Schweizer Kernkraftwerke verfügen über einen guten Schutz gegen extreme Wetterbedingungen

Die Kernkraftwerke in der Schweiz sind ausreichend gegen die Auswirkungen von extremen Temperaturen in Luft und Wasser, Starkwinden, Niederschlägen und weiteren Wetterphänomenen geschützt. Zu diesem Schluss kommt das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI in seiner Stellungnahme zu den Nachweisen des Schutzes gegen extreme Wetterbedingungen. Um die Sicherheitsmargen zu erhöhen, hat das ENSI zusätzliche Forderungen an die Werke formuliert.

„Auch wenn die Schweiz unter einer Hitzewelle oder schweren Unwettern leidet, ist das für die Kernkraftwerke noch kein Sicherheitsproblem“, sagt Ralph Schulz, Leiter des Fachbereichs Sicherheitsanalysen beim ENSI zum Ergebnis der Nachweise, die das ENSI im Nachgang zum EU-Stresstest und gestützt auf eine Verordnung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK von den Werken gefordert hatte. „Auch beispielsweise Hagelkörner von 15 Zentimetern Durchmesser oder Stürme von rund 200 Kilometern pro Stunde werden von den Anlagen beherrscht“, erklärt er weiter.

Das ENSI hatte im Juni 2015 die Gefährdungen definiert, auf deren Basis die Kernkraftwerke ihre Nachweise führen mussten. Diese stützten sich auf werksspezifische Gefährdungsanalysen der Betreiber. Teilweise hat das ENSI die Gefährdungsannahmen für die 10‘000-jährlichen Ereignisse verschärft.

Gefährdungsannahmen für den Nachweis

Die Gefährdungsannahmen für Kernkraftwerke in der Schweiz durch extreme Wetterbedingungen wurden in drei Kategorien – instantan, mittelfristig und langfristig – unterteilt:

Gegen instantan wirkende Gefährdungen können nur bedingt vorsorgliche Massnahmen zur Reduktion der Einwirkung auf die Anlage ergriffen werden. Diese innerhalb kurzer Zeit auftretenden Lasten müssen deshalb durch die Auslegung der Anlage beherrscht werden.

Instantan einwirkende Gefährdung KKM KKG KKB KKL
Wind Tornado wird zugrunde gelegt
Tornado 55 m/s 60 m/s 60 m/s 60 m/s
Starkregen Maximal mögliche Wasseransammlung auf den Gebäudedächern („Roof ponding“)
Die Gefährdungen durch Hagel und Vereisung waren qualitativ zu untersuchen.

Bei den mittelfristigen Gefährdungen bestehen in der Regel mehrere Stunden bis Tage Vorlaufzeit, bis diese vollständig auf die Anlage einwirken. Aufgrund der längeren Vorlaufzeit können wirksame Massnahmen zur Reduktion der resultierenden Belastungen getroffen werden.

Mittelfristig einwirkende Gefährdung KKM KKG KKB KKL
Schneelast 3,3 kN/m2 3,1 kN/m2 2,7 kN/m2 2,6 kN/m2
Maximale Lufttemperatur 40 °C 40,1 °C 42 °C 41 °C
Minimale Lufttemperatur -30 °C
Die Gefährdung durch einen Waldbrand war qualitativ zu untersuchen.

Die langfristigen Gefährdungen kündigen sich über noch längere Zeiträume (meist Wochen bis Monate) an, sodass auch hier rechtzeitig wirksame Massnahmen ergriffen werden können.

Langfristig einwirkende Gefährdung KKM KKG KKB KKL
Extreme Flusswassertemperaturen Maximal: 28,1 °C

Minimal: Eisbrei

Maximal: 28,1 °C

Minimal: Eisbrei

Maximal: 28,2 °C

Minimal: Eisbrei

Maximal: 28,2 °C

Minimal: Eisbrei

Die Gefährdungen durch Trockenheit, extreme Winterbedingungen und extreme Sommerbedingungen waren qualitativ zu untersuchen.

 

Die Werke haben die Nachweise inklusive Nachforderungen bis im Frühling 2016 eingereicht. Das ENSI hat diese geprüft und ist nun zum Schluss gekommen, dass die KKW in der Schweiz ausreichend gegen Extremwetter geschützt sind. Insbesondere sind die Notstandsysteme sehr robust gegen die Einwirkungen aus extremen Wettern und verfügen damit im Allgemeinen über hohe Sicherheitsmargen.

