bis zwanzig internationalen Experten durchgeführt.

Etwa drei Jahre nach einer Mission findet eine sogenannte Follow-up-Mission statt, an der die Umsetzung der Verbesserungsmöglichkeiten, die während der eigentlichen Mission empfohlen wurden, überprüft wird. Die internationalen Experten rekrutieren sich aus verschiedenen Ländern, wobei darauf geachtet wird, dass möglichst alle Kulturen (Erdteile) vertreten sind.

 

Die Schweiz liess sich als erstes westeuropäisches Land überprüfen

Die Vorgängerorganisation des ENSI, die HSK, hat bereits im Dezember 1998 eine IRRS-Mission durchgeführt (damals noch IRRT, International Regulatory Review Team). Die Follow-up-Mission erfolgte im Januar 2003. Die Schweiz war damals das erste westeuropäische Land, das sich einer solchen internationalen Überprüfung stellte. In der Zwischenzeit haben die meisten Länder mit Nuklearanlage eine IRRS durchgeführt.

Der ehemalige ENSI-Direktor Ulrich Schmocker beurteilt im Rückblick die damalige Mission als sehr wertvoll: „Für uns war diese Überprüfung neu und wir konnten sehr viel daraus lernen. Wir haben wichtige Anregungen für die Verbesserung unseres Aufsichtskonzepts erhalten. Insbesondere im Bereich Inspektion haben wir von der IRRT damals einiges gelernt.“

Heute ist es internationale Praxis, dass solche Missionen etwa alle zehn Jahre stattfinden. Innerhalb der EU wurde dies sogar festgeschrieben, d.h. die Aufsichtsbehörden der EU-Länder müssen alle zehn Jahre eine IRRS-Mission durchführen. Die Schweiz wird sich diesem Rhythmus anschliessen. Damit erfüllt das ENSI die in der ENSI-Verordnung in Art. 2, Abs. 3 festgeschriebene Aufforderung, dass es sich periodisch durch die IAEA zu überprüfen habe.

 

Offene und ehrliche Antworten

Für die zu überprüfende Behörde ist vor allem das Self-Assessment die wohl wichtigste Aufgabe. „Dadurch können wir selber erkennen, inwieweit unser Regelwerk und die gelebte Aufsichtspraxis die IAEA-Anforderungen erfüllt und wo eventuell noch Lücken vorhanden sind“, beurteilt ENSI-Direktor Hans Wanner die anstehende Mission. Hier sei Offenheit und Ehrlichkeit entscheidend, um möglichst stark von der IRRS-Mission profitieren zu können.

„Es hilft wenig, Lücken vor den internationalen Experten zu verwischen. Es ist im Gegenteil hilfreich, selber auf mögliche Lücken hinzuweisen, selber Verbesserungspotential aufzuzeigen und dazu die Meinung der Experten einzuholen“, so Wanner weiter. Die Diskussionen bei einer IRRS Mission müssten in einer offenen Atmosphäre geführt werden. Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass dies in den meisten Ländern der Fall sei, aber leider nicht in allen. „Dies ist zwar oft durch kulturelle Eigenheiten erklärbar, aber nicht zu rechtfertigen“, hält Wanner fest.

Selbstverständlich können die Experten in nur zwei Wochen nicht sämtliche Aspekte der Aufsichtspraxis und des Regelwerkes im Detail prüfen, sondern sie müssen sich aufgrund der schriftlichen Unterlagen und der Beobachtungen eine Meinung bilden. Diese wird geprägt durch die Offenheit der Information seitens der überprüften Behörde.

 

Breite Überprüfung

Die Vision der IAEA für die IRRS-Missionen sind „effektive und nachhaltige Aufsichtsbehörden, die die IAEA Sicherheitsvorgaben anwenden und ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Erkenntnisse untereinander austauschen“. [1] Die Idee ist die Umsetzung weltweit harmonisierter Sicherheitsanforderungen und ein ständiger Dialog zwischen den Aufsichtsbehörden über alle Grenzen und Kulturen hinweg. Eine IRRS Mission konzentriert sich deshalb auch auf die Überprüfung der Umsetzung der IAEA-Sicherheitsvorgaben und Sicherheitsempfehlungen, so wie sie in den IAEA-Publikationen (Guides) festgehalten sind.

