Technisches Forum Sicherheit

Frage 112: Brand in der OFA

Angenommen, die gesamte Radioaktivitätsmenge aus TFS-Frage 111 werde bei Windstille durch die Thermik eines Brandes, ausgelöst durch einen Flugzeugabsturz mit Kerosinmenge eines vollgetankten A340, in die Höhe befördert und schlage sich anschliessend ebenfalls bei Windstille als radioaktiver Fallout kreisförmig rund um die OFA nieder. Bitte informieren Sie uns über die folgenden Themen:

Beispiel Falloutkarte
Beispiel Falloutkarte
  1. Wie sieht die Nukleare Falloutkarte in Becquerel pro m2 (Anzahl Atomkernzerfälle pro Sekunde pro m2) im Umkreis der OFA gemäss nebenstehender Karte aus?
  2. Vergleich der Falloutmenge der OFA mit dem Vorfall in Fukushima. Angenommen, in Fukushima wäre nicht ein KKW, sondern die OFA gestanden, wie hätte die obige Karte (siehe Figur)  ausgesehen unter der Annahme, dass die ganze Radioaktivitätsmenge von TFS-Frage 111 in die Luft gegangen wäre? Mit den gleichen Evakuationsrichtlinien wie in Japan, welcher Perimeter hätte wie lange evakuiert werden müssen? Wie sind im Vergleich dazu die entsprechenden Vorschriften in der Schweiz?
  3. Zeichnen Sie in der nuklearen Falloutkarte der OFA nach Fragestellung a für einen typischen menschlichen Körper mit 80 kg Gewicht die Bereiche tödlicher, schädlicher und in den Grenzwerten befindlicher Strahlung bei einer permanenten Aufenthaltsdauer von 1 Monat ein.

Thema Bereich
Eingegangen am 11. März 2014 Fragende Instanz RK ZNO
Status beantwortet
Beantwortet am 10. März 2017 Beantwortet von

Beantwortet von ENSI

 Zur Beantwortung der TFS-Frage 112 „Brand in der Oberflächenanlage“ verweist das ENSI in einem ersten Schritt auf die Rahmenbedingungen zum Umgang mit Störfällen und Szenarien in der Schweiz. Der Ereignisablauf des der TFS-Frage 112 zugrunde liegenden Szenarios mit dem Flugzeugabsturz eines vollgetankten Verkehrsflugzeugs entspricht in etwa den gesetzlichen Vorgaben über die Gefährdungsannahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen.

Die Berechnungen der in der Fragestellung geforderten radiologischen Ausbreitungsrechnungen (nukleare Falloutkarte) sind sehr komplex und benötigen viele Detailinformationen wie z. B. Quellterm, Wetterverlauf, Topographie oder die zu betrachtete Oberflächenanlage, welche im aktuellen Projektstatus nicht vorliegen. Aus diesen Gründen wird das ENSI im Rahmen der Beantwortung dieser Frage keine radiologischen Ausbreitungsrechnungen durchführen. Auf einen entsprechenden Vergleich von radiologischen Ausbreitungsrechnungen mit der aus dem Kernkraftwerk Fukushima freigesetzten Menge wird ebenfalls verzichtet. Um den Informationsbedarf bezüglich eines solchen Szenarios nachzukommen, wird das Vorgehen bei der Auslegung von nuklearen Gebäuden gegen Flugzeugabsturz erläutert und auf die Ergebnisse aus dem Stresstest der Entsorgungskommission für deutsche Entsorgungsanlagen verwiesen.

Die Gesuchsteller von nuklearen Anlagen müssen den Flugzeugabsturz per Gesetz als Störfall berücksichtigen. Die dazu notwendigen theoretischen Grundlagen um eine flugzeugabsturzsichere Anlage zu bauen sind vorhanden und in der Praxis wurden bereits derartige Anlagen realisiert. Es wurde gezeigt, dass der Einschluss von radioaktiven Stoffen bei flugzeugabsturzsicheren Gebäuden oder Behältern sichergestellt werden kann.

