Technisches Forum Kernkraftwerke

Frage 31: Wiederinbetriebnahme KKL nach Dryouts

Sachverhalt

Tagesanzeiger 6.10.2016
Gemäss Medienberichten musste die Jahreshauptrevsion des Kernkraftwerkes Leibstadt verlängert werden, weil bei Untersuchungen auf mehreren Brennstäben Oxidablagerungen entdeckt worden sind (Tagesanzeiger vom 6.10.2016).

Homepage ENSI 9.2.2017
Das ENSi informiert auf ihrer Webseite (9.2.2017) wie folgt: „Im Kernkraftwerk Leibstadt hat sich bei Inspektionen der Brennelemente gezeigt, dass während mehrerer Zyklen systematisch kritische Siedezustände – sogenannte Dryouts – aufgetreten sind. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI ordnet dieses Vorkommnis der Stufe 1 der internationalen Ereignisskala zu.“
Für eine Wiederinbetriebnahme des Kraftwerkes fordert das ENSI konsequenterweise: „Damit das Kernkraftwerk Leibstadt wieder anfahren darf, müssen die Kernauslegung und der Reaktorbetrieb gewährleisten, dass ein Dryout bei Normalbetrieb, Betriebsstörungen und bei Auslegungsstörfällen der
Kategorien 1 und 2 sicher ausgeschlossen werden kann.“

Rundschau SRF 1.2.2017
Im Rahmen der SRF Fernsehsendung-Sendung „Rundschau“ vom 1.2.2017 wurden folgende Aussagen
gemacht:
„Lecks in Verbindung mit kritischen Siedezuständen sind jedoch weltweit höchst ungewöhnlich. Das KKL kennt weltweit keine Anlage, bei der ähnliche Phänomene aufgetreten sind.“

„Sailer ist Geschäftsführer des Ökoinstituts Darmstadt und hatte als Brancheninsider bereits Kenntnisse von den Dryouts in Leibstadt. Seine Forderung: «Es muss unbedingt geklärt werden, weshalb die Kühlung nicht funktioniert hat. Auf jeden Fall darf man nicht wiederanfahren, bevor das nicht völlig klar ist.»“

„Wie das KKL der «Rundschau» mitteilt, hat das Ensi bereits vor 10 Tagen [vermutlich am 21.1.2017] die Neubeladung des Reaktorkerns bewilligt.“

„Gemäss Pfeiffer [KKL] wird der Reaktor künftig mit einer um zehn Prozent reduzierten Leistung gefahren, um die Sicherheitsmargen weiter zu erhöhen. Die Abklärung der Ursachen für die Kühlungsversagen werde bei laufendem Betrieb weitergeführt.

Fragen

  1. Aufgrund welcher, technischer Kriterien kann das ENSI dem KKL erlauben, den Reaktor wieder in Betrieb zu setzen, obschon klar ist, dass es sich dabei um einen Testbetrieb handelt, der zur Abklärung der Ursachen der regelmässig aufgetretenen Dryouts dient?
  2. Trifft die Schlussfolgerung zu, dass dieser Testbetrieb die Sicherheitsmarge verringert?
  3. Wie lange dauert dieser Testbetrieb? Genauer: Wie lange dauert der nächste Zyklus bis zur erneuten Überprüfung der Brennelemente? Wie viele Brennelemente werden nach diesem Zyklus erneut überprüft? Welche Risiken erzeugt der Testbetrieb?

Es ist für den unbeteiligten Beobachter nicht nachvollziehbar, weshalb die Forderung des ENSI den Nachweis fordert, Dryouts müssten bei Normalbetrieb […] sicher ausgeschlossen werden [können], nun nicht mehr gelten.Offensichtlich liegt diese Lockerung der Anforderungen innerhalb des Ermessensspielraums des ENSI.

