Längere Zugangsbauwerke sind schwieriger zu bauen als Kurze und bergen zusätzliche Risiken.
Gibt es eine Maximallänge von unterirdischen Zugangsbauwerken (Rampen oder horizontale Verbindungsstollen), die aus sicherheitstechnischer Sicht nicht überschritten werden darf?
Falls nicht, muss man bei extrem langen Zugangsbauwerken zusätzliche Sicherheitsmassnahmen vornehmen, wie zum Beispiel zusätzliche Lüftungen oder Verschlussmöglichkeiten?
Die Antwort erläutert die Machbarkeit langer Zugangsbauwerke in der Form von Schächten oder Tunnel (Stollen) [1]. Es wird aufgezeigt, dass die Länge bei entsprechender Auslegung und Anordnung der Tunnel und Schächte kein massgebender Faktor in Bezug auf bautechnische Herausforderung und Sicherheit darstellt. Hingegen bestimmt die Länge (i) die Kosten, (ii) führt zu Anpassungen der Anlagen und (iii) der Betriebskonzepte indem beispielsweise zusätzliche Schächte und Stollen (e.g. Parallelstollen) erforderlich werden oder zusätzliche Vorschriften beim Betrieb beachtet werden müssen oder erhöhte Lüftungsleistung notwendig wird.
Lagerkonzept
Ein geologisches Tiefenlager besteht aus Lagerfeldern mit den untertägigen Lagerkammern im Wirtgestein für die dort einzulagernden radioaktiven Abfälle. Für den Bau, den Einlagerungsbetrieb, Beobachtung und Verschluss sind weitere untertägige Anlagenteile erforderlich, die den Zugang zwischen der Oberfläche und der Lagerzone bzw. den Lagerkammern sicherstellen.
Während dem Einlagerungsbetrieb werden die Abfallgebinde angeliefert und müssen vor der Einlagerung für die Tiefenlagerung vorbereitet werden. Dazu sind entsprechende Anlagen an der Oberfläche vorzusehen. Weitere Anlagen sind für die Ver- und Entsorgung der untertägigen Anlagenteile ebenfalls an der Oberfläche anzuordnen.
Nachfolgend werden die wichtigsten Bauwerke für geologische Tiefenlager in der Schweiz aufgeführt:
Oberflächeninfrastruktur: Diese besteht aus der Oberflächenanlage, den notwendigen Anlagen an der Oberfläche zu den Nebenzugangsanlagen (z.B. Schachtkopfanlagen), der verkehrs- und versorgungstechnischen Erschliessung, allfälligen Produktionsanlagen Dritter sowie sämtlichen Baustelleninstallationen. Sie stellt die Schnittstelle zur Ver- und Entsorgung des Tiefenlagers sicher, nimmt die Abfälle und übrigen Produktionsmittel an, verpackt die Abfälle und bereitet sie zur Einlagerung vor.
Zugangsbauwerke: Diese bestehen aus dem Hauptzugangsbauwerk (z.B. Zugangstunnel oder Zugangsschacht) und den Nebenzugangsbauwerken (i.d.R. dem Lüftungsschacht sowie einem Betriebsschacht). Des Weiteren befindet sich jeweils oberhalb des Wirtgesteins bei jedem Zugangsbauwerk je eine Multifunktionsstelle, die mit einem Verbindungsstollen miteinander verbunden sind. Die Schächte sind nicht zwingend als solche auszubilden; sie können auch als Tunnel, Schrägschacht oder in Kombination mit einem horizontalen Tunnel als Blindschacht angeordnet werden. Die Zugangsbauwerke stellen die Verbindung zur Förderung von Material und Personen sowie zur Ver- und Entsorgung zwischen den untertägigen Anlagen in der Lagerzone und der Oberfläche sicher.
Untertägige Anlagen in der Lagerzone: Diese bestehen aus dem Hauptlager der verschiedenen Abfalltypen, dem Pilotlager und dem Infrastrukturteil. Das Hauptlager ist in Lagerfeldern angeordnet. Die Lagerfelder bestehen aus den Lagerkammern (BE/HAA-Lagerstollen und LMA-Lagerkavernen im HAA-Lager sowie den SMA-Lagerkavernen im SMA-Lager), den Lagerfeldzugängen (Abzweigertunnel mit Übergangsbereich, Betrieb-, Bau- und Lüftungstunnel). Sie stellen die Hohlräume zur dauerhaften Einlagerung und die notwendigen Zugänge und Hilfsanlagen auf Ebene des Tiefenlagers sicher.