Im Rahmen des Stresstests für deutsche Entsorgungsanlagen (einige sind vergleichbar mit den Oberflächenanlagen eines geologischen Tiefenlagers) wurde die Robustheit von Anlagen bei sehr schweren Belastungen (z. B. thermische Einwirkung, Überflutung, Flugzeugabsturz u. ä.), die über diejenige bei Auslegungsstörfällen deutlich hinausgehen, getestet. Diese decken die relevanten Einwirkungen des in den Fragestellungen beschriebenen Szenarios ab. Eine der wichtigen Erkenntnisse aus dem Test ist, dass die maximalen Auswirkungen eines massiven Ereignisses deutlich geringer sind als bei einer Kernschmelze in einem Kernkraftwerk.

Einleitung

Die TFS-Frage 112 „Brand in der Oberflächenanlage“ ist eine von zehn Fragen (Fragen 111 bis 120) desselben Fragestellers, welche losgelöst von jeglichen Eintretenswahrscheinlichkeiten, verschiedene theoretische Extrem-Ereignisse im Zusammenhang mit geologischen Tiefenlagern beim TFS eingereicht wurden. Gemäss vorliegenden Informationen erhofft sich der Fragesteller ein „vertieftes Verständnis der Gefährlichkeit radioaktiver Abfälle sowie ein Vergleich mit ähnlichen Ereignissen“ damit „die Wirksamkeit der diversen Schutzmassnahmen im Normalbetrieb bzw. im Ereignisfall zuverlässiger beurteilt werden können“.

Mit der Beantwortung der TFS-Frage 111 hat das ENSI bereits über die grundsätzliche Gefährlichkeit von radioaktiven Materialien informiert und dabei das Gefährdungspotential ausgehend von einem Brennelement auf der Wiese durch Direktstrahlung, das Abklingen der Aktivität von Brennelementen als Funktion der Zeit und die Einwirkung von Radioaktivität auf Mensch und Umwelt erläutert bzw. aufgezeigt.

Die Beantwortung der Fragen 111 bis 120 erfolgt unter den Rahmenbedingungen zum Umgang mit Störfällen und Szenarien in der Schweiz, d. h. die gesetzlichen Vorgaben für Störfallanalysen (Umgang mit Auslegungsstörfällen und auslegungsüberschreitenden Störfällen) für Kernanlagen sowie der Umgang mit übergeordneten Szenarien auf Ebene Bund durch KomABC (Eidgenössische Kommission für ABC-Schutz) und Bundesstab ABCN. Diese werden in der Antwort zur TFS-Frage 111 ausführlich erläutert.

Das ENSI beantwortet die eingereichten Fragen grundsätzlich basierend auf wissenschaftlich-technischen Fakten unter Einbezug

  • physikalisch-chemischer Stoffeigenschaften (d. h. dem Schadstoffpotential: Welche radioaktiven Stoffe liegen in welchen Mengen und in welcher Form (fest, flüssig, gasförmig, brennbar, nicht brennbar) vor);
  • möglicher Expositionspfade (Szenarien);
  • der entsprechenden Eintrittswahrscheinlichkeiten (d. h. mögliche Ereignisabläufe, in Kenntnis der vorherrschenden Randbedingungen wie z. B. Auslegung der Anlage, Inventar, Betriebsprozesse); sowie
  • der Einwirkungen auf die Schutzziele (Mensch und Umwelt, z. B. Strahlenexposition mit nennenswerter Dosis).

Dies erfolgt ähnlich wie bei Risikobetrachtungen in anderen Bereichen z. B. die Beurteilung des Gefährdungspotentials von Altlasten durch die Kantone, welche das Schadstoffpotenzial, das Freisetzungspotenzial und die Exposition und Bedeutung von Schutzgütern berücksichtigt.

