a)
Diese spekulative Frage kann aktuell nur wissenschaftsphilosophisch beantwortet werden. Die Situation und die Bedingungen in der fernen Zukunft können kaum abgeschätzt werden, man darf aber spekulieren, dass
- sich über diesen Zeitraum hinweg eher strahlenresistentere Bewohner der Erde evolutiv selektionieren werden – dies aufgrund der kosmischen und terrestrischen Strahlenbelastung, der wir ständig ausgesetzt sind (Bsp. Iliakis et al. 2019, Ludovici et al. 2022, Hoffmann et al. 2000).
- der Wissensstand über die Reaktionen des Menschen auf die Strahlenbelastung aber auch auf die entsprechenden Konsequenzen quantitativ und qualitativ-mechanistisch weiter ansteigen wird. Desgleichen können wir davon ausgehen, dass das Wissen und die Sensibilisierung auf allfällig notwendige zusätzliche (rein spekulativ) Adaptationen an die bereits vorhanden Schutzmechanismen sich ebenfalls weiter entwickeln werden (Pinker 2018).
Vergleicht man die in Kernanlagen gemessenen Energiebereiche der Strahlungen mit jenen aus natürlichen radioaktiven Quellen, stellt man fest, dass die Energiebereiche der α-, β- und γ-Strahlung in Kernanlagen im Bereich der radioaktiven Strahlung aus natürlichen Quellen liegen. Tatsächlich treten insbesondere bei der kosmischen Strahlung, die unter anderem bei der Strahlenexposition von Flugreisenden eine Rolle spielt, deutlich höhere Energien auf. Für das Gesundheitsrisiko ausgehend von ionisierender Strahlung ist die absorbierte Dosis, d.h. absorbierte Energie pro Masse von Bedeutung und nicht nur die Energie.
In der Richtlinie ENSI G03 wird unter 4.2 c) gefordert, dass mögliche zukünftige Auswirkungen der geologischen Tiefenlagerung in der Schweiz nicht grösser sein dürfen als sie heute in der Schweiz zulässig sind. Dies stützt sich auf ethische Überlegungen ab (vgl. Susanne Brauer: Schutzziele als ethische Fragen, Bericht im Auftrag des Bundesamtes für Energie, 2018), welche eine Schutzverpflichtung gegenüber künftigen Generationen begründen. Der Grundsatz folgt dabei dem Prinzip, dass jede Generation heute oder in der Zukunft den gleichen Anspruch auf Schutz vor einer Gefährdung durch ionisierende Strahlung hat. Über die weit entfernte Zukunft der Menschheit sind keine verlässlichen Aussagen möglich. Das gilt insbesondere für die Lebensweise, die Nahrung und die Empfindlichkeit des Menschen gegenüber der Umgebungsstrahlung. Bei dieser prinzipiellen Unkenntnis der Empfindlichkeit der zukünftig zu schützenden Menschen kann gleicher Schutz nur dadurch umgesetzt werden, dass die Einschlusswirksamkeit eines geologischen Tiefenlagers heute und in Zukunft gleichen Ansprüchen zu genügen hat.
Die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA fordert in ihren Fundamental Safety Principles (Safety Fundamentals No. SF-1) mit Principle 7 «Protection of present and future generations» folgendes:
«People and the environment, present and future, must be protected against radiation risks. Radiation risks may transcend national borders and may persist for long periods of time. The possible consequences, now and in the future, of current actions have to be taken into account in judging the adequacy of measures to control radiation risks. In particular:
-
- Safety standards apply not only to local populations but also to populations remote from facilities and activities.
- Where effects could span generations, subsequent generations have to be adequately protected without any need for them to take significant protective actions.»
Im Rahmen der IRRS-Missionen überprüfen Expertinnen und Experten der IAEA, ob das ENSI die Fundamental Safety Principles korrekt umsetzt. Die letzte Mission fand 2021 statt (Abschlussbericht der IRRS-Mission 2021).
b), c) und d)
Durch eine geeignete Wahl eines Tiefenlagerstandorts und einer geeigneten Lagerauslegung werden die radioaktiven Stoffe in tiefen geologischen Schichten nahezu vollständig festgehalten. Die Gesteinsschichten um ein Tiefenlager bilden eine effiziente Abschirmung für radioaktive Strahlung. Es gibt keine messbare Direktstrahlung an der Oberfläche aus dem verschlossenen Tiefenlager.
Zudem gibt es aktuell keine Studien, die auf ein signifikant erhöhtes Gesundheitsrisiko im von den Fragestellern definierten «Niedrigstdosisbereich» hindeuten. Neue Studienergebnisse werden generell von internationalen Organisationen geprüft und gegebenenfalls resultieren daraus neue Empfehlungen für den Strahlenschutz, die dann in die Gesetzgebung übernommen werden. Dies gilt ebenfalls für die Tiefenlagerung.
Siehe auch die Antworten zu Frage 152, Frage 165 und Frage 168 des TFS.
Referenzen
Iliakis, G., Mladenov, E., Mladenova, V. (2019): Necessities in the Processing of DNA Double Strand Breaks and Their Effects on Genomic Instability and Cancer. Cancers. 2019; 11(11):1671. https://doi.org/10.3390/cancers11111671
Ludovici, G. M., Chierici, A., de Souza, S. O., d’Errico, F., Iannotti, A., Malizia, A. (2022): Effects of Ionizing Radiation on Flora Ten Years after the Fukushima Dai-ichi Disaster. Plants. 2022; 11(2):222. https://doi.org/10.3390/plants11020222
Hoffmann, A. A., Hercus, M. J. (2000): Environmental Stress as an Evolutionary Force. BioScience, Volume 50, Issue 3, March 2000, Pages 217–226. https://doi.org/10.1641/0006-3568(2000)050[0217:ESAAEF]2.3.CO;2
Pinker, S. (2018): Aufklärung jetzt – Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. ISBN: 978-3-10-002205-9.
ENSI-G03: Geologische Tiefenlager, Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat, Brugg, Dezember 2020.
Bauer, S. (2018): Schutzziele als ethische Fragen, Bericht im Auftrag des Bundesamtes für Energie. Zürich, März 2028.
IAEA (2006): Fundamental Safety Principles, Safety Fundamentals No. SF-1. International Atomic Energy Agency, Vienna, ISBN 92–0–110706–4.