Die Figur 105-1 zeigt schematisch die Lagerarchitektur eines geologischen Tiefgenlagers am Beispiel eines HAA-Lagers. Die Hauptfunktionsbereiche sind (i) die Lagerfelder mit den Lagerkammern (siehe Hauptlager für BE/HAA-Lagerstollen und für LMA-Lagerkavernen sowie Pilotlager), (ii) die Oberflächenanlage beim Hauptzugang, (iii) die Schachtkopfanlagen beim Nebenzugang [2] sowie (iv) der Haupterschliessungspunkt (HEP) auf Lagerebene mit dem Testbereich bzw. dem Felslabor und dem Zentralen Bereich. Die Verbindung zwischen den Hauptfunktionsbereichen erfolgt über Zugangsbauwerke, nämlich zwischen der Oberflächenanlage (ii) und dem HEP (iv) über den Zugangstunnel (oder Zugangsschacht), zwischen der Schachtkopfanlage (iii) und dem HEP (iv) über die Nebenzugangsbauwerke (Lüftungsschacht, Betriebsschacht) und zwischen dem HEP (iv) und den Lagerfeldern (i) über die Lagerfeldzugänge (Betriebs-, Bau- und (optional) Lüftungstunnel. Während die Hauptfunktionsbereiche für alle denkbaren geologischen Tiefenlager ungefähr gleich sind, können die Verbindungslängen zwischen den Hauptfunktionsbereichen abhängig von den Standortbedingungen und der gewählten Anlagenkonfiguration variieren.
Bezüglich der Fragestellung zur Länge sind nachfolgende Anordnungsprinzipien von Bedeutung:
Nach Möglichkeit sollen zwei Erschliessungspunkte an der Oberfläche vorgesehen werden. Damit ist die redundante Erschliessung der Lagerzone sichergestellt.
Zugangsbauwerke sollen nach Möglichkeit auf Lagerebene zentral in einem Haupterschliessungspunkt (HEP) zusammengeführt und der Testbereich, der Zentrale Bereich und die wichtigsten untertägigen Hilfsanlagen um diesen Punkt konzentriert angeordnet werden. Damit kann das Wirtgestein zu Gunsten der Lagerfelder geschont und die Flexibilität bei der Anordnung der Lagerfelder auf der Basis der Erkundung Untertag im Hinblick auf das Platzangebot optimiert werden und es wird eine Durchströmung der Untertagbauten auf Lagerebene verhindert. Zudem ergeben sich dadurch auch Vorteile in Bezug auf den zuverlässigen Betrieb (Gebrauchstauglichkeit) und die Betriebssicherheit (z.B. kurze Flucht- und Interventionswege)
Faktoren bezüglich Länge der Zugangsbauwerke
Die Fragen beziehen sich auf die Auswirkungen der Länge der Zugangsbauwerke aus sicherheits- und betriebs- bzw. bautechnischer Sicht. Folgende Aspekte könnten je nach Auslegung des Tiefenlagers und den standortspezifischen Rahmenbedingungen von der Länge der Zugangsbauwerke betroffen sein:
Figur 105-2 zeigt konzeptionell die prinzipielle Lageranordnung innerhalb des Wirtgesteins. Aus Sicht der Langzeitsicherheit ist die wirksame Langzeitbarriere durch Wirtgestein und Rahmengestein gegeben, die geologischen Formationen über dem Wirt- und Rahmengestein tragen nicht zur Barrierenwirkung bei. Somit spielt die Länge der Zugangsbauwerke zwischen der Oberfläche und der Lagerzone aus Sicht der Langzeitsicherheit keine Rolle.
Durch die einseitige Anbindung der Lagerfeldzugänge auf Lagerebene und die zentrale Anordnung der Zugänge auf Lagerebene werden Wasserflüsse entlang den Zugangsbauwerken durch die Lagerkammern vermieden. Zusätzlich bilden die Versiegelungsbauwerke und die Streckenverfüllungen zusätzliche Barrierenwirkung für Wasserflüsse.
Bergwasserdrainage (Grundwasserschutz)
Je nach Standort und Zugangskonfiguration müssen mit den Zugangsbauwerken zwischen der Oberfläche und der Lagerzone wasserführende Schichten durchquert werden. Dazu gehören insbesondere die Malmkalke. Durch verschiedene Massnahmen (Gebirgsinjektionen, Anpassung Linienführung, Gewölbeausbau) kann die Wasserzusickerung in den Tunnel verhindert oder beschränkt werden. Das zusickernde Bergwasser ist aus Gründen des Grundwasserschutzes und des Betriebsaufwandes (Wasserhaltung) zu begrenzen. Sind lange Strecken durch solche Formationen zu führen, erhöht sich der bau- und betriebstechnische Aufwand zur Abdichtung, was sich auf die Bau- und Betriebskosten sowie Bauzeiten auswirken (siehe Kap. „Nicht sicherheitsrelevante Aspekte“).