Den Ereignisablauf des vorliegenden Szenarios mit dem Absturz eines vollgetankten Verkehrsflugzeugs (in diesem Fall ein Airbus 340) mit anschliessendem Kerosinbrand entspricht in etwa den gesetzlichen Vorgaben gemäss UVEK-Verordnung über die Gefährdungsannahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen. Eine solche Betrachtung ist sehr komplex und bedarf vieler Detailinformationen zur zu betrachtenden Oberflächenanlage (OFA). Die Unterlagen für eine Oberflächenanlage liegen jedoch im aktuellen Projekt nur als Projektbeschreibungen vor. Ohne präzise Angaben zur Oberflächenanlage sind eine exakte Berechnung der Einwirkungen eines Flugzeugabsturzes und entsprechende radiologische Auswirkungen nicht zielführend. Das ENSI erachtet es vielmehr als zielführend, für die vorliegende Fragestellung das Vorgehen bei der Auslegung von nuklearen Gebäuden gegen Flugzeugabsturz näher zu erläutern und auf die Erfahrungen mit den bereits in der Schweiz existierenden Kernanlagen zu verweisen. Zusätzlich wird das ENSI die Ergebnisse zu den ESK-Stresstests vorstellen, welche auf auslegungsüberschreitenden Störfällen u. a. dem Flugzeugabsturz mit folgendem Kerosinbrand basieren.

Ergänzend zu den Ausführungen in dieser Antwort verweisen wir auf die bereits im Technischen Forum Kernkraftwerke beantwortete TFK-Frage 1 „Flugzeugabsturz“ (http://www.ensi.ch/de/question/flugzeugabsturz-ensi/) zum Flugzeugabsturz auf Kernanlagen.

Auf die mit dieser Fragestellung gewünschte Erstellung von Falloutkarten und den Vergleich mit Fukushima wird das ENSI nicht eingehen. Dieser Entscheid wir vorab in den nächsten zwei Abschnitten ausführlich begründet.

Falloutkarten

Die Berechnung von radiologischen Ausbreitungsrechnungen (nukleare Falloutkarten) bildet ein wichtiges Instrument für die Planung und Vorbereitung von Schutzmassnahmen für die Bevölkerung. Diese werden basierend auf realistischen und qualifizierten Szenarien für den Ernstfall als Vorsorge bei Unfällen in Kernanlagen erstellt. Die Resultate von Ausbreitungsrechnungen hängen von vielen Faktoren wie z. B. Quellterm, Wetterlage, Wetterverlauf oder Topografie ab. Im Rahmen seiner Tätigkeit führt das ENSI entsprechende Berechnungen unter Berücksichtigung aller Faktoren zur Vorbereitung des Notfallschutzes durch und stellt diese den verantwortlichen Behörden zur Verfügung. Deren Publikation obliegt den zuständigen Behörden. Das ENSI erachtet es als nicht zielführend, bzw. nicht möglich, belastbare radiologische Ausbreitungsrechnungen ohne standortspezifische und anlagenspezifische Angaben durchzuführen. Entsprechend wäre die Aussagekraft solcher Berechnungen gering und aus Sicht des ENSI nicht zielführend. Eine Veröffentlichung könnte sogar, falls sich im Nachhinein niemand mehr an die unrealistischen Randbedingungen erinnert, zur unnötigen Verunsicherung der Bevölkerung führen. Im Rahmen des Bewilligungsverfahrens für ein geologisches Tiefenlager wir das ENSI jedoch auslegungs- und auslegungsüberschreitende Störfälle analysieren.

