Technisches Forum Sicherheit

Frage 134: Maximale Tiefenlage hinsichtlich bautechnischer Machbarkeit

  1. Welche  Experimente  laufen zur Zeit  in Mont Terri oder andernorts,  um Aussagen  machen zu können, wie sich die Langzeitsicherheit eines Geologischen Tiefenlagers im Opalinuston verändert, wenn in grösseren Tiefen als 600 m gebaut werden musste?
  2. Inwiefern werden  die Arbeiten für das  Personal  in grösseren Tiefenlagen  schwieriger  und ge fährlicher?
  3. Inwiefern wirken sich die massiveren Verbauungen zur Stabilisierung des erhöhten Gebirgsdruckes in einer grösseren Tiefenlage (900 m statt 600 m) des Geologischen Tiefenlagers  negativ auf die Langzeitsicherheit  aus?
  4. In grösserer Tiefenlage (900 m statt 600 m) werden die Verformungen und Äuflockerungszonen um die Stollenwände grösser. Wie wirkt sich dies
    •  auf die Langzeitsicherheit  aus?
    •  auf die Abdichtungsarbeiten  aus?
    •  auf die Qualität des Bentonitmantels aus?
    •  auf die Rückholbarkeit der Abfälle aus?
Thema , , Bereich
Eingegangen am 3. Juni 2016 Fragende Instanz FG Si NL
Status beantwortet
Beantwortet am 10. März 2017 Beantwortet von

Beantwortet von Nagra

Ein geologisches Tiefenlager in grösserer Tiefe (z. B. 900 m statt 600 m) zu realisieren, ist bautechnisch möglich, aber sehr anspruchsvoll – besonders für das Personal unter Tag. Eine grosse Tiefenlage verlangt zudem einen verstärkten Ausbau mit mehr Stützmittel. Weiter ist zu berücksichtigen, dass in grosser Tiefe evtl. ein anderes Bauverfahren zur Anwendung kommt. Beides kann sich qualitativ ungünstig auf die Barrieren auswirken.

Im Rahmen der Standortwahl für geologische Tiefenlager hat die Nagra im August 2016 die Zusatzdokumentation eingereicht, die das ENSI im September 2015 verlangt und im November 2015 genauer spezifiziert hat. Mit der Zusatzdokumentation entspricht die Nagra der Forderung des ENSI, zusätzliche Analysen zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ (dieser definiert die maximale Tiefenlage) vorzulegen. Die Frage der maximalen Tiefenlage ist insbesondere relevant für die Beurteilung, ob das Standortgebiet Nördlich Lägern in Etappe 3 weiter untersucht werden soll. Mit der Zusatzdokumentation zum Indikator der Tiefenlage werden auch die Fragen der TFS-Frage 134 abgedeckt. Deshalb wird bei der Beantwortung häufig auf die Zusatzdokumentation verwiesen. Es handelt sich um folgende Berichte:

  • Arbeitsbericht NAB 16-41, ENSI-Nachforderung zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ in SGT Etappe 2, Zusammenfassende Darstellung der Zusatzdokumentation (Hauptbericht), Juli 2016
  • Arbeitsbericht NAB 16-42, ENSI-Nachforderung zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ in SGT Etappe 2, Prüfung der Lager- und Barrierenkonzepte, Juli 2016
  • Arbeitsbericht NAB 16-43, ENSI-Nachforderung zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ in SGT Etappe 2, Geomechanische Unterlagen, Juli 2016
  • Arbeitsbericht NAB 16-44, ENSI-Nachforderung zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ in SGT Etappe 2, Standortspezifische geologische Modelle und geologische Gefährdungsbilder, Juli 2016
  • Arbeitsbericht NAB 16-45, ENSI-Nachforderung zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ in SGT Etappe 2, Projektkonzepte für die Lagerkammern und Versiegelungsstrecken und deren Bewertung, Juli 2016
  • Arbeitsbericht NAB 16-46, ENSI-Nachforderung zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ in SGT Etappe 2, Vortriebs- und Sicherungskonzepte für die Profile F, K09, K04, K04a und D (ergänzende Unterlagen zu NAB 16-45)

Die Berichte können auf der Website der Nagra unter http://www.nagra.ch/de/cat/publikationen/arbeitsberichte-nabs/nabs-2016/downloadcenter.htm heruntergeladen werden.

a)

