Technisches Forum Sicherheit

Frage 72: Finanzierung

Um die Finanzierung sicherzustellen, werden heute zwei Fonds, je einer für Stilllegung und Entsorgung, geäufnet. Um die Abgaben auf den Atomstrompreis zu berechnen, wird alle fünf Jahre ein Kostenbericht publiziert.

Das Vorhaben Tiefenlagerung ist komplex und neuartig (es gibt heute weltweit kein Lager für hochradioaktive Abfälle) und sehr vieles ist noch unklar. So kann kaum abgeschätzt werden, was die Entwicklung von vollautomatischen Systemen für den Betrieb des Lagers (Roboter) kosten wird. Die genauen Kosten können also nicht eruiert werden und werden im Interesse der AKW-Betreiber möglichst tief vorhergesagt. Die Kostenstudie wird von Swissnuclear, der Lobbyagentur der AKW-Betreiber, und der Nagra erstellt. Auch im zuletzt publizierten Bericht von November 2011 fehlen zum Beispiel die Kosten für die Überwachung nach dem Verschluss des Lagers oder für Lagerkorrekturen bei unerwünschten Überraschungen. Es wird ausserdem mit einer Beobachtungsphase von nur 50 Jahren gerechnet, obwohl das Entsorgungskonzept die Länge der Beobachtungsphase explizit offen lässt und diese damit mehrere hundert Jahre dauern könnte.

  1. Muss am Ende der Steuerzahler die Zeche bezahlen?
  2. Haften auch die Aktionäre von AKW-Betreibern für die Folgekosten der Atomkraftwerke?
Thema , Bereich |
Eingegangen am 9. Februar 2012 Fragende Instanz SES
Status beantwortet
Beantwortet am 7. März 2013 Beantwortet von

Beantwortet von BFE

a)

Nach Art. 31 Abs. 1 des KEG sind die Betreiber von Kernanlagen verpflichtet, ihre radioaktiven Abfälle auf eigene Kosten sicher zu entsorgen. Entsorgungskosten, die während des Betriebs von Kernkraftwerken (KKW) anfallen, müssen von ihnen laufend bezahlt werden. Hingegen werden die Kosten für die Stilllegung der Kernkraftwerke sowie die nach ihrer Ausserbetriebnahme anfallenden Kosten für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle durch zwei unabhängige Fonds sichergestellt: den Stilllegungsfonds für Kernanlagen und den Entsorgungsfonds für Kernkraftwerke (Art. 77 Abs. 1 und 2 KEG). Beide Fonds werden durch Beiträge der Betreiber geäufnet (Art. 77 Abs. 3 KEG). Die Beitragspflicht endet mit der Ausserbetriebnahme der Anlage (Art. 7 SEFV).

Die voraussichtlichen Kosten für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle und die Stilllegung der abgestellten Kernkraftwerke müssen durch die Betreiber der Kernanlagen alle fünf Jahre neu geschätzt werden (Art. 4 SEFV). Sie werden zudem neu berechnet, wenn eine Kernanlage endgültig ausser Betrieb genommen wird oder infolge unvorhergesehener Umstände eine wesentliche Änderung der Kosten zu erwarten ist.

Für die Berechnung der Stilllegungs- und Entsorgungskosten werden unter Berücksichtigung von internationalen Erfahrungen so genannte «best-estimates» Kosten herangezogen. Diese basieren auf einem detaillierten, zeitlich definierten sowie klaren und technisch-wissenschaftlichen Konzept nach neustem Stand der Kenntnisse. Die Kostenstudien werden vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) geprüft, wobei für die Prüfung der Konzepte und Kostensätze für die Stilllegung der Kernanlagen und für die beiden geologischen Tiefenlager externe Experten beigezogen werden.

Die beitragspflichtigen Betreiber haben gegenüber den Fonds einen Anspruch im Umfang der von ihnen geleisteten Beiträge, einschliesslich des Kapitalertrags und abzüglich des Aufwands (Art. 78 Abs. 1 KEG). Falls die geleisteten Beiträge zur Deckung der Kosten nicht ausreichen, deckt der Beitragspflichtige die verbleibenden Kosten aus seinen Mitteln (Art. 79 Abs. 1 KEG). Weist er nach, dass seine Mittel nicht ausreichen, decken die Fonds die verbleibenden Kosten vorerst aus ihren Mitteln (Art. 79 Abs. 2 KEG). In diesem Fall muss der Beitragspflichtige dem Fonds den Differenzbetrag samt einem marktüblichen Zins zurückbezahlen (Art. 80 Abs. 1 KEG). Kann er die Rückerstattung nicht innert einer vom Bundesrat festgelegten Frist leisten, so müssen die übrigen Beitragspflichtigen (d. h. die übrigen Betreiber) für den Differenzbetrag aufkommen (Art. 80 Abs. 2 KEG). Ist die Deckung des Differenzbetrages für die Nachschusspflichtigen wirtschaftlich nicht tragbar, beschliesst die Bundesversammlung gemäss Artikel 80 Absatz 4 KEG, ob und in welchem Ausmass sich der Bund an den nichtgedeckten Kosten beteiligt.