Vergleich mit Fukushima

Die Berechnung von radiologischen Ausbreitungsrechnungen (nukleare Falloutkarten) hängt von vielen Faktoren wie z. B. Quellterm, Wetterlage, Wetterverlauf oder Topografie ab. Im Rahmen seiner Tätigkeit führt das ENSI entsprechend komplexe Berechnungen unter Berücksichtigung aller Faktoren zur Vorbereitung des Notfallschutzes durch und stellt diese den verantwortlichen Behörden zur Verfügung. Das ENSI verzichtet aus nachfolgenden Gründen auf die Berechnung eines Vergleichs zwischen den hypothetischen Freisetzungen von Radioaktivität aus einer Oberflächenanlage, einem geologischen Tiefenlager oder einem Transportbehälter mit der im Kernkraftwerk Fukushima freigesetzten Menge in Form von Falloutkarten:

  • Die unterschiedlichen Mengen an Inventar und verschiedenen flüchtigen Radionukliden.
  • In Transport- und Lagerbehältern wird viel weniger Zerfallsenergie freigesetzt, die in Form von Wärme an die Luft abgegeben wird. Entsprechend reduziert sich auch das Gefährdungspotential.
  • Transport- und Lagerbehälter werden bereits heute im ZWILAG passiv mit Luft gekühlt, d. h. es ist keine aktive Wasserkühlung notwendig.
  • Die Möglichkeit einer Kettenreaktion kann in einer OFA durch technische und administrative Massnahmen ausgeschlossen werden.
  • Es werden nur feste radioaktive Abfälle zur OFA angeliefert.
  • Das Notfallschutzkonzept muss im Rahmen der Baubewilligung vorliegen (zum Thema Notfallschutzvorsorge siehe auch TFS-Antwort zu TFS-Frage 90).
  • Schlussendlich ist die Publikation einer Freisetzungskarte für Japan auf Basis einer hypothetischen Freisetzung von radioaktiven Stoffen aus dem Schweizer Programm nicht angebracht.

Der Notfallschutz ist in der Schweiz in der „Verordnung über den Notfallschutz in der Umgebung der Kernanlagen“ (SR732.33) seit langem geregelt. Im Rahmen von „IDA NOMEX“ wurde nach den Erkenntnissen aus einer Naturkatastrophe in Japan Anpassungen vorgenommen, wobei die vom ENSI entwickelten Referenzszenarien als Grundlage dienten. Für die vorsorgliche Evakuierung der gefährdeten Bevölkerung und für die Verkehrsführung im Ereignisfall haben die Kantone auf der Basis von Richtlinien des Bundesamts für Bevölkerungsschutz Konzepte in Händen. Das ENSI wird im Ereignisfall ausgehend vom Quellterm am Ort der Freisetzung, den meteorologischen Vorhersagen und der Landestopologie ein Dosisprofil erstellen und aktuell halten. Im Fall eines Ereignisses in der Oberflächenanlage zu einem Tiefenlager ist wegen der Beschaffenheit der Abfälle, den vergleichsweise geringen Temperaturen und dem Rückhaltevermögen der Gebäude mit geringen oder sehr geringen Quelltermen zu rechnen, so dass nur einfache Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung notwendig sein werden.

Das ENSI erachtet es nicht als zielführend, mittels japanischer Evakuationsrichtlinien auf ein nicht passendes, hypothetisches Szenario in der Schweiz einen Evakuierungsperimeter darzustellen.

Vorgehen bei der Auslegung von nuklearen Gebäuden gegen Flugzeugabsturz

Gemäss Verordnung des UVEK über die Gefährdungsannahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen sind nukleare Bauwerke, die ein hohes radioaktives Inventar oder wichtige Sicherheitssysteme beinhalten, unter anderem auch gegen den Flugzeugabsturz auszulegen.

Überlegungen zum Flugzeugabsturz auf Kernanlagen haben eine relativ lange Geschichte. Das vermutlich erste Kernkraftwerk, für das der Flugzeugabsturz bereits in der Planungsphase als Auslegungsstörfall berücksichtigt wurde, ist das Kraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg (USA). Dieses Kraftwerk, in Betrieb seit 1974, liegt in der Nähe der Anflugschneise eines Flughafens. Die theoretischen Grundlagen zur Bestimmung der Anprallkräfte infolge eines Flugzeugabsturzes wurden damals von Dr. Jose Daniel Riera erarbeitet.