Thema Bereich
Eingegangen am 10. Februar 2017 Fragende Instanz Jean-Pierre Jaccard
Status beantwortet
Beantwortet am 3. März 2017 Beantwortet von

Beantwortet von ENSI

Das Kernkraftwerk Leibstadt konnte im Februar 2017 nach einer verlängerten Jahreshauptrevision wieder den Leistungsbetrieb aufnehmen. Das ENSI hatte vorgängig auf der Basis der umfangreichen Ursachenabklärungen des Betreibers Massnahmen angeordnet, welche das Auftreten weiterer Dryouts ausschliessen sollen. Mit den Massnahmen werden die Bedingungen, bei denen in der Vergangenheit kritische Siedezustände aufgetreten sind, gezielt vermieden. Dies erlaubte es der Aufsichtsbehörde, die Freigabe zum Wiederanfahren des Kernkraftwerks Leibstadt mit Auflagen zu erteilen. Es gab aus Sicht der Aufsichtsbehörde deshalb keinen Grund, warum das Kernkraftwerk Leibstadt seinen Leistungsbetrieb nicht wieder aufnehmen konnte.

Die Vorgaben aus der ENSI-Richtlinie G20 umfassen regelmässige Inspektionen, die im KKL massiv erweitert wurden (> 200 Brennelemente). Die Dichtheit der Brennstäbe vor dem Anfahren zum aktuellen Zyklus war gewährleistet, wie die Werte aus Abgas und Wasserchemie ergaben.

Gemäss der ENSI-Richtlinie G20 muss die Korrosion begrenzt werden und Brennelemente bei nicht-auslegungsgemässem Zustand instandgesetzt werden: Das KKL hat stärker lokal voroxidierte Brennstäbe ersetzt.

Die Hüllrohrspannungen und Dehnungen (werkstoffspezifisch) müssen begrenzt werden: Hersteller und Betreiber haben alle werkstoffspezifischen Hüllrohrgrenzwerte überprüft. Der Grenzwert «lineare Stableistung» für die potenziell betroffenen Bereiche wurde abgesenkt.

Die Hüllrohre wiesen eine stabile Oxidschicht (keine Abplatzungen) auf. Es kam zu keinem Hüllrohrkollabieren. Dies zeigt, dass es zu keiner Phasenumwandlung (T < 800°C) gekommen ist und die mechanischen Eigenschaften des Hüllrohrgrundmaterials erhalten blieben. Aus den Inspektionsergebnissen geht hervor, dass der Dryout bei frischen Brennelementen mit einer Leistung von > 7,4 MW, einer Massenstromdichte von > 95 Prozent und am Zyklusende vorgekommen ist. Deshalb wurden für den Zyklus 33 folgende Massnahmen getroffen: Die Brennelement-Leistung bei den frischen Brennelementen wurde auf < 7,2 MW und die Massenstromdichte auf < 95 Prozent beschränkt. Es wurde eine weitere Leistungsreduktion zum Zyklusende hin angeordnet.

Gemäss der Richtlinie ENSI-G20 sind keine kritischen Siedezustände erlaubt. Der kritische Betriebsbereich wurde durch zahlreiche Inspektionen identifiziert und wird vermieden. Experten bestätigen die Wirksamkeit der Massnahmen. Die Nachweismethoden entsprechen dem Stand der Technik. Es handelt sich um international akzeptierte Nachweismethoden. Die neuen Erkenntnisse wurden durch das eingeschränkte Betriebskennfeld berücksichtigt. Das ENSI stützte sich im Rahmen seiner Freigabe auf die Zusammenarbeit mit dem Paul Scherrer Institut und der Sten Lundberg Consulting. Zudem wurde das Vorkommnis oder Teilaspekte davon mit folgenden Organisationen oder Arbeitsgruppen thematisiert: TÜV Süd, OECD/NEA Working Group on Fuel Safety, U.S.NRC, Deutsch-Schweizer-Kommission, SSM (Schweden) und CSN (Spanien).

Es wurde die Auflage erteilt, die Anlage abzufahren und die Brennelemente zu inspizieren, sollte ein neuer Brennstabschaden auftreten.

Die Vorgaben aus der ENSI-G20 werden (mit Auflagen) erfüllt. Alle Anforderungen des Regelwerks wurden nachgewiesen, die Grenzwerte bleiben erhalten. Neben der spezifischen Sicherheitsmarge gegenüber Dryout, festgelegt durch den «Minimum Critical Power Ratio» (MCPR), hat das ENSI durch die Veränderung der Fahrweise zusätzliche Margen verlangt.

Der Zyklus dauert bis 18. September 2017.

Weitere Informationen

Die Antwort wurde am 10. Januar 2018 redaktionell angepasst.