Die Finanzierung der Entsorgung ist in der Schweiz umfassend geregelt. Aufgrund der energie- und wirtschaftspolitischen Entwicklungen im In- und Ausland will der Bundesrat jedoch eine Revision der Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung (SEFV) prüfen. Insbesondere folgende Punkte werden aus heutiger Sicht Gegenstand der Prüfung sein: Dauer der zu finanzierenden Beobachtungsphase von geologischen Tiefenlagern, Anlagerendite von 5 %, Kostenteuerung von 3 % und die daraus resultierende Nettorendite von 2 %, die Bandbreiten der Fondsbestände und die Ausgleichsmechanismen bei Unter- resp. Überschreitung der Bandbreite sowie die Form der Beiträge in die Fonds inkl. der Währungsmix.

b)

In der Antwort auf Frage 72 wurde darauf hingewiesen, dass die Finanzierung der Kosten für Stilllegung und Entsorgung durch verschiedene Mechanismen gewährleistet ist: Grundsätzlich sind diese Kosten durch den Betreiber der jeweiligen Kernanlage zu tragen. Er hat deshalb die voraussichtlichen Kosten für Stilllegung und Entsorgung in den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds einzuzahlen. Sind die Mittel aus dem Stilllegungs- und Entsorgungsfonds aufgebraucht und auch die finanziellen Möglichkeiten des Betreibers ausgeschöpft, so müssen die übrigen Beitragspflichtigen (d.h. die übrigen Betreiber) für den Differenzbetrag aufkommen (Art. 80 Abs. 2 KEG). Ist die Deckung des Differenzbetrages für die Nachschusspflichtigen wirtschaftlich nicht tragbar, beschliesst die Bundesversammlung gemäss Artikel 80 Absatz 4 KEG, ob und in welchem Ausmass sich der Bund an den nichtgedeckten Kosten beteiligt.

Die Aktiengesellschaft ist eine Gesellschaft mit eigener Firma, deren zum Voraus bestimmtes Kapital (Aktienkapital) in Teilsummen (Aktien) zerlegt ist und für deren Verbindlichkeiten nur das Gesellschaftsvermögen haftet (Art. 620 Abs. 1 OR). Der Aktionär kann auch durch die Statuten nicht verpflichtet werden, mehr zu leisten als den für den Bezug einer Aktie bei ihrer Ausgabe festgesetzten Betrag (Art. 680 Abs. 1 OR). Ein Durchgriff auf Aktionäre sieht das schweizerische Aktienrecht nicht vor.

Die Forderung nach einem Durchgriffsrecht auf Aktionäre zur Sicherstellung der Finanzierung der Kosten für Stilllegung und Entsorgung ist nicht neu. Am 28. September 1999 wurde die eidgenössische Initiative „Strom ohne Atom – Für eine Energiewende und die schrittweise Stilllegung der Atomkraftwerke (Strom ohne Atom)“ eingereicht. Die Initianten forderten unter anderem ein solches Durchgriffsrecht auf Aktionäre. Das Bundesamt für Energie gab daraufhin beim Bundesamt für Justiz BJ ein Gutachten zur Frage der „Sicherstellung der Finanzierung der Stilllegungs- und Entsorgungskosten mittels Durchgriffsrecht auf Gesellschafter (insb. Aktionäre)“ in Auftrag.

Gemäss dem Gutachten des BJ vom 22. April 2002 stellt die Beschränkung der Haftung des Aktionärs auf den Ausgabewert der Aktie den Kern des schweizerischen Aktienrechts dar. Sie werde in der Lehre verschiedentlich als fundamentales und unantastbares Prinzip des Aktienrechts bezeichnet (siehe dazu insb. BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl., Zürich 1996, N 38g; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 1 N 60 f.; BAUDENBACHER, in: Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht II, Art. 530-1186 OR, Basel 1994; VON GREYERZ, in: Schweizerisches Privatrecht VIII/2, Basel 1982, p. 15).

Das BJ ist der Ansicht, dass die Einführung einer persönlichen Haftung des Aktionärs mit der gesellschaftsrechtlichen Konzeption im Privatrecht nicht vereinbar ist. Es sei allerdings „nicht ausgeschlossen, privatrechtliche Normen im Sinne einer spezialgesetzlichen Regelung in einem öffentlich-rechtlichen Erlass zu verankern. Zur Wahrung der Kohärenz der Rechtsordnung sollte von dieser Möglichkeit aber nur aus triftigen Gründen Gebrauch gemacht werden.“

Das Gutachten führt im Weiteren aus, dass die Statuierung einer persönlichen Haftung der Gesellschafter mit einer wesentlichen Einschränkung der Eigentumsgarantie und der Wirtschaftsfreiheit verbunden sei. Es dränge sich daher eine verfassungsrechtliche Prüfung auf. Das BJ kommt in seiner Prüfung zum Schluss, dass selbst wenn die Erforderlichkeit der Einführung eines Durchgriffsrechts im Sinne einer spezialgesetzlichen Regelung bejaht werden sollte (was fraglich sei), das öffentliche Interesse für eine solche Massnahme eher nicht gegeben sei: „Grundsätzlich kann aufgrund der (damals) bestehenden Situation davon ausgegangen werden, dass sich die Gesellschafter einer KKW-Betreibergesellschaft überwiegend aus öffentlich-rechtlichen Körperschaften und aus von diesen Körperschaften beherrschten Unternehmen, die im Elektrizitätsbereich tätig sind, zusammensetzen dürften. Folglich würde eine persönliche Haftung dieser Körperschaften für die Deckung der Stilllegungs- und Entsorgungskosten letztlich doch auf die Steuerzahler zurück fallen. Dass die Belastung primär kantonale und kommunale Haushalte statt den Bundeshaushalt treffen würde, könnte das öffentliche Interesse an der Massnahme wohl kaum hinreichend legitimieren.“

Nach heutiger Rechtsprechung besteht bereits heute die Möglichkeit eines Durchgriffs auf Aktionäre (wenn auch in sehr restriktiver Weise). Gemäss BJ kann ein Durchgriff („levée du voile corporatif“) dann erfolgen, wenn sich eine Gesellschaft innerhalb eines Konzerns willentlich und in missbräuchlicher Weise unterkapitalisiert.