Aufgrund der zahlreichen Abstürze der Militärmaschinen vom Typ „Starfighter“ in Deutschland wurden Anfang der Achtzigerjahre die sogenannten „Meppen-Tests“ durchgeführt (Fig. 112-1). Stahlbetonplatten mit einer Stärke zwischen 50 bis 90 cm wurden mit schweren Stahlrohren mit Geschwindigkeiten von 620 bis 890 km/h beschossen (Fig. 112-2). Aus den „Meppen-Tests“ konnten wertvolle Erkenntnisse zum Verhalten von Stahlbeton unter Anpralllasten gewonnen werden. Die Daten dieser Tests bilden auch heute noch eine wertvolle Grundlage zur Kalibrierung von Berechnungsmethoden und -programmen.

Figur-112-1: Darstellung der Versuchsanlage auf denen die „Meppen-Tests“ durchgeführt wurden
Figur-112-1: Darstellung der Versuchsanlage auf denen die „Meppen-Tests“ durchgeführt wurden.

 

Figur-112-2: Dimensionen der Stahlbetonplatten und des Projektils (links), Schäden an Projektil und Stahlbetonplatte nach dem Aufprall des Stahlrohrs (rechts)
Figur-112-2: Dimensionen der Stahlbetonplatten und des Projektils (links), Schäden an Projektil und Stahlbetonplatte nach dem Aufprall des Stahlrohrs (rechts).

 

Der nicht wertvollste aber wohl spektakulärste Anprallversuch wurde 1988 in den Sandia National Laboratories in den USA durchgeführt. Bei diesem Versuch wurde eine Militärmaschine „F-4 Phantom“ mit knapp 800 km/h gegen einen rund 3,60 m dicken Betonblock geschossen (Fig. 112-3). Die Maschine löste sich praktisch in rotglühenden Staub auf, der Betonblock erlitt nur oberflächliche Betonabplatzungen. Ziel dieses Versuchs war, die von Riera entwickelte Theorie zur Bestimmung der Anprallkräfte experimentell zu bestätigen.

Figur-112-3: a-c): Illustration des Impact Tests, Sandia National Laboratories (1988) mit einer Militär-maschine des Typs „F-4 Phantom“. d) zeigt die oberflächlichen Betonabplatzungen am Betonblock.
Figur-112-3: a-c): Illustration des Impact Tests, Sandia National Laboratories (1988) mit einer Militärmaschine des Typs „F-4 Phantom“. d) zeigt die oberflächlichen Betonabplatzungen am Betonblock.

 

Momentan beteiligt sich das ENSI an den Forschungsprojekten „IRIS“ und „IMPACT“ (Fig. 112-4 oder ENSI-Erfahrungs- und Forschungsbericht 2014). Auch hier geht es um das Verhalten von Stahlbetonplatten unter Einwirkung von Geschossen mit hohen Geschwindigkeiten. Vorausgerechnet wird, ob die Platten den Anpralllasten standhalten oder ob sie versagen. Auch Vibrationen, Dehnungen und Durchbiegungen der Stahlbetonplatten werden vor Durchführung der Versuche berechnet und schliesslich mit den experimentellen Daten verglichen. Wichtig ist neben der Verbesserung der Berechnungsmethoden auch der Erfahrungsaustausch unter den rund 30 teilnehmenden internationalen Teams.

Figur-112-4: IMPACT III Test X4, Testplatte nach dem Versuch (links) und Ergebnisse aus ABAQUS­Berechnung (Mitte und rechts).
Figur-112-4: IMPACT III Test X4, Testplatte nach dem Versuch (links) und Ergebnisse aus ABAQUS­-Berechnung (Mitte und rechts).

