Technisches Forum Sicherheit

Frage 75: Berücksichtigung Bevölkerungswille für geol. Tiefenlager

2005 hat das Parlament im neuen Kernenergiegesetz das Vetorecht der Standortkantone gestrichen. Damit ist es möglich, einem Kanton ein Atommülllager gegen den Willen der Bevölkerung aufzuzwingen, anstatt die Bevölkerung von einem guten und sicheren Lagerkonzept zu überzeugen. Dieses Verfahren hebelt möglicherweise gerechtfertigte Kritik am Lagerkonzept aus und kann zu Schwierigkeiten führen. Offenbar geht der Bundesrat davon aus, dass ein Lager und die dazugehörigen oberirdischen Anlagen gegen den Willen der lokalen Bevölkerung gebaut werden kann.

Zudem: Im Rahmen der regionalen Partizipation befassen sich die einberufenen Regionalkonferenzen in den potenziellen Standortregionen bereits heute eingehend mit sekundären Aspekten eines Tiefenlagers für eine künftige Standortregion. Es sind dies z.B. die Akzeptanz eines Lagers und dessen Oberflächenanlagen, künftige regionale Entwicklungsstrategien und mögliche sozioökonomisch-ökologische Auswirkungen. Wenn diese Regionalkonferenzen tatsächlich einen Einfluss auf den Standortentscheid haben, gefährden sie die Eingrenzung möglicher Standorte nach streng wissenschaftlichen, sicherheitsrelevanten Voraussetzungen. Anderenfalls ist die Arbeit aller Beteiligten wertlos und es muss von einer Scheinpartizipation gesprochen werden.

Kann ein Lager gegen den Willen der lokalen Bevölkerung gebaut werden?

Thema Bereich
Eingegangen am 9. Februar 2012 Fragende Instanz SES
Status beantwortet
Beantwortet am 14. September 2012 Beantwortet von

Beantwortet von BFE

Rechtlich gesehen könnte ein Lager gegen den Willen der lokalen Bevölkerung gebaut werden, da mit dem neuen Kernenergiegesetz alle nötigen Bewilligungen durch den Bund erteilt werden und der Entscheid über Standorte von Tiefenlagern bei einem Referendum durch das Schweizer Stimmvolk gefällt wird. Die demokratische Legitimation ist damit gegeben. Praktisch gesehen jedoch ist eine Realisierung ohne ausreichende Akzeptanz in der betroffenen Region schwierig. Der Sachplan geologische Tiefenlager (SGT) sieht deshalb vor, dass mit der regionalen Partizipation die Interessen, Bedürfnisse und Forderungen der Standortregion direkt ins Verfahren eingebracht werden können.

Der Beweggrund des Eidgenössischen Parlaments, die Bewilligungen beim Bund zu konzentrieren war, dass es sich bei der Entsorgung der radioaktiven Abfälle um eine nationale Aufgabe handelt, die nur gesamtschweizerisch gelöst werden kann. Es bestand die Befürchtung, dass jeder betroffene Kanton ein Tiefenlager auf seinem Territorium ablehnen würde – ungeachtet davon, ob dieser selber Aktionär von Kernkraftwerken ist und/oder vom Nutzen der Kernenergie profitiert hat. Das Konzept der geologischen Tiefenlagerung und das Verfahren wurden im Kernenergiegesetz und seinen Verordnungen festgelegt. Wie im Schweizerischen Gesetzgebungsprozess üblich, unterstand dieses Gesetz dem fakultativen Referendum, welches damals nicht ergriffen wurde.

Dennoch ist es die Aufgabe des Bundes, die Bevölkerung (nicht nur die lokale) vom Konzept der geologischen Tiefenlagerung zu überzeugen. Einen wesentlichen Beitrag soll dazu das Standortauswahlverfahren leisten: Einerseits durch eine nachvollziehbar und transparente Standortsuche, andererseits durch einen frühen und umfassenden Einbezug der Behörden, der Bevölkerung und Interessensgruppen.

Der rechtliche Rahmen ist bezüglich regionaler Partizipation ganz klar: Der letztendliche Standortentscheid liegt nicht in der Kompetenz der Regionen. Dies ergibt sich aus dem unbestrittenen Grundsatz, dass die Sicherheit bei der Standortsuche oberste Priorität hat. Sozioökonomische und ökologische Aspekte werden in Etappe 2 des Standortauswahlverfahrens unter sicherheitstechnisch vergleichbaren Standorten zur Anwendung kommen. Die Standortregionen haben die Aufgabe, ein allfälliges Tiefenlager möglichst gut in die Region zu integrieren, dazu gehört die Erarbeitung von Massnahmen und Projekte zur Abfederung von Auswirkungen. Die dabei erarbeiteten Stellungnahmen sind Grundlagen für den weiteren Entscheidungsprozess, werden öffentlich gemacht und fliessen am Ende von Etappe 2 in die Gesamtbeurteilung des Bundes ein. Wer dies als «Scheinpartizipation» bezeichnet, verkennt die grosse Bedeutung dieser Arbeiten sowie die Leistung der Beteiligten.