ENSI-Experten harmonisieren den internationalen Notfallschutz

Künftig soll bei Notfallmassnahmen unmittelbar nach schweren nuklearen Störfällen kein Widerspruch mehr zwischen Nachbarländern bestehen. Die zwei wichtigsten europäischen Gremien der nuklearen Aufsicht und des Strahlenschutzes haben den sogenannten HERCA-WENRA-Approach erarbeitet, um eine Harmonisierung herbeizuführen. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI ist mit Experten in leitenden Funktionen in beiden Gremien vertreten. An einem Workshop in Slowenien wurde gemeinsam mit den Behörden für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz Europas die Umsetzung des gemeinsamen Ansatzes gestartet. 

Nationale Vorsorge- und Notfallmanagement-Systeme werden seit Jahrzenten regelmässig getestet. Durch die Anwendung der verschiedenen nationalen Ansätze werden, wie beispielsweise nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl, je nach Land unterschiedliche Schutzmassnahmen empfohlen. Dies kann bei der Bevölkerung der Nachbarländer zu Missverständnissen führen: Die jeweiligen Bevölkerungen fühlen sich in der Folge ungleichmässig geschützt. Die Entscheidungen der Behörden könnten deshalb verstärkt hinterfragt werden, wodurch ein Vertrauensbruch entstünde. Die Notfallorganisationen könnten dadurch zumindest einen Teil ihrer Aufgaben nicht mehr erfüllen.

Am zweitägigen Workshop im slowenischen Bled wurde die Umsetzung des gemeinsamen HERCA-WENRA-Ansatzes gestartet. Für ENSI-Direktor und WENRA-Vorsitzender Hans Wanner ist der gemeinsame Approach sehr wichtig.
Am Workshop in Bled wurde die Umsetzung des gemeinsamen HERCA-WENRA-Ansatzes gestartet. Für ENSI-Direktor und WENRA-Vorsitzender Hans Wanner ist der gemeinsame Approach sehr wichtig.

Eine bessere Koordination des Vorsorge- und Notfallmanagements auf europäischer Ebene ist also von wesentlicher Bedeutung. Auf europäischer Ebene sollen deshalb nationale Notfallmanagementsysteme harmonisiert werden.

Dabei hat sich gezeigt, dass es schwierig ist, sich auf gemeinsame Methoden zu einigen. Hier setzt der gemeinsame Ansatz der Heads of European Radiological Protection Competent Authorities HERCA und der Western European Nuclear Regulators Association WENRA, kurz HERCA-WENRA-Approach genannt, an.

Der HERCA-WENRA-Approach

Seit 2011 widmet sich die HERCA Working Group on Emergencies (HERCA-Arbeitsgruppe für Notfälle) der Suche einer gemeinsamen Methode für Notfallmanagementsysteme. Georges Piller, Leiter des Bereichs Strahlenschutz beim ENSI, leitet diese Arbeitsgruppe seit 2014.

Vertreter von HERCA und WENRA haben zur Problematik der Harmonisierung der Notfallprozesse einen gemeinsamen Ansatz erarbeitet, der am 21. Oktober 2014 von beiden Organisationen verabschiedet wurde. Der gemeinsame HERCA-WENRA-Approach gilt als ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Bevölkerungsschutz. Ziel des HERCA-WENRA-Ansatzes ist es, länderübergreifende Schutzmassnahmen nach einem nuklearen Unfall zu harmonisieren. Er beruht auf gemeinsamem technischem Verständnis, auf Koordination und gegenseitigem Vertrauen. Er gibt selbst keine Notfallprozesse vor, sondern zielt darauf ab, in einer Krisensituation harmonisiert zu handeln.

Der HERCA-WENRA-Ansatz ist in drei Stufen unterteilt: die Bereitschaftsphase, die Frühphase und die Spätphase.

Stufe 1: Das Ziel der Bereitschaft ist es, ein gemeinsames Verständnis für die bestehenden nationalen Notfallmassnahmen durch die Entwicklung oder die Verbesserung der bereits bestehenden bilateralen und multilateralen Vereinbarungen zu erreichen.

Stufe 2: Für die Frühphase eines Unfalls sieht der Ansatz einen raschen Austausch von Informationen vor. Ein besseres Verständnis führt hier zu kürzeren Entscheidungsfindungsprozessen. Die Empfehlung an die Krisenstäbe könnte also lauten, in den ersten Stunden nach dem Reaktorunfall die Notfallschutzmassnahmen des Unfalllandes zu übernehmen.

Stufe 3: In der späteren Phase werden gemeinsame Lagebilder erstellt, in denen sich die betroffenen Länder auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

Am zweitägigen Workshop im slowenischen Bled wurde die Umsetzung des gemeinsamen HERCA-WENRA-Ansatzes gestartet. Für ENSI-Direktor Hans Wanner ist der gemeinsame Approach sehr wichtig: „Als Chairman der WENRA ist es mir ein ganz grosses Anliegen, dass das von den Chefs der nationalen Behörden für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit vereinbarte Vorgehen in die Praxis umgesetzt wird.“ Dazu sei der Einbezug der Behörden für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz unerlässlich, betont er. „Dies ist ein grosser Schritt in die richtige Richtung. Nun müssen die zuständigen Behörden auch weiterhin eng zusammenarbeiten, damit die Empfehlungen des HERCA-WENRA-Ansatzes umgesetzt werden können.“

ENSI war massgeblich an Organisation beteiligt

Am Workshop nahmen knapp 90 Personen teil. Darunter befanden sich hochrangige Vertreter aus den Behörden für Strahlenschutz, nukleare Sicherheit und Bevölkerungsschutz von verschiedenen Ländern. Auch Vertreter von internationalen Organisationen waren dabei. Aus der Schweiz nahmen neben ENSI-Experten auch Gerald Scharding, Chef der Nationalen Alarmzentrale im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Christophe Murith vom Bundesamt für Gesundheit BAG teil.

Das ENSI war massgeblich an der Entstehung und der Organisation des Workshops in Bled beteiligt. Georges Piller war Leiter des Organisationskomitees dieses Workshops.

„Zentral ist für die Nachbarstaaten das Kennenlernen der Notfallprozesse“, sagt Georges Piller, Leiter des Fachbereichs Strahlenschutz beim ENSI. „Damit wird eine Vertrauensbasis für vorgesehene Schutzmassnahmen geschaffen. Hier leistet die HERCA Working Group on Emergencies einen wichtigen Beitrag.“