Technisches Forum Sicherheit

Frage 109: Keramik Kanister für HAA-Abfälle

Keramik Kanister für HAA: Die Deutsche Gesellschaft SICERAM publiziert einen neuen Katalog mit Keramik Kanistern als „inliner“ oder „overpack“ klassischer Stahlkanister zur Endlagerung von HAA aller Art. Die Dimensionen entsprechen nunmehr den Dimensionen der Brennstäbe und der Glaskokillen. Das Material ist chemisch kompatibel mit einer geochemisch „sauren“ Umgebung, namentlich in Bentonit und Ton. Die mechanische Stabilität (v.a. die Elastizität) ist vermutlich im Vergleich zu Stahl geringer. Hingegen ist bei Wasserzutritt keine H2-Bildung zu erwarten.

  1. Sind sich Nagra und die Sicherheitsbehörde der raschen Entwicklung auf dem Gebiet des Keramik Technologie bewusst?
  2. Werden die vorliegenden neuen Produkte getestet und evaluiert für das CH-Entsorgungsprogramm?
Thema , Bereich
Eingegangen am 6. Februar 2014 Fragende Instanz Fragen aus der Bevölkerung
Status beantwortet
Beantwortet am 8. März 2016 Beantwortet von ,

Beantwortet von ENSI

Bei den hochaktiven Abfällen (HAA – verbrauchte Brennelemente und verglaste Spaltproduktlösungen aus der Wiederaufarbeitung) stammt nahezu die gesamte Menge der produzierten Korrosionsgase von den Lagerbehältern aus (Kohlenstoff-) Stahl. Als Massnahme zur Reduktion der produzierten Gasmenge im HAA-Lager steht die Verwendung alternativer Behältermaterialien wie Kupferummantelung oder keramische Werkstoffe im Vordergrund.

a)

Im Rahmen des Behördenprojekts „Abfallbewirtschaftung im Vergleich“ (ENSI 33/188 Forschungsprogramm „Radioaktive Abfälle“ der Arbeitsgruppe des Bundes für die nukleare Entsorgung – Abfallbewirtschaftung im Vergleich) hat sich die Projektgruppe u. a. mit dem Thema alternativer Behältermaterialien für die geologische Tiefenlagerung hochaktiver Abfälle (HAA) auseinandergesetzt. Bezüglich der Anwendung keramischer Werkstoffe fand dazu ein Fachgespräch mit Experten der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt EMPA statt (T. Graule, J. Kübler, Labor für Hochleistungskeramik). Im Gespräch äusserten sich die Experten vorderhand vorsichtig bezüglich der Möglichkeit von keramischen Lagerbehältern für hochaktive Abfälle.

Die Entwicklung von keramischen Komponenten geht heute eher in Richtung „Funktionalität“ und weniger in Richtung „Struktur“. Dabei weisen keramische Werkstoffe im Vergleich zu Kohlenstoffstahl in Hinblick auf HAA-Lagerbehälter gewisse vorteilhafte Eigenschaften auf: Inertes Material, ähnliche Eigenschaften wie die Umgebung, wenige störende Wechselwirkungen mit der Umgebung, hohe Korrosionsbeständig, d. h. keine Produktion von Korrosionsgas im geologischen Tiefenlager, keine Widerverwertbarkeit des Materials bzw. geringer Materialwert. Gegen die Verwendung von Keramik als Lagerbehälter für BE/HAA sprechen insbesondere die hohen Herstellungskosten, die anspruchsvolle Fertigungs- und Fügetechnik (Verschluss), die fehlende plastische Deformierbarkeit und die geringe Schadenstoleranz auf lokale Spannungen bei der Herstellung. Die Experten sehen deshalb eher die Möglichkeit einer Kombination verschiedener Behältermaterialien – wobei Keramik eines dieser Materialien sein könnte.

Die Nagra ihrerseits hat bereits in den achziger Jahren beim Kernforschungszentrum Karlsruhe eine Studie zum unterkritischen Risswachstum in Keramik in Auftrag gegeben (Nagra Technische Berichte NTB 85-51, NTB 87-09 und NTB 89-13), denn damals war keramisches (Matrix-) Material für die Verfestigung hochaktiver Spaltproduktlösungen an internationalen Konferenzen immer ein bedeutendes Thema. Ferner hat das Lawrence Livermore National Laboratory in den neunziger Jahren umfassende Arbeiten zur Herstellung von keramischen Behältermaterialien für radioaktive Abfälle in den USA durchgeführt (Wilfinger 1994).