Experimente zu den bautechnischen Eigenschaften des Opalinustons zählen zu den grundlegenden Untersuchungen, sowohl im Felslabor Mont Terri als auch im Felslabor Bure (Frankreich). Zur Beurteilung der maximalen Tiefenlage müssen repräsentative geomechanischen Kennwerte des Gebirges und die erwarteten In-situ-Spannungsverhältnisse als Grundlage für die Modellrechnungen zur bautechnischen Tiefenlage bestimmt werden. Diese beruhen auf einer Vielzahl von Labor- und In-situ-Versuchen. So wurden ein- und triaxiale Druckversuche sowie Ödometerversuche durchgeführt, um die effektiven Festigkeitsparameter und die elastischen Eigenschaften des Opalinustons zu ermitteln. Aufgrund der Erfahrungen im Felslabor Mont Terri ist das anisotrope und zeitabhängige Gebirgsverhalten bekannt, was sich vor allem bei schichtparalleler Auffahrung in verstärkten Ablösungen und Deformationen normal zur Schichtung auszeichnet. Allerdings müssen die gewonnen Daten bezüglich der Übertragbarkeit der geomechanischen Untersuchungen aus dem Felslabor Mont Terri auf die Standortgebiete in der Nordschweiz diskutiert werden. Grundlegende Überlegungen zur Übertragbarkeit der geomechanischen Kenntnisse aus dem Felslabor Mont Terri wurden im NTB 14-02 Dossier IV aufgeführt. Im Rahmen der Zusatzdokumentation (NAB 16-43) wurde diese Diskussion vertieft, indem die konzeptuellen und parametrischen Ungewissheiten (Konsolidierungszustand, tektonische Überprägung, mineralogisch-lithologische Ausbildung des Opalinustons in den vorgeschlagenen Standortgebieten) aufgezeigt wurden.

Im Felslabor Mont Terri wurde in der Vergangenheit eine Vielzahl von Experimenten zu den bautechnischen Eigenschaften des Opalinustons durchgeführt. Eine ausführliche Zusammenstellung der relevanten Experimente ist in NAB 14-87 (Kap. 4) zu finden. Derzeit erlaubt das laufende FE-Experiment (Full Emplacement) Beobachtungen zum Langzeitverhalten des Opalinustons. Bei der geplanten Erweiterung des Felslabors besteht die Möglichkeit, weitere Proben zu entnehmen und weitere Messungen durchzuführen.

Ausserhalb des Felslabors Mont Terri hat die Nagra Zugang zu gewonnen Daten Dritter und tauscht sich u.a. mit der staatlichen französischen Gesellschaft zur Entsorgung radioaktiver Abfälle (ANDRA) regelmässig aus. Seit 2000 betreibt die ANDRA ein Felslabor in Bure, um In-situ-Daten des Gebirgsverhaltens zu gewinnen. An diesem Standort ist das künftige geologische Tiefenlager von Frankreich im Wirtgestein Callovo-Oxfordian-Tonstein in ca. 500 m Tiefe u.T. geplant.

Darüber hinaus wurden beim Bau verschiedener Verkehrstunnel im Schweizer Jura wichtige Erfahrungen bezüglich den bautechnischen Eigenschaften des Opalinustons gewonnen. Der zwischen 1911 und 1916 erbaute Grenchenberg Tunnel durchfährt den Opalinuston bei einer Überdeckung von 700 bis 800 m. Bau- und betriebstechnische Probleme und Massnahmen wurden seit Inbetriebnahme des Tunnels ausführlich dokumentiert und in der Fachwelt als Fallstudie diskutiert. Wichtige Referenzen zu den beim Bau der Jura-Tunnel gesammelten Erfahrungen sind in NTB 14-02 Dossier IV und in NAB 14-87 sowie NAB 16-44 erwähnt.

Wertvolle Erkenntnisse zu den geomechanischen Kennwerten des Opalinustons erwartet die Nagra schliesslich aus den geplanten Tiefbohrungen in den Standortregionen.

Für detailliertere Informationen siehe NTB 14-02 Dossier IV; NAB 14-87, Kap. 4; NAB16-41, Kap. 4; NAB 16-43; NAB 16-44; NAB 16-46, Kap. 2.

b)

In grösserer Tiefe kommt es zu grösseren Deformationen des Gesteins an der Stollen-Kontur und es besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Gesteinsablösungen. Die mögliche Gefährdung von Personen durch Gesteinsablösungen muss bei der Wahl des Bauvorgangs bzw. des Vortriebs berücksichtigt werden; ebenso ist die Staubentwicklung zu berücksichtigen – es dürfen keine Kompromisse bzgl. Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz eingegangen werden. Dies bedeutet jedoch, dass in grösserer Tiefe evtl. die bevorzugte Vortriebsmethode nicht verwendet werden kann, was einen Einfluss auf die Bedingungen im Nahfeld haben kann.