 

Ein Beispiel für ein nukleares Gebäude, das konsequent gegen Flugzeugabsturz ausgelegt wurde, ist das Nasslager des Kernkraftwerks Gösgen. Gegen globales Verkippen wurde das Gebäude mit einer tief im Baugrund verankerten Bohrpfahlwand gesichert, die Aussenwände sind massiv und ausserordentlich stark bewehrt und das Lagerbecken für die Brennelemente ist auf Schwingungsdämpfern gelagert, die Erschütterungen infolge Flugzeugabsturz massiv dämpfen.

Somit gilt, dass

  • die Betreiber von nuklearen Anlagen den Flugzeugabsturz per Gesetz als Störfall zu berücksichtigen haben;
  • die theoretischen Grundlagen für eine flugzeugabsturzsichere Anlage vorhanden sind und in der Praxis bereits derartige Anlagen realisiert wurden;
  • der Einschluss von radioaktiven Stoffen bei flugzeugabsturzsicheren Gebäuden oder Behältern sichergestellt ist.

Input ESK-Stresstests

Zur Bewertung der Robustheit einer OFA wird auf die Ergebnisse des in Deutschland durchgeführten Stresstests für Anlagen der nuklearen Ver- und Entsorgung verwiesen (ESK-2013-1, ESK-2013-2). Unter der Robustheit versteht man das Verhalten der Anlage bei sehr schweren Belastungen, die über diejenigen bei Auslegungsstörfällen deutlich hinausgehen. In diesem Sinne ist der Stresstest also vergleichbar mit einer etwas differenzierteren Analyse der oft zitierten „Worst-Case“-Szenarien. Insbesondere interessiert beim Stresstest, ob es bei zunehmenden Belastungen ab einem bestimmten Punkt zu sogenannten „Cliff-Edge“-Effekten kommt. Damit ist eine sprunghafte Erhöhung der radiologischen Belastung ab diesem Punkt gemeint, die beispielsweise zum Versagen einer letzten Barriere führt. Eine Anlage, die ein solches Verhalten nicht zeigt, sich also „gutmütig“ verhält, ist auch unter auslegungsüberschreitenden Bedingungen als „robust“ einzustufen. Die wesentlichen Erkenntnisse wurden bereits von Dr. Michael Sailer, Vorsitzender der deutschen Entsorgungskommission ESK und Geschäftsführer des Öko-Instituts, Darmstadt, anlässlich eines Vortrags auf dem Informationsforum „Betriebssicherheit einer Oberflächenanlage, 24. Mai 2014, Zürich“ wie folgt zusammengefasst:

Einige der dem deutschen Stresstest unterworfenen Anlagen sind mit den Oberflächenanlagen eines Endlagers vergleichbar: Zwischenlager verschiedener Art (abgebrannte Brennelemente, hochaktive Abfälle, schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA)), die Pilotkonditionierungsanlage oder auch Konditionierungsanlagen für SMA.

Wichtige Erkenntnisse, die auf die Oberflächenanlagen eines Endlagers übertragen werden können, in denen mit hochaktivem Material umgegangen wird, sind

  • zentrales Sicherheitselement ist der massive Lagerbehälter (Zwischenlagerbehälter). Er gewährleistet einen umfassenden Schutz gegen massive mechanische Einwirkungen, eine ausreichende Kühlung auch bei Stromausfall und anderer Medien/Infrastruktur.
  • Thermische Einwirkungen (Brand) führen nur zu langsamer Aufheizung – kritische Temperaturen für Dichtungssysteme werden erst nach einigen Stunden erreicht.
  • Bei den Prozessschritten des eigentlichen Umladens fehlt der Schutz durch den Behälter. Es hängt dann entscheidend davon ab, welchen Schutz das Gebäude und dessen Einrichtungen bieten.
  • Nach Umpacken für die Endlagerung ist der gleiche Schutz gegeben, soweit die Endlagerungsbehälter ähnlich ausgelegt sind. Anderenfalls wäre der Schutz durch andere Massnahmen (z. B. entsprechende flugzeugabsturzsichere Auslegung der Gebäude) zu erreichen.