Der Projektbericht „Abfallbewirtschaftung im Vergleich“ schliesst mit der Empfehlung an die Entsorgungspflichtigen, die Arbeiten im Hinblick auf eine vertiefte Auswertung und sicherheitstechnische Beurteilung bezüglich der Verwendung von alternativen Materialien (dazu gehört auch Keramik bzw. keramische Verbundstoffe) bei der Herstellung von HAA-Lagerbehälter weiter zu führen und dabei die Bedingungen des schweizerischen Entsorgungskonzepts angemessen zu berücksichtigen. Die Ergebnisse der entsprechend zu planenden Untersuchungen sind im Entsorgungsprogramm 2016 durch die Entsorgungspflichtigen zu dokumentieren.

Referenzen

ENSI 33/188 Forschungsprogramm „Radioaktive Abfälle“ der Arbeitsgruppe des Bundes für die nukleare Entsorgung – Abfallbewirtschaftung im Vergleich

NTB 85-51: Determination of crack growth parameters of alumina in 4-point bending tests. T. Fett, K. Keller and D. Munz. Wettingen, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle.

NTB 87-09: Subcritical crack growth in high-grade alumina for container applications. T. Fett, W. Hartlieb, K. Keller and D. Munz. Wettingen, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle.

NTB 89-13: Subcritical crack growth in hot-isostatically postcompacted high-grade alumina. T. Fett, W. Hartlieb, K. Keller, D. Munz and W. Rieger. Wettingen, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle.

Wilfinger, K. (1994). Ceramic Package Fabrication for YMP Nuclear Waste Disposal, Lawrence Livermore National Laboratory.

Beantwortet von Nagra

Die von der Firma SiCeram vorgeschlagenen Behälterkonzepte sind der Nagra bekannt. Die Nagra ist auch bei der Entwicklung und Bewertung der Möglichkeiten von vorhandenen Technologien aktiv. Der heutige Stand der Technik ist aber derzeit zu wenig fortgeschritten für die Herstellung, Abdichtung und Inspektion von dickwandigen Keramikbehältern in der erforderlichen Grösse.

a)

Die Nagra beteiligt sich aktiv an Machbarkeitsstudien zu Keramikbehältern für die geologische Tiefenlagerung von BE und HAA und verfolgt auch die Fortschritte von anderen Entsorgungsprogrammen in diesem Bereich. Konkret beteiligt bzw. beteiligte sich die Nagra an den  folgenden Projekten:

  • 2007-2012: Forschungsprojekt zusammen mit der Andra (Frankreich) für die Entwicklung von Al2O3-SiO2 HAA-Behältern [1].
  • 2012: Erste Machbarkeitsstudie in Zusammenarbeit mit der EMPA zur Verwendung von Keramikmaterialien und Keramikbeschichtungen für BE/HAA Lagerbehälter [2].
  • 2013-2014: Zweite Machbarkeitsstudie in Zusammenarbeit mit der EMPA. Betrachtung eines breiten Spektrums von möglichen Behälterauslegungen und Behälterwerkstoffen, inkl. Keramik. Während des Projekts hat das Nagra-EMPA-Team die Firma SiCeram mehrmals besucht, um das Thema „Keramikbehälter für BE/HAA“ vertieft zu diskutieren. Das Team hat in dieser Zeitspanne auch die TU Dresden besucht; welche eine Lösung für die Abdichtung der SiC-Behälter mittels Laserschweissen und Lötmittel aus Y2O3/Al2O3/SiO2 entwickelt hat. Ebenfalls in dieser Zeitspanne fanden Besprechungen bei CeramTek (Tschechische Republik), ESKCeramics GmbH, FCT Hartbearbeitungs GmbH, HC Starck Ceramics GmbH und Technical Ceramics Haldenwanger (Morgan Advanced Materials) statt [3].
  • 2016: Treffen mit Ceramic Technologies LLC geplant, um Informationen über den Stand der Technik zu erhalten und eine mögliche Zusammenarbeit abzuklären.

b)