Mit zunehmender Tiefe steigt die Gebirgstemperatur, was Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen hat und erhöhte Anforderungen an die Lüftung stellt. In der Nordschweiz muss in Tiefen um 700 m mit Gebirgstemperaturen im Bereich von 40° C gerechnet werden, in Tiefen von 900 m liegen sie im Bereich von 48° C.

Für detailliertere Informationen siehe NAB 16-41, Kap. 4, Kap. 5, Anhang A.1 und A.2.

c)

Eine grosse Tiefenlage eines geologischen Tiefenlagers verlangt einen verstärkten Ausbau mit mehr Stützmittel. Weiter ist zu berücksichtigen, dass in grosser Tiefe evtl. ein anderes Bauverfahren zur Anwendung kommt. Beides kann sich qualitativ ungünstig auf die Barrieren auswirken:

  • Der verstärkte Ausbau kann in Verbindung mit Rissbildung eher zu verbundenen Transportpfaden längs der Lagerstollen führen. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn in grosser Tiefe die Möglichkeit für Zwischensiegel ungünstiger wird. Weiter führt ein verstärkter Ausbau zu mehr Einsatz von Beton, was ein vergrössertes Reservoir an Zementporenwasser (hoch-pH-Porenwasser, Ca-Porenwasser) bedeutet. Dies ist grundsätzlich in Hinblick auf die Veränderung des Bentonits nachteilig.
  • Eine grosse Mächtigkeit des Spritzbetons könnte langfristig Umwandlungen im Bentonit bewirken (Umwandlung von Na-Bentonit in Ca-Bentonit). Dies ist dann ungünstig, wenn die Bentonitdichte wegen ungünstiger Einbaubedingungen reduziert ist. Dies, weil in der Zone, wo Na-Bentonit in Ca-Bentonit umgewandelt wird, der Ca-Bentonit einen deutlich niedrigeren Quelldruck aufweist als Na-Bentonit. Weiter kann das Porenwasser mit hohem pH zu einer Mineralumwandlung führen, was auch das Quellvermögen reduziert. Eine reduzierte Bentonitqualität kann evtl. einen Einfluss auf die Behälter haben.
  • Bei dem in grosser Tiefenlage zur Anwendung kommenden Bauvorgang bestehen sehr beschränkte Möglichkeiten, loses Material an der Tunnelkontur zu entfernen und Hohlräume spezifisch zu bearbeiten – dies ist nachteilig für die Langzeitentwicklung der Auflockerungszone.
  • Bei Versiegelungsstrecken wird ein direkter Kontakt zwischen Versiegelungsmaterial und Wirtgestein zumindest über eine beschränkte Strecke angestrebt. Damit wird ein Wasserfluss durch den sonst vorhandenen Ausbau verhindert. Der Einbau von Stahlbögen als Primärstützung im Bereich der Versiegelungsstrecken ist 900 m u. T. aber nicht mehr vernünftig machbar, wodurch der Unterbruch der Längsläufigkeit nicht umgesetzt und ein Stofftransport entlang der Stollen nicht ausgeschlossen werden kann.

Für detailliertere Informationen siehe NAB 16-41, Kap. 5; NAB 16-42, Kap. 4.

d)

Verformungen und Auflockerungszone in grösserer Tiefe wirken sich wie folgt aus auf

  • die Langzeitsicherheit: Verformungen können zu einer Längsläufigkeit entlang der Lagerstollen führen (Auflockerungszone, Wirksamkeit Zwischensiegel/Versiegelung); weiter kann die Selbstabdichtung im Opalinuston durch eine erhöhte Porosität beeinträchtigt werden (Wasserführung), was auch zu mikrobieller Aktivität führen kann;
  • die Abdichtung: Bei Versiegelungsstrecken wird ein direkter Kontakt zwischen Versiegelungsmaterial und Wirtgestein angestrebt, in grossen Tiefen kann die Längsläufigkeit entlang der Stollen aber nicht mehr zuverlässig unterbrochen werden (s. Teilfrage c);
  • die Qualität der Bentonitverfüllung: In grosser Tiefe sind die Einbaubedingungen ungünstiger (loses Material, Hohlräume), was zu einer reduzierten Einbaudichte des Bentonits mit reduziertem Quelldruck führen kann. Dies ist ungünstig für die Transporteigenschaften (Diffusion) und kann im Extremfall mikrobielle Aktivität zulassen. Weiter ist zu beachten, dass ein hoher Quelldruck die Selbstabdichtung des Opalinustons in der Auflockerungszone begünstigt;
  • die Rückholbarkeit: Durch die verstärkt auftretenden Deformationen werden die Bedingungen für die Rückholung anspruchsvoller, aber nicht verunmöglicht.

Für detailliertere Informationen siehe NAB 16-41, Kap. 5; NAB 16-45, Kap. 5.