Technisches Forum Sicherheit

Frage 73: Unabhängigkeit und Fachkompetenz des Kontrollbehörde ENSI

Die Schweizer Atomaufsicht weist strukturelle Schwächen auf. Die Nagra sollte vom ENSI (Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat), der KNS (Kommission für nukleare Sicherheit) und der KNE (Kommission Nukleare Entsorgung) kontrolliert werden. Die KNE wurde im Dezember 2011 zu einer Expertengruppe reduziert. Die KNS ist viel zu klein und hat zu wenig Mittel, um eine echte Kontrolle zu gewährleisten. Zudem hat sie nur beratende Funktion, sprich keine Entscheidungskompetenz. Es fehlt also eine Zweitmeinung, die dem ENSI wissenschaftlich Paroli bieten kann. Das ENSI kann als einzige Aufsichtsbehörde mit Entscheidungskompetenz konkurrenzlos und eigenmächtig darüber entscheiden, ob ein Atommülllager sicher ist oder nicht. Die Nähe zur Nagra und zur Atomindustrie ist dabei problematisch: Die Unabhängigkeit des ENSI-Rats ist bereits durch die Affäre Peter Hufschmied in die Kritik geraten, weil dieser ein Geschäftsverhältnis zur BKW hat. Hufschmied ist mittlerweile zurückgetreten. Auch Horst-Michael Prasser ist am 2. November 2011 zurückgetreten. Der ETH-Professor verletzte eindeutig die gesetzlichen Anforderungen, denn sein Lehrstuhl wird von der Swissnuclear, der Vereinigung der Schweizer AKW-Betreiber, bezahlt. Der ENSI-Rat wurde Ende November 2011 neu gewählt. Es bleibt zu hoffen, dass dieser in seiner neuen Zusammensetzung der notwendigen Unabhängigkeit gerecht werden kann.

Wie können die Kontrollbehörden ihren Aufgaben nachkommen, wenn sie weder stark genug noch unabhängig sind?

Thema Bereich
Eingegangen am 9. Februar 2012 Fragende Instanz SES
Status beantwortet
Beantwortet am 14. September 2012 Beantwortet von

Beantwortet von BFE

Bezüglich Unabhängigkeit des ENSI und der Struktur der Atomaufsicht hat der Bundesrat im Jahr 2011 zahlreiche Vorstösse beantwortet (z. B. 11.3913, 11.3816, 11.3772, 11.3771, 11.3520, 11.3249, 11.3250, 11.3164). Diese sind abrufbar in der Curia-vista-Datenbank unter und den entsprechenden Geschäftsnummern.

Das ENSI ist mit allen zur Erfüllung seiner Aufgabe nötigen fachlichen Kompetenzen und rechtlichen Befugnissen ausgestattet. Seine Unabhängigkeit ist gesetzlich verankert. Es ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes mit eigener Rechtspersönlichkeit. Das ENSI untersteht der Aufsicht des Bundesrates.

Das ENSI verfügt neben der Geschäftsleitung auch über ein strategisches Organ, den ENSI -Rat. Dieser amtet ebenfalls als internes Aufsichtsorgan. Die Mitglieder des ENSI -Rates dürfen weder eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben noch ein eidgenössisches oder kantonales Amt bekleiden, welche geeignet sind, ihre Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Von den derzeit rund 140 Angestellten des ENSI arbeiteten vorher weniger als 10% in einer vom ENSI beaufsichtigten Anlage oder bei der Nagra; rund ein Drittel der Belegschaft stammt aus dem Ausland.

Die Aufsicht über die Sicherheit der Kernanlagen in der Schweiz liegt in der Verantwortung einer einzigen Behörde – dem ENSI. Dies ist kein struktureller Mangel, sondern im Gegenteil eine zwingende Voraussetzung für die effektive Durchsetzung der Schutzinteressen der Bevölkerung. Wo immer grosse Risiken und komplexe Sachverhalte im Spiel sind – z. B. bei der Flugsicherung, bei der Finanzmarktaufsicht oder bei der Lebensmittelsicherheit – kann es nur eine massgebliche Aufsichtsinstanz geben. Die Aufteilung der Verantwortung auf mehrere, mit gleichwertigen Kompetenzen und Befugnissen ausgestatteten Aufsichtsinstanzen wäre der nuklearen Sicherheit nicht förderlich, sondern würde im Gegenteil das Risiko mit sich bringen, dass die Sicherheitsaufsicht generell beeinträchtigt und schlimmstenfalls in einer Notsituation handlungsunfähig wäre. Hingegen wurde im schweizerischen System der Nuklearaufsicht vom Gesetzgeber eine institutionalisierte Zweitmeinung zu grundsätzlichen Fragen der nuklearen Sicherheit vorgesehen. Die Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) steht dem Bundesrat, dem UVEK und dem ENSI als unabhängiges beratendes Organ zur Verfügung.