Massnahmen zur Erhöhung der Margen

„Auch wenn der Schutz der KKW gegen extreme Wetterereignisse bereits gut ist, wollen wir, dass die Margen weiter erhöht werden, soweit dies mit verhältnismässigem Aufwand realisierbar ist“, sagt Ralph Schulz. Aus diesem Grund hat das ENSI bei allen Werken Massnahmen gefordert. Diese umfassen entweder die Verbesserung der Betriebsdokumentation mit teilweise detaillierteren Analysen zur Festlegung von Grenzwerten oder aber eine genauere Quantifizierung der vorhandenen Sicherheitsmargen. Zudem werden punktuell mögliche Nachrüstungen zu untersuchen sein.

KKW Beznau

Gesamthaft kommt das ENSI zum Schluss, dass das Kernkraftwerk Beznau KKB mit den Notstandssystemen beider Blöcke und dem im Rahmen des Projektes AUTANOVE nachgerüsteten Abfahrpfad 1b über mehrere Abfahrpfade zur Beherrschung extremer Wetterbedingungen verfügt und diese Abfahrpfade Sicherheitsmargen besitzen.

Forderung 1 (instantane Gefährdung)

Das KKB wird aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2016 für die Stahlkonstruktion der Frischdampfabblasestation die Widerstandsfähigkeit gegen Windlasten (Wind Fragilities) detailliert zu bestimmen und daraus die vorhandenen Sicherheitsmargen neu zu bestimmen.

Forderung 2 (mittelfristige Gefährdung)

Das KKB hat bis zum 31. Dezember 2016 die Betriebsdokumentation so anzupassen, dass bei extrem niedrigen Aussenlufttemperaturen der Lüftungsabschluss des Notstandgebäudes durch die Operateure ausgelöst wird.

Forderung 3 (mittelfristige Gefährdung)

Das KKB hat zur Erhöhung der Sicherheitsmarge bis zum 28. Februar 2017 zu prüfen, ob die Kühl- bzw. Heizungsanlage durch die AUTANOVE-Notstromdiesel im Notstromfall versorgt werden kann, um längerfristig eine aktive Kühlung beziehungsweise Heizung der Anlagenräume im AUTONOVE-Gebäude zu ermöglichen. Falls dies möglich ist, ist in die Betriebsdokumentation die Zuschaltung der Heizungs- beziehungsweise Kühlanlage durch die Operateure aufzunehmen.

Forderung 4 (mittelfristige Gefährdung)

Das KKB hat bis zum 31. Dezember 2016 die Betriebsdokumentation so anzupassen, dass bei extrem hohen Aussenlufttemperaturen der Lüftungsabschluss des Notspeisewassergebäudes durch die Operateure überwacht und rechtzeitig ausgelöst wird.

Forderung 5 (langfristige Gefährdung)

Das KKB hat bis zum 31. Dezember 2016 zu prüfen, ob die Anlage bei extrem hohen Flusswassertemperaturen über das primäre Nebenkühlwassersystem in den kalt-abgestellten Zustand überführt und dort mindestens 72 Stunden gehalten werden kann.

KKW Gösgen

Gesamthaft kommt das ENSI zum Schluss, dass das Kernkraftwerk Gösgen KKG bis auf die Gefährdung durch extreme Lufttemperaturen mit dem Notstandsystem hohe Sicherheitsmargen zur Beherrschung extremer Wetterbedingungen besitzt. Das KKG hat dieses Verbesserungspotential erkannt und wird im Projekt ERNOS entsprechende Massnahmen treffen. Weiterhin hat das KKG im Rahmen des Projekts LETA 2 Versuche zur Leistungsfähigkeit der Lüftungsanlagen in den Notstromdieselgebäuden (Abfahrpfad 1) durchgeführt, die für eine detailliertere Bewertung genutzt werden könnten (siehe Forderung 2a).

Forderung 1 (instantane Gefährdung)

Das KKG hat bis zum 30. Juni 2017 die Sicherheitsmargen der Gebäude des Abfahrpfades 1 gegen Wasserlasten infolge Starkregens zu bestimmen und mögliche Wassereindringpfade zu bewerten.