Für die Oberflächenlagen, in denen SMA gehandhabt bzw. gelagert werden, lässt sich ableiten:

  • Aus den Modellrechnungen: Freisetzungen, die deutsche Evakuationsrichtwerte überschreiten, werden auch im Extremfall nur in kleinen Abständen von den Modellanlagen überschritten (maximal 20 m, 100 m, 350 m je nach Inventar und Einwirkungsart).
  • Überflutung und Flutwelle führen nicht zu erheblichen radiologischen Konsequenzen, jedoch sollte das Fortspülen von Behältern durch entsprechende Auslegung der baulichen Einrichtungen auf jeden Fall verhindert werden (z. B. Errichtung ausserhalb einer hochwassergefährdeten Zone; flutwellenabwehrende Konstruktion der Gebäude).
  • Erhöhte Brandlasten in den Gebäuden müssen verhindert werden, indem in den Räumen alle brennbaren Materialien soweit wie möglich vermieden werden (z. B. nur notwendige Kabel, keine brennbaren Baustoffe und Verkleidungsstoffe, keine zeitweilige Lagerung brennbarer Materialien). Möglichst wenige Abfälle in brennbarer Form.
  • Bei der Gebäudeauslegung beachten, dass bei Stressereignissen nur begrenzt schwere Teile auf die Abfallgebinde fallen können (Brocken aus Wand oder Dachbinder).

Generell gilt die Empfehlung, die Oberflächenanlagen so auszulegen, dass die Erkenntnisse aus dem Stresstest berücksichtigt werden (z. B. hinsichtlich Gebäudelage, hinsichtlich Hochwasser, möglichst niedrige Brandlast, baulicher Schutz gegen Einwirkungen von aussen, soweit nicht der Behälter den vollständigen Schutz übernehmen kann).

Wichtige Erkenntnis ist aber auch, dass die maximalen Auswirkungen eines massiven Ereignisses deutlich geringer sind als bei einer Kernschmelze in einem Kernkraftwerk.

Es ist selbstverständlich, dass diese Erkenntnisse bei Planung, Bewilligung, Bau und Betrieb der zukünftigen OFA Berücksichtigung finden. Um die zukünftige regulatorische Entwicklung und einen laufenden Informationsaustausch sicherzustellen, ist das ENSI in allen relevanten internationalen Gremien vertreten und hat z. B. auch Einsitz in den Ausschüssen der deutschen Entsorgungskommission.

Das ENSI ist der Ansicht, dass mit der vorliegenden Antwort die relevanten Aspekte für den Ereignisablauf des in der Fragestellung formulierten Szenarios „Flugzeugabsturz eines vollgetankten grossen Passagierflugzeugs auf eine Oberflächenanlage mit anschliessendem Kerosinbrand“ umfassend behandelt hat.

Referenzen

[ESK-2013-1]: ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland – Teil 1: Anlagen der Brennstoffversorgung, Zwischenlager für bestrahlte Brennelemente und wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle, Anlagen zur Behandlung bestrahlter Brennelemente (14.03.2013)

[ESK-2013-2]: ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland – Teil 2: Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle, stationäre Einrichtungen zur Konditionierung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle, Endlager für radioaktive Abfälle (rev. Fassung v. 18.10.2013).

Kommentierung durch Fragesteller und weiterführende Fragen

Die Beantwortung der Fragen durch das ENSI basierend auf wissenschaftlich-technischen Fakten beinhaltete Prüfung und Kommentierung der Szenarien sowie hypothetische Rechenbeispiele und detailliertere Berechnungen. Im Rahmen der Kommentierung der Antworten zu den TFS-Fragen 111 bis 120 hat der Fragesteller festgehalten, dass mit den vorliegenden Antworten seine übergeordneten Fragen nach dem theoretischen Gefährdungspotential nicht oder nur teilweise beantwortet wurden. Entsprechend hat er im Rahmen der Rückmeldung fünf ergänzende  Fragen (TFS-Frage 138 bis 142), losgelöst von Szenarien, eingereicht.