Die Länge durch solche wasserführende Schichten wird einerseits durch die Mächtigkeit dieser Schicht und die Zugangsvariante (Schacht oder Rampe) bestimmt: bei Schächten entspricht die abzudichtende Länge gerade der Mächtigkeit der wasserführenden Schicht, bei Rampen (mit einer maximalen Neigung von rund 12.5%) maximal der 10-fachen Mächtigkeit. Die Strecken durch die übrigen Formationen haben daher keinen massgebenden Einfluss auf die Bergwasserdrainage. Somit ist die Bergwasserdrainage im Wesentlichen von der Mächtigkeit der wasserführenden Schichten sowie der Zugangsvariante und der getroffenen Baumassnahmen als von der Gesamtlänge der Zugänge nach untertag abhängig.
Klimatische Verhältnisse (Gesundheitsschutz)
Aus Gründen des Gesundheitsschutzes sind bei Arbeiten im Untertagebau im feucht-warmen Klima (klimatische Verhältnisse am Arbeitsplatz) unter anderem die Temperaturen zu beschränken (je nach Tätigkeit und Feuchtigkeit ≤ 28°C Trockentemperatur, SUVA (2003)). Die Temperaturen in den Untertagbauwerken hängen von den natürlichen Gebirgstemperaturen [3], der Abwärme von Bau- und Betriebseinrichtungen sowie von der Lüftung ab. Die Temperatur der Luftströme entlang den Untertagbauwerke nimmt mit zunehmender Länge zu. Durch geeignete Lüftung und Klimatisierung können die geforderten maximalen Temperaturen aber auch bei langen Zugangsbauwerken eingehalten werden.
Die wichtigsten Massnahmen diesbezüglich sind:
Geeignete Luftführung (kurze Frischluftwege zu den Arbeitsstellen, Meidung von Sonderbelüftungsstrecken [4]): Das Konzept der Nagra sieht vor, dass Frischluft über einen Lüftungsschacht möglichst auf kurzem Weg in die Lagerzone (tiefster Punkt mit den höchsten Gebirgstemperaturen) geführt und dort verteilt wird. Damit wird vermieden, dass sich die kühlere Aussenluft bereits stark aufgewärmt hat, bevor die Arbeitsstellen erreicht werden. Die Luftführung erfolgt zur Hauptsache über die freien Querschnitte.
Erhöhung der Luftgeschwindigkeit (Auslegung der Lüftungsanlagen): Durch entsprechende Auslegung kann die durchschnittliche Luftgeschwindigkeit in den untertägigen Bauwerken den klimatischen Verhältnissen angepasst werden. Je grösser die Luftgeschwindigkeit desto kleiner die Temperaturerhöhung.
Kühlanlagen (Vorkühlung der einziehenden Luft an der Oberfläche, Klimaanlagen zur Kühlung der Luft an den Arbeitsstellen): Reichen die obengenannten Massnahmen nicht aus, können mit Kühlanlagen die Temperaturen an beliebiger Stelle auf die geforderten Temperaturen gekühlt werden. Dies wird in grösserer Tiefe in der Lagerzone vor allem während dem Bau teilweise notwendig werden.
Flucht- und Interventionsmöglichkeiten im Ereignisfall
Im Ereignisfall (z.B. Brand) ist die Selbstrettung (Flucht) und die Rettung (Intervention) sicherzustellen. Dazu sind vor allem sichere Flucht- und Interventionswege sowie sichere Fluchtendpunkte [5] vorzusehen. Dabei kann je nach Ort des Ereignisses die Länge des Flucht- und Interventionswegs eine wichtige Rolle spielen. Durch geeignete Auslegung (vor allem Anordnung der untertägigen Anlagen, Lüftungsführung, Betriebsvorschriften) können sichere Fluchtendpunkte und kurze Fluchtwege geschaffen werden.
In der Betriebsphase sind mindestens zwei unabhängige Zugänge von der Oberfläche in die Lagerzone vorgesehen, so dass immer mindestens ein Flucht- und Interventionsweg an die Oberfläche zur Verfügung steht.
Die vorgesehene Lagerarchitektur sieht vor, die Betriebs- und Bautunnel mit Querschlägen zu verbinden (siehe Figur 105-1). Ereignet sich ein Ereignis im einen Tunnel, können so je nach Situation zusätzlich Fluchtwege über Querschläge in den Nachbarstollen und so zum Schacht bzw. den Zugangstunnel geschaffen werden.