Forderung 2 (mittelfristige Gefährdung)

Das KKG hat zur Erhöhung der Sicherheitsmargen bis zum 30. Juni 2017

  1. den Einfluss extrem hoher und niedriger Aussenlufttemperaturen auf die Notstromdieselgebäude und die darin untergebrachten Systeme (Abfahrpfad 1) detaillierter zu untersuchen und dem ENSI die Untersuchungsergebnisse einzureichen sowie gegebenenfalls Verbesserungsmassnahmen darzulegen;
  2. vorbeugend zu ergreifende Massnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen extrem tiefer Aussenlufttemperaturen sowie die Kriterien, wann diese Massnahmen zu ergreifen sind, für das Notstandsgebäude (Abfahrpfad 2) in die Betriebsdokumentation aufzunehmen.

Forderung 3 (langfristige Gefährdung)

Das KKG hat bis zum 30. Juni 2017 Strategien zur Nachwärmeabfuhr bei extrem hohen Flusswassertemperaturen über die Nachkühlkette (TH-TF-VE) darzulegen, so dass die Anlage mit diesen in einem sicheren Zustand gehalten werden kann.

KKW Leibstadt

Gesamthaft kommt das ENSI zum Schluss, dass das Kernkraftwerk Leibstadt KKL mit dem Notstandsystem hohe Sicherheitsmargen zur Beherrschung extremer Wetterbedingungen besitzt. Der Abfahrpfad 1 besitzt ebenfalls eine hohe Robustheit gegen extreme Wetterbedingungen. Einzig dessen Sicherheitsmarge im Falle einer Gefährdung durch extreme Lufttemperaturen muss durch weitere Analysen (siehe Forderung 4) noch detaillierter untersucht werden.

Forderung 1 (instantane Gefährdung)

Zur Erhöhung der Sicherheitsmarge gegen Starkregen hat das KKL bis zum 31. Dezember 2016 zusätzliche Massnahmen zum Schutz gegen Wassereintrag in die vorhandenen Gebäudeöffnungen bei einem Wasseraufstau auf den sicherheitsrelevanten Gebäuden zu prüfen.

Forderung 2 (mittelfristige Gefährdung)

Das KKL hat bis zum 31. Dezember 2016 das Schneeräumen auf dem Reaktorhilfsanlagengebäude als vorsorgliche Massnahme zur Aufrechterhaltung der Lüftungsfunktion der vorhandenen Lüftungsansaugungen bei grossen Schneehöhen in die Betriebsdokumentation aufzunehmen.

Forderung 3 (mittelfristige Gefährdung)

Das KKL hat bis zum 30. Juni 2017 den Einfluss extrem niedriger Aussenlufttemperaturen auf die Anlagenräume des Notstandsystems detailliert zu untersuchen und gegebenenfalls Verbesserungsmassnahmen zu ergreifen.

Forderung 4 (mittelfristige Gefährdung)

Zur Quantifizierung der Sicherheitsmargen hat das KKL bis zum 30. Juni 2017 eine Analyse der Entwicklung der Raumlufttemperaturen in den Notstromdieselgebäuden im Anforderungsfall bei minimalen und maximalen Aussenlufttemperaturen durchzuführen. Zudem ist die Funktionalität der installierten Komponenten bei den ermittelten Raumlufttemperaturen zu bewerten.

KKW Mühleberg

Gesamthaft kommt das ENSI zum Schluss, dass das Kernkraftwerk Mühleberg KKM hinsichtlich der instantanen und mittelfristigen Einwirkungen hohe Sicherheitsmargen besitzt. Durch die nachgerüstete, von der Aare unabhängige, Kühlwasserversorgung über das Hochwasserreservoir, welches von unterschiedlichen Wasserquellen nachgespeist werden kann, weist der Abfahrpfad 2 ebenfalls Sicherheitsmargen gegen langfristige Einwirkungen auf.

Forderung 1 (instantane Gefährdung)

Das KKM hat bis zum 31. Dezember 2016 regelmässige Inspektionen der Dachentwässerungsleitungen der sicherheitsrelevanten Gebäude in die Betriebsdokumentation aufzunehmen.

Forderung 2 (langfristige Gefährdung)

Das KKM hat bis zum 31. Dezember 2016 die minimal und maximal zulässige Wassertemperatur der Aare, bei welcher die Anlage abzufahren ist, in die Betriebsdokumentation neu aufzunehmen, so dass der kalt-abgestellte Zustand mindestens 72 Stunden über die Notstandskühlwasserversorgung (Abfahrpfad 2) sichergestellt werden kann.