19 Prozent der Bevölkerung beurteilen die Schweizer Kernkraftwerke als „nicht sicher“

Eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung steht der Atomenergie kritisch gegenüber. Nur jeder Fünfte beurteilt die Schweizer Kernkraftwerke jedoch als „nicht sicher“. Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung der Schweizer Bevölkerung durch die Universität Zürich. Die Aufsichtsbehörde ENSI erhält gute Noten.

Die Akzeptanz der Atomenergie in der Schweiz hat sich mit der Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011 deutlich verringert. Heute glaubt nur noch jeder Vierte in der Schweiz, der Nutzen aus der Nukleartechnologie rechtfertige die damit verbundenen Risiken. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse der repräsentativen Umfrage, die das Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich IPMZ (Heinz Bonfadelli / Silje Kristiansen) genau ein Jahr nach Fukushima im März 2012 durchgeführt hat. Auftraggeber der Befragung war das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI.

In der Bilanz zur Umfrage weist Heinz Bonfadelli, Leiter der Abteilung „Medienrealität & Medienwirkung“ im IPMZ, auf eine besondere Erkenntnis hin: „Obwohl Ängste in der Bevölkerung bezüglich der Möglichkeit von Unfällen in Atomkraftwerken bestehen, wird die Sicherheit der AKWs in der Schweiz im internationalen Vergleich als besser beurteilt und der Arbeit der Schweizer Behörden – wie jene Instanzen, die die AKWs beaufsichtigen – wird mehrheitlich eine gute Note verliehen.“ Die Bevölkerung befürchtet also eher Unfälle in ausländischen als in Schweizer Werken.

 

Bevölkerung soll sich sicher fühlen können

ENSI-Direktor Hans Wanner empfindet die Resultate der Studie als Herausforderung: „Einige mögen das Resultat erfreulich finden, dass trotz der mehrheitlich kritischen Haltung der Bevölkerung gegenüber der Nukleartechnologie nur gerade 19 Prozent die Schweizer Kernkraftwerke als ’nicht sicher‘ bezeichnen. Wir aber nehmen zur Kenntnis: ein Fünftel der Bevölkerung macht sich grosse Sorgen wegen der Kraftwerke.“ Das dürfe nicht sein. Da sei das ENSI gefordert – nicht zuletzt im Bereich der Kommunikation.

„Es ist nicht Aufgabe des ENSI, die Kernenergie positiv zu positionieren“, betont Hans Wanner, „sondern dafür zu sorgen, dass sich die Schweizer Bevölkerung sicher fühlen kann und sicher fühlt.“

Die Umfrage, welche sich auch sehr stark mit der Mediennutzung der Befragten auseinandersetzte, liefert wertvolle Hinweise für die Öffentlichkeitsarbeit: „Auch nach Fukushima suchen nur sehr wenige Leute aktiv nach Informationen zur Atomenergie oder zu Atomkraftwerken“, stellt Heinz Bonfadelli, Autor der Studie, fest. „Das ENSI ist deshalb gut beraten, wenn es seinen eingeschlagenen Weg der proaktiven und transparenten Kommunikation konsequent weitergeht.“

Für den Kommunikationschef des ENSI, Sebastian Hueber, zeigt die Auswertung der Bevölkerungsbefragung klar, wo die Defizite liegen: „Insbesondere die jungen Menschen erreichen wir noch zu wenig. Zu prüfen ist auch, wie wir die in Sicherheitsfragen besonders sensiblen Frauen besser erreichen können. Mehr unternehmen müssen wir nicht zuletzt auch bei der Bevölkerung in der West- und Südschweiz.“

 

45 Prozent halten KKW für sicher

Für jede dritte befragte Person geht von der Kernenergie generell ein hohes Unfallrisiko aus. Gut ein Viertel macht sich „grosse Sorgen“ wegen eines Unfalls.

Fragt man die Menschen in der Schweiz aber etwas spezifischer nach der Sicherheit der Schweizer Kraftwerke, stellt sich heraus, dass nur 19 Prozent die Anlagen in der Schweiz als nicht sicher empfinden. 45 Prozent halten sie für sicher, 32 Prozent für mehr oder weniger sicher.

Diese unterschiedliche Wahrnehmung des generellen Risikos und der geringeren Gefahr, die von schweizerischen Anlagen ausgeht, hat für Heinz Bonfadelli zunächst etwas zu tun mit dem positiven Schweizbild der Bevölkerung: „Wir Schweizer glauben einfach, dass wir etwas gewissenhafter arbeiten als andere.“

Zur nüchternen Beurteilung habe aber auch die offene und transparente Information der Aufsichtsbehörde seit Fukushima und generell das Vertrauen in die zuständigen Behörden beigetragen.

 

Vertrauen in das ENSI

Tatsächlich erhalten die im Bereich Sicherheit der Kernkraftwerke involvierten Instanzen gute Noten von der Bevölkerung, nicht zuletzt auch die Aufsichtsbehörde ENSI: Auf einer Skala von 1 (kein Vertrauen) bis 7 (sehr grosses Vertrauen) erhält das ENSI die Note 4.4 und liegt damit knapp hinter den Wissenschaftlern im Bereich Atomkraft und vor weiteren Institutionen des Bundes. Deutlich am kritischsten, aber mit 3.9 immer noch positiv, wird die Arbeit der Kernkraftwerksbetreiber beurteilt.

„Angesichts der teilweise doch massiven Kritik in einzelnen Medien gegenüber dem ENSI ist diese positive Beurteilung der Aufsichtsbehörde schon bemerkenswert“, stellt der Publizistikwissenschaftler Heinz Bonfadelli fest. „Die grosse Präsenz des ENSI in den Medien hat aber dazu geführt, dass rund die Hälfte der Befragten das ENSI kennt.“

Von denen, die das ENSI kennen, hat fast die Hälfte (43 Prozent) ein hohes bis sehr hohes Vertrauen ins ENSI, 32 Prozent haben mehr oder weniger Vertrauen und 15 Prozent sagen, ihr Vertrauen ins ENSI sei tief oder sehr tief.

Die Umfrage wurde zwischen dem 6. und 24. März 2012 durchgeführt. Insgesamt wurden 806 Stimmberechtigte ab 18 Jahren in allen Sprachregionen mittels einer standardisierten telefonischen Befragung erhoben. In einem weiteren Schritt werden noch einzelne Befragte und Experten vertieft interviewt.