Technisches Forum Sicherheit

Frage 154: Störfallbedingte Strahlenbelastungen bei einem geologischen Tiefenlager

  1. Tritt ein sehr schwerwiegender Störfall oder Unfall in einem geologischen Tiefenlager oder in dessen Infrastruktur auf, welches sind dann die höchstmöglichen Strahlenbelastungen, denen die Bevölkerung kurz- und langfristig in der näheren Umgebung oder in weiter entfernten Regionen bzw. die verpflichteten Personen vor Ort ausgesetzt sind?
  2. Welche höchstmöglichen Strahlenbelastungen können verpflichtete Personen bei einem Störfall vorfinden?
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Eingegangen am 19. November 2020 Fragende Instanz FG Si NL
Status beantwortet
Beantwortet am 25. März 2021 Beantwortet von

Beantwortet von ENSI

Die strengen Vorgaben der Schweizer Gesetzgebung sorgen dafür, dass auch bei schweren Störfällen in einer Kernanlage die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt klein bleiben. Bei Störfällen, die mit einer Häufigkeit zwischen 10-2 und 10-4 pro Jahr zu erwarten sind, darf die aus einem einzelnen Störfall resultierende Dosis für Personen aus der Bevölkerung höchstens 1 mSv betragen. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Dosis pro Person beträgt für die Schweizer Bevölkerung rund 5 mSv pro Jahr.

Die gesetzlichen Grundlagen zu Störfallanalyse und Notfallschutz wurden bereits in der Antwort zur Frage 111 behandelt.

Artikel 8 der Kernenergieverordnung (KEV) legt die Anforderungen an den Schutz gegen Störfälle fest. So sind bei Kernanlagen Schutzmassnahmen gegen Störfälle mit Ursprung innerhalb oder ausserhalb der Anlage zu treffen. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation hat die Gefährdungsannahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen in einer Verordnung festgelegt. Die Nagra hat im Entsorgungsnachweis (Nagra 2002, Kapitel 6.3.3) das Vorgehen dargelegt, wie sie die Sicherheit bei Störfällen nachweisen wird. Die Nagra hält in NTB 13-01 fest: «Die Oberflächenanlage soll so ausgelegt werden, dass auch bei Störfällen mit kleiner Eintretenshäufigkeit (kleiner als 10-4 pro Jahr) eine erhebliche Freisetzung von Radioaktivität ausgeschlossen werden kann, und die resultierende Dosis für nichtberuflich strahlenexponierte Personen unter 1 mSv liegt.» (Nagra 2013, Seite 32). Die Nagra wird für die Betriebsbewilligung systematische Störfallanalysen durchführen, die Aufschluss über die radiologischen Folgen Aufschluss geben.

Die behördlichen Vorgaben hinsichtlich radiologischer Folgen aus Störfällen sehen im Detail wie folgt aus:

  • Als Störfälle mit Ursprung innerhalb der Anlage gelten insbesondere Reaktivitätsstörung, Kühlmittelverlust, Verlust der Wärmesenke, Brand, Überflutung, mechanische Einwirkungen infolge Komponentenversagen, Beschädigung von Hüllrohren bei der Handhabung von Brennelementen, Versagen von Betriebssystemen, unerwünschtes Ansprechen oder fehlerhaftes Funktionieren von Sicherheitssystemen und Fehler des Personals.
  • Als Störfälle mit Ursprung ausserhalb der Anlage gelten insbesondere Störfälle, die ausgelöst werden können durch Erdbeben, Überflutung, unfallbedingten Absturz von zivilen und militärischen Flugzeugen auf die Anlage, Sturmböen, Blitzschlag, Druckwelle, Brand, Verlust der externen Stromversorgung und Beeinträchtigung oder Unterbruch der externen Kühlwasserzufuhr.

a)

Für die Auslegung einer Kernanlage ist bei den durch Naturereignisse ausgelösten Störfällen jeweils von einem Naturereignis mit einer Häufigkeit von 10-3 pro Jahr sowie einem Naturereignis mit einer Häufigkeit von 10-4 pro Jahr auszugehen. Zusätzlich zum auslösenden Naturereignis ist ein unabhängiger Einzelfehler anzunehmen.