Die Ergebnisse der oben genannten Forschungsprojekte und Zusammenarbeiten mit nationalen sowie internationalen Fachleuten haben zu einem fundierten Verständnis der heute verfügbaren Keramiktechnologien für die Fertigung von Grossbehältern geführt. Bei der Anwendung von Keramikmaterialien ist keine Gasbildung unter Lagerbedingungen zu erwarten, was vorteilhaft ist hinsichtlich einer allfälligen Beeinträchtigung der Radionuklid-Rückhaltung im Wirtgestein (Gasdruckaufbau im Nahfeld, unter unrealistischen Annahmen Bildung von dilatanten Gaspfaden im Wirtgestein). Trotz dieses Vorteils kommt die Nagra zum Schluss, dass für bedeutende Schwachstellen noch Lösungen gefunden werden müssten, falls Keramikbehälter für BE/HAA als ernsthafte Option in Betracht gezogen werden sollen:

  • Der heutige Stand der Technik ist zu wenig fortgeschritten für die Herstellung von dickwandigen Keramikbehältern in der erforderlichen Grösse. Intensive Forschungsarbeiten müssten durchgeführt werden, um eine technologische Reife zu erzielen. Insbesondere sind die Press- und Brennofenkapazitäten weltweit beschränkt; dies gilt auch für die benötigten Anlagen und Erfahrungen zur Handhabung von Grossbehältern im niedrigfesten ‚grünen‘  (ungesinterten) Zustand. Das Fehlen einer geeigneten Fertigungstechnik ist vor allem auf eine fehlende industrielle Nachfrage für sehr grosse Keramikkomponenten zurückzuführen. BE/HAA-Behälterprototypen konnten aber im halbtechnischen Massstab angefertigt werden.
  • Bedenken existieren im Hinblick auf die Erreichbarkeit der Dichte- und Porositätslimits für eine Wandstärke von ≥ 50 mm, die für die Sicherstellung der mechanischen Integrität und der Auslaugbeständigkeit unter Lagerbedingungen erforderlich sind.
  • Keramikwerkstoffe verfügen über ungünstige mechanische Eigenschaften (geringe Zugfestigkeit, sehr niedrige Bruchzähigkeit). Diese Eigenschaften sind auch variabel und grössenabhängig (niedriger Weibull-Modul).
  • Derzeit gibt es keine Technologien für die Abdichtung von keramischen Lagerbehältern mit gewünschter Wandstärke , welche die thermischen Anforderungen bzgl. Erhalt der Integrität der BE bzw. der Glasmatrix erfüllen (BE: < 400°C, HAA: < 450°C).
  • Es besteht derzeit keine Erfahrung bei der Schweissnahtprüfung für die erforderliche Wandstärke. Vorhandene Technologien müssten deutlich verbessert werden.
  • Die Lösung von SiCeram besteht aus einem SiC-Inliner mit einem Überbehälter aus Metall. Dabei entfällt der Vorteil der geringen Gasbildung; daher ist diese Lösung aus Sicht der Sicherheit keine valable Option.

Um diese Mängel zu beheben, sind erhebliche Investitionen erforderlich (in der Grössenordnung von 100 M€). Der Erfolg eines solchen Forschungs- und Entwicklungsprogramms ist keineswegs gesichert. Aus heutiger Sicht könnte das Resultat sein, dass Lösungen ausschliesslich für die kleineren HAA-Behälter vorliegen; letztere machen aber nur einen kleinen Anteil an der Gesamtzahl der benötigten Behälter aus. Deshalb ist es fraglich, ob die hohen Investitionskosten vertretbar sind angesichts der Tatsache, dass andere Lösungen und Materialien mit unwesentlicher Gasbildung schon verfügbar und technologisch ausgereift sind. Aus diesen Gründen wird die Nagra auf die Entwicklung von Metallbehältern fokussieren, wird aber weiterhin die Fortschritte in der Keramiktechnologie verfolgen.

Referenzen

[1] Andra, 2013. Summary report of the preliminary feasibility study for ceramic HLW overpacks (2007-2012). Andra Technical Document CG.RP.ASCM.13.0023.

[2] S.R. Holdsworth, 2013. Ceramic material solutions for nuclear waste disposal canisters. Nagra Arbeitsberich NAB 12-45.

[3] S.R. Holdsworth, T. Graule, E. Mazza, 2014. Feasibility evaluation study of candidate canister solutions for the disposal of spent nuclear fuel and high level waste. A status review. Nagra Arbeitsbericht NAB 14-90.