Die wichtigen Vorgaben betreffend Regelwerk, Infrastruktur und Aufbau einer nuklearen Aufsichtsbehörde sind in der IAEA-Publikation GSR Part 1 veröffentlicht. Diese Vorgaben bilden den Grundstein für die Überprüfung durch die Experten. Geprüft wird, inwieweit das Regelwerk eines Landes die IAEA-Vorgaben berücksichtigt und inwieweit die Vorgaben in der Praxis in den Kernanlagen umgesetzt sind. Für ein Land wie die Schweiz werden z.B. folgende Themenbereiche detailliert überprüft:

  • Verantwortung und Aufgabe der Regierung für die Sicherheit von Kernanlagen
  • Verantwortung der Aufsichtsbehörde
  • Managementsystem der Aufsichtsbehörde
  • Bewilligungsverfahren
  • Gutachtertätigkeit
  • Inspektionswesen
  • Umsetzung von Forderungen
  • Richtlinien
  • Notfallplanung
  • Strahlenschutz, einschliesslich Umgebungsüberwachung
  • Entsorgung radioaktiver Abfälle
  • Transport radioaktiver Stoffe

Zusätzlich werden oft Themen wie Offenheit und Transparenz nach aussen, Zusammenarbeit mit anderen Behörden, Langzeitbetrieb von Kernkraftwerken und seit dem 11. März 2011 speziell Konsequenzen aus dem Unfall in Fukushima besprochen. Der Themenbereich umfasst alle vom ENSI wahrzunehmenden Aufgabenbereiche ergänzt durch Aufgaben, die durch die Regierung und andere schweizerische Behörden im Nuklearbereich zu erfüllen sind.

 

Umfangreicher Fragebogen

In Vorbereitung für eine solche Mission sind von der zu überprüfenden Behörde umfangreiche Dokumente zu erstellen, insbesondere ist ein spezieller Fragebogen mit gegen 2000 Einzelfragen im Rahmen eines so genannten Self-Assessment zu den oben aufgeführten Themen zu beantworten. Der Aufwand ist somit für eine Behörde gross (bis zu einigen Mannjahren an Arbeit).

Die eigentliche Mission umfasst vor allem Diskussionen zwischen den internationalen Experten und der Behörde, um genau zu verstehen, wie die Behörde in der Praxis arbeitet. Die Experten beobachten dabei auch die tägliche Arbeit der Behörde, diskutieren mit Beaufsichtigten und Vertretern anderer Behörden, nehmen an Inspektionen teil und beobachten eine Notfallübung.

Aus den schriftlichen Informationen, den Beobachtungen und Diskussionen verfassen die Experten den Abschlussbericht, geben Empfehlungen und Anregungen für Verbesserungen, können aber auch besonders innovative Vorgehensweisen als „good practice“ auszeichnen. Diese werden dann auch anderen Behörden bekannt gemacht.

Mit diesem Vorgehen soll erreicht werden, was in der Vision der IAEA festgehalten wird: Behörden, die die internationalen Sicherheitsvorgaben umsetzen und eine ständig hinterfragende Haltung einnehmen, um die nukleare Sicherheit weiter zu verbessern.

 

Auch ENSI-Mitarbeitende haben schon andere Behörden überprüft

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ENSI haben dank ihrer Erfahrung aus der ersten Mission und dank der internationalen Anerkennung der ENSI-Tätigkeit wiederholt an IRRS-Missionen in anderen Ländern als Experten teilgenommen. Sie wurden und werden auch als Teamleader eingesetzt. Die an den IRRS-Missionen gesammelten Erfahrungen und der Erfahrungsaustausch fliessen wiederum in die Arbeit des ENSI ein.

Experten des ENSI, die an IRRS-Missionen teilnehmen, können eigene Erfahrungen einbringen und darauf hinwirken, dass die Behördentätigkeit in anderen Ländern verbessert wird. So wird beispielsweise das vom ENSI entwickelte und im Alltag umgesetzte Managementsystem immer wieder als Vorbild für andere Behörden lobend erwähnt. Andererseits hat das ENSI von anderen Behörden profitiert und z.B. die Einführung von sogenannten Werksinspektoren aus England übernommen.

Nebst der direkten Tätigkeit an den Missionen profitiert das ENSI auch vom internationalen Netzwerk, das dabei entsteht. Bei spezifischen Fragen ist es leichter möglich, mit anderen Behörden in Kontakt zu treten und über Fachthemen zu diskutieren. Man kennt den Fachexperten. Auch das ENSI wird regelmässig mit solchen Fragen konfrontiert und gibt aus seiner Sicht gerne Auskunft. Die IAEA-Vision kommt in diesem Bereich gut zum Tragen: Austausch von Erfahrung, Wissen und Erkenntnissen.

 

Resultate sind öffentlich

Am Ende der Mission werden die Ergebnisse der Überprüfung von der IAEA öffentlich gemacht, denn es ist wichtig, dass die Resultate transparent allen Interessierten offen gelegt werden.

Nach der Katastrophe in Fukushima werden internationale Überprüfungen von Behörden und Betreibern noch an Bedeutung gewinnen, u.a. auch die Auslegung der Anlagen gegen äussere Einwirkungen. Der europäische Stresstest geht genau in diese Richtung und dürfte internationale Vorbildwirkung haben.


[1] Effective and Sustainable Regulatory Bodies that apply the IAEA safety standards, share regulatory experiences, knowledge and lessons learned among Regulators.