Es ist nachzuweisen, dass die aus einem einzelnen solchen Störfall resultierende Dosis für Personen aus der Bevölkerung bei einer Ereignishäufigkeit von 10-3 pro Jahr höchstens 1 mSv beträgt und bei einer Ereignishäufigkeit von 10-4 pro Jahr höchstens 100 mSv beträgt.

Mittels probabilistischer Nachweise ist zu zeigen, dass auch ein ausreichender Schutz gegen auslegungsüberschreitende Störfälle besteht. Die vorbeugenden und lindernden Vorkehren können dabei berücksichtigt werden.

Für die Auslegung einer Kernanlage sind die Störfälle und die nicht durch Naturereignisse ausgelösten Störfälle nach den in Artikel 123 Absatz 2 Strahlenschutzverordnung (StSV) bestimmten Häufigkeiten einzuteilen. Dabei ist zusätzlich zum auslösenden Ereignis ein unabhängiger Einzelfehler anzunehmen. Es ist nachzuweisen, dass die Dosen nach Artikel 123 Absatz 2 StSV eingehalten werden können.

Der Betrieb muss so ausgelegt sein, dass die folgenden Anforderungen erfüllt sind:

  1. Bei Störfällen, die mit einer Häufigkeit von mehr als 10-1 pro Jahr zu erwarten sind, müssen die in der Bewilligung festgelegten quellenbezogenen Dosisrichtwerte eingehalten werden können.
  2. Bei Störfällen, die mit einer Häufigkeit zwischen 10-1 und 10-2 pro Jahr zu erwarten sind, darf der einzelne Störfall keine zusätzliche Dosis zur Folge haben, welche die entsprechenden quellenbezogenen Dosisrichtwerte überschreitet.
  3. Bei Störfällen, die mit einer Häufigkeit zwischen 10-2 und 10-4 pro Jahr zu erwarten sind, darf die aus einem einzelnen Störfall resultierende Dosis für Personen aus der Bevölkerung höchstens 1 mSv betragen.
  4. Bei Störfällen, die mit einer Häufigkeit zwischen 10-4 und 10-6 pro Jahr zu erwarten sind, darf die aus einem einzelnen Störfall resultierende Dosis für Personen aus der Bevölkerung höchstens 100 mSv betragen; die Bewilligungsbehörde kann im Einzelfall eine tiefere Dosis festlegen.

b)

Artikel 134 der StSV legt die Referenzwerte für verpflichtete Personen fest. In Notfall-Expositionssituationen gilt für verpflichtete Personen ein einsatzbedingter Referenzwert von 50 mSv pro Jahr. Der Bundesstab Bevölkerungsschutz kann beim Bundesrat situationsspezifisch tiefere Referenzwerte für bestimmte Tätigkeiten der verpflichteten Personen beantragen. Zur Rettung von Menschenleben, zur Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden durch Strahlung oder um Katastrophen abzuwenden, gilt ein Referenzwert von 250 mSv pro Jahr.

Referenzen

Nagra (2002): Projekt Opalinuston: Konzept für die Anlage und den Betrieb eines geologischen Tiefenlagers – Entsorgungsnachweis für abgebrannte Brennelemente, verglaste hochaktive sowie langlebige mittelaktive Abfälle. Nagra Technischer Bericht NTB 02-02

Nagra (2013): Standortunabhängige Betrachtungen zur Sicherheit und zum Schutz des Grundwassers. Grundlagen zur Beurteilung der grundsätzlichen Bewilligungsfähigkeit einer Oberflächenanlage für ein geologisches Tiefenlager. Nagra Technischer Bericht NTB 13-01