Standsicherheit (Geologie)
Je nach den geotechnischen und hydrologischen Bedingungen und Eigenschaften der zu durchfahrenden Formationen erhöht sich der bautechnische Aufwand für den Ausbruch und die Ausbruchsicherung, um die Trag- bzw. Standsicherheit der Schacht- und Tunnelbauwerke zu gewährleisten. Die Standsicherheit und die zu treffenden Massnahmen hängen dabei nicht von der Länge der Bauwerke, sondern von den geotechnischen und hydrologischen Eigenschaften der Schichten (z.B. Querung Störungszone) und den Bedingungen (z.B. Gebirgsspannungen) ab. Bei ungünstigen Verhältnissen erhöht sich der erforderliche bautechnische Aufwand pro Tunnel- bzw. Schachtmeter signifikant, was bei grossen Längen die Baukosten und die Bauzeit erhöht (siehe Kap. „Nicht sicherheitsrelevante Aspekte“) aber nicht sicherheitsrelevant ist.
Nicht sicherheitsrelevante Aspekte
Während in den Kapiteln „Bergwasserdrainage (Grundwasserschutz)“, „Klimatische Verhältnisse (Gesundheitsschutz)“, „Flucht- und Interventionsmöglichkeiten im Ereignisfall“ und „Standsicherheit (Geologie)“ mögliche Auswirkungen der Länge auf die Sicherheit diskutiert wurden, sind nachfolgende, von der Länge abhängige Aspekte nicht sicherheitsrelevant:
Transportdauer: mit zunehmender Länge der Zugänge erhöht sich bei gleichbleibender Transportgeschwindigkeit die Transportdauer. Dies hat einen Einfluss auf den zuverlässigen Betrieb aber keinen massgebenden Einfluss auf die Sicherheit.
Bauzeit: Mit zunehmender Länge der Untertagbauwerke erhöht sich i.d.R. die Bauzeit.
Baukosten / Betriebskosten / Verfüllkosten
Ausbruchmaterialmenge: Mit zunehmender Länge erhöht sich die Ausbruchmateriallänge, welche an der Oberfläche abtransportiert und wiederverwertet oder deponiert werden muss. Dies führt zu zusätzlichen Umweltauswirkungen aber nicht zu sicherheitsrelevanten Folgen.
Fazit
Daraus lässt sich folgendes Fazit ziehen:
Längere Zugangsbauwerke sind schwieriger zu bauen als kurze Zugangsbauwerke und bieten zusätzliche Risiken? Antwort: Die Länge der Zugangsbauwerke bestimmt die Kosten und die Bauzeit, ist aber kein massgebender Faktor in Bezug auf Schwierigkeiten und die Sicherheit.
Gibt es eine Maximallänge von unterirdischen Zugangsbauwerken, die aus sicherheitstechnischer Sicht nicht überschritten werden darf? Antwort: Für die vorgesehenen Tiefenlagerkonzepte und den herrschenden Rahmenbedingungen in allen Standortgebieten gibt es aus sicherheitstechnischer Sicht bei entsprechender Auslegung und Anordnung der Tunnel und Schächte keine Maximallängenbeschränkung. Aus Sicht der Optimierung kann je nach standortspezifischer Situation eine Beschränkung der Länge aber angebracht sein.
Falls nicht, muss man bei extrem langen Zugangsbauwerken zusätzliche Sicherheitsmassnahmen vornehmen, wie zum Beispiel zusätzliche Lüftungen oder Verschlussmöglichkeiten? Antwort: Ja. In Abhängigkeit der Länge der Schächte und Stollen sind die Anlagen und Betriebskonzepte anzupassen. Dazu gehören bspw. zusätzliche Schächte und Stollen (z.B. Parallelstollen), Vorschriften beim Betrieb oder erhöhte Lüftungsleistungen.
Referenzen
Suva (2003): Arbeitsmedizinische Prophylaxe bei Arbeiten im Untertagbau im feucht-warmen Klima, Merkblatt 2869/26.d, SUVA, 1. Auflage Februar 1996, 4. Auflage März 2003.
[1] Die Fragestellung Teil a) der Frage 105 bezieht sich nur auf Schächte. Schächte sind Untertagbauwerke mit einer geraden, vertikalen Verbindung von der Oberfläche bis auf die untere Ebene. Stollen oder Tunnel hingegen sind gerade oder gekurvte Untertagbauwerke welche horizontal bis geneigt verlaufen können. Die Frage wird daher verallgemeinert und bezieht sich somit auf Zugänge nach Untertag in Form von Schächten oder Tunnel (Stollen)
[2] Je nach Konfiguration können die Nebenzugänge auch als Rampen oder Tunnel ausgebildet sein. In dem Falle entfallen Schachtkopfanlagen und man spricht von Nebenzugangsanlagen an der Oberfläche.
[3] Die Gebirgstemperaturen nehmen in der Regel mit der